Interview mit Ellis Kaut: "Der Pumuckl ist Kunst"

von Michael Grill

Ellis Kaut, Schöpferin - nicht nur! - des Pumuckls. © Ellis Kaut

Ellis Kaut, die Schöpferin des berühmten Kobolds, wird 90 Jahre alt. Im Interview erzählt sie von ihrer unstillbaren Neugierde, den Problemen mit ihrem Geschöpf und warum sie im Krieg aus Liebe log. Sie hat aber nicht nur den Pumuckl erfunden: Ellis Kaut ist eine Multi-Künstlerin, spielt Klavier, war Schauspielerin und ist Malerin, Bildhauerin und Autorin. Im vergangenen Jahr erschien ihre Biografie („Nur ich sag ich zu mir“, Langen Müller Verlag).

Die Münchnerin ist die wohl höchstdekorierte bayerische Autorin – vom Ernst-Hoferichter-Preis über den Bayerischen Verdienstorden bis zum Bundesverdienstkreuz. Sie wurde in Stuttgart geboren, wuchs aber seit ihrem zweiten Lebensjahr in München auf und war als Teenager sogar offizielles „Münchner Kindl“. Sie hatte ein Engagement am Residenztheater Wiesbaden, besuchte die Bildhauerklasse an der Münchner Akademie und arbeitete als Sprecherin beim Rundfunk. Nach 1945 entstanden, auch angeregt durch ihren Mann, den Journalisten Karl Preis, erste Erzählungen, später Figuren wie der Kater Musch und – natürlich – der Pumuckl. In den vergangenen Jahren beschäftigte sich Ellis Kaut wieder verstärkt mit Bildhauerei, Malerei und Fotografie. Dieses Interview wurde erstveröffentlicht in der Münchner Abendzeitung vom 17. November 2009.

Frau Kaut, lassen Sie uns über Kunst reden. Ist der Pumuckl Kunst?

ELLIS KAUT: Doch, ich denke schon, der Pumuckl ist Kunst. Wegen dem Märchenhaften und dem Fluss der Geschichte. Und weil es ganz viele Abwägungen, Überlegungen, Streichungen braucht, um seine Geschichten zu schreiben. Eine spannungsgeladene Arbeit, die auch ermüdend ist. Nach drei Stunden Schreiben war ich immer todmüde. Zum Glück hatte ich dann meinen Garten an der Amper, zu dem ich rausfahren konnte, um mich durch körperliche Arbeit wieder neu zu sammeln.

Kunst will dem Menschen einen neuen Blick ermöglichen, ihn etwas sehen lassen, dass er sonst nicht sieht. Welchen Blick öffnet der Pumuckl?

Er hat eine erzieherische Wirkung, aber er öffnet auch den Blick auf die Phantasie. Und er hat etwas Naturalistisches, durch seinen Charakter, der sich nicht ändert, den ich erst einmal festlegen musste.

Unter all den vielen Dingen, die Sie in Ihrem Leben gemacht haben, wird von außen fast ausschließlich der Pumuckl gesehen. Stört Sie das, wollen Sie mit Ihrer gerade erschienenen Biografie etwas zurechtrücken?

Ja, das möchte ich schon. Die einseitige Sicht auf den Pumuckl hat mich zwar nicht unbedingt geärgert, aber ich finde sie ungerecht. Einige andere Sachen, die ich gemacht habe, finde ich genauso gut, genauso phantasievoll. Aber das dringt nicht durch, und manchmal fühle ich mich zum Protest aufgerufen: Da ist doch nicht nur der Pumuckl! Es wäre manches zu entdecken, etwa das Kinderbuch „Flibutz“. Der Flibutz hat sich aber beim Publikum nie durchsetzen können, weil man für ihn mehr Fantasie braucht als für bei einem einfachen Märchen. Dann hat er plötzlich 32 Füße…

Eigenartiger Typ, der Flibutz.

Ja, er kann auch um den Mond fliegen. Und er kann sehen, wie er von hinten ausschaut. Aber man weiß nie, ob er lügt oder nicht. Leider habe ich kein Buch mehr da, um Ihnen eins mitzugeben…

Ein Erfolg mit dem Flibutz wäre Ihr großer Traum gewesen?

Den Flibutz halte ich, ganz anmaßend, für Dichtung.

Haben Sie sehr darunter gelitten, dass neben Pumuckl kein Platz mehr war?

Nein, das nicht, zum Leiden neige ich nicht. Ich nehme es immer so wie’s ist. Manchmal ärgere ich mich, aber mehr Gemütswallungen gibt es da nicht.

Wird diese Botschaft Ihrer Biografie vom Publikum verstanden? In den ersten Reaktionen waren Sie meist doch nur wieder die Frau mit dem Pumuckl.

Nein, das wird nicht unbedingt verstanden, aber ich bin das ja gewohnt. Und ich bin ja auch sehr dankbar für den Erfolg mit dem Pumuckl. Viele andere schreiben auch so gut wie ich oder noch besser, aber sie werden gar nicht beachtet oder finden keinen Verleger. Man braucht immer viel Glück in diesem Geschäft.

Vor einigen Jahren haben Sie bei einer Veranstaltung im Englischen Garten meinem Sohn ein Autogramm gegeben. Dabei fiel mir auf, dass auch ganz viele Erwachsene in Ihrer Nähe etwas Kindliches bekommen, einen Pumuckl-Märchen-Blick.

Ja, das bemerke ich auch immer wieder. Oft geht das sogar noch ein Stück weiter: Wenn irgendwo das Gespräch auf den Pumuckl kommt, kann man sofort sehen, wie über die Gesichter ein Lächeln geht. Oder wenn ich im Kaufhaus an der Kasse meine Karte vorzeige, dann liest die Kassiererin meinen Namen. Dann guckt sie hoch zu mir: „Sind Sie…?“ – „Ja, ich bin’s.“ Das Schöne ist, dass dann immer ein wirklich strahlendes Lächeln über die Gesichter geht. Mir ist klar, dass das Lächeln unabdingbar verbunden ist mit dem Pumuckl. Ein heiteres Lächeln, das mir wirklich Freude macht.

Wollten Sie mit Ihren anderen Künsten auch ein Lächeln zu den Menschen bringen? Oder ging es dabei um etwas anderes?

Da ging es um etwas anderes. Vor allem darum, mir selbst zu beweisen, dass ich das kann. Oder zumindest versuchen kann. Man muss immer versuchen, was möglich ist – auch da fängt die Phantasie an zu arbeiten. Wenn dabei etwas gelingt, dann ist das auch eine Art von Glück, aber eine andere.

Sie wollten erst Sängerin werden, dann kam der Klavierunterricht, die Schauspielschule. Was hat Sie als Künstlerin eigentlich angetrieben?

Darüber habe ich oft nachgedacht. Aber ich weiß es nicht wirklich… Oft habe ich mir gesagt: Die Leute, die keinen solchen Antrieb haben, leben bequemer.

Aber auch besser?

Auf jeden Fall gemütlicher. Die müssen keinen Ehrgeiz haben. Die müssen nicht verzweifeln, wenn man etwas schaffen will, aber es einfach nicht glückt, weil man noch nicht soweit ist oder es falsch anfängt.

Es muss ja nicht immer alles glücken in der Kunst.

Es muss nicht. Aber es ist Unglück, wenn man merkt, dass die eigene Kraft nicht ausreicht. Ich bin dann sehr hartnäckig und zäh. Ich mache so lange weiter, bis ich weiß wie’s geht. Bis ich mich ausdrücken kann. Ein Beispiel dazu aus der Fotografie: Ich wollte unbedingt ein altes Druckverfahren ausprobieren, die Heliogravüre. In Deutschland gibt es vielleicht zwei oder drei Fotografen, die sie noch verwenden. Ich bin dann hingefahren zu einem dieser Meister und hatte natürlich den Ehrgeiz, da sofort etwas auf die Beine zu stellen. Der arme Fotograf war ganz entsetzt, weil ich so eine Antriebskraft habe, er würde da gar nicht mehr mitkommen. Aber es hat mich nunmal so brennend interessiert.

Die Neugierde bohrt in Ihnen...

Ja, es ist ein Zwang. Auch als ich mit über 80 Jahren noch anfing, Photoshop am Computer zu lernen. Erst als ich es einigermaßen durchschaute war ich zufrieden. Diese Selbstbestätigung brauche ich nunmal vor mir selbst.

Künstler sind oft große Egozentriker. Viele stellen sich auch in ihrer Kunst in den Mittelpunkt…

Ja! Ohne Rücksicht!

Sie wollten diesen Weg nie?

Nein, ich wollte nie der Welt etwas beweisen. Immer nur mir selbst.

Ist das auch der Hintersinn Ihres skurrilen Biografie-Titels „Nur ich sag ich zu mir“?

Genau das ist gemeint.

Lustiger Satz, aber er holpert.

Bei dem Titel muss sogar ich manchmal stottern. Er ist mir sozusagen durch Zufall zugespielt worden.

Ein Fan behauptete, das sei sein Lieblingszitat vom Pumuckl. Aber Sie wissen angeblich gar nicht, in welchem Band es zu finden ist.

Das stimmt. Es herauszufinden, wäre mir zu viel Arbeit.

Am Ende gibt es den Satz gar nicht wirklich in Ihren Büchern!

Hmm, stimmt, das wäre möglich. Vielleicht hat ihn auch der Hans Clarin erfunden. Aber das will ich ihm jetzt lieber nicht unterstellen.

Haben Sie eigentlich stilistisch eine künstlerische Heimat?

Nein, die habe ich nicht. Ich fühle mich im Grunde außer der Zeit. Ich habe von 1940 bis 1944 an der Kunstakademie in München studiert und bis zu meinem 21. Lebensjahr nicht gewusst, dass es Picasso überhaupt gibt – so war das bei den Nazis. Aber ich bin gegenständlich, ich will verstanden werden. Es wäre für mich unbefriedigend, einfach nur einen Klecks auf die Wand zu machen und einen Meter weiter einen zweiten Klecks. Für so was habe ich keinerlei Verständnis. Bei solcher Kunst habe ich das Gefühl, da will jemand nicht verstanden werden.

Vielleicht wollen die Klecksmaler ja etwas Spannendes über Themen wie Abstraktion oder Transzendenz herausfinden?

Mag sein, aber das Banale bleibt für mich banal.

Sehen Sie sich Kunst in Ausstellungen an?

Ich liebe unsere Pinakothek der Moderne.

Aber dort gibt es doch auch ganz viel abstrakte Kunst!

Dann soll die dort ruhig hängen bleiben. Aber ich weiß nicht, was ich denken müsste, um sie zu verstehen. Bei Rupprecht Geiger und seinen Farbflächen ist mir das erstmals bewusst geworden, dass man da doch ratlos davor steht, völlig ratlos!

Geiger sucht als Künstler nach einem ganz bestimmten Farbausdruck, gerade mit seinem berühmten Geiger-Rot.

Das ist mir zu wenig. Ich habe keine Feindschaft gegen diese schwer verständliche Kunst. Aber – es tut mir leid – ich gebe mir auch nicht allzu große Mühe, sie unbedingt verstehen zu wollen.

Gibt es eine Überschrift, die über Ihrem gesamten Schaffen stehen könnte?

Ja! Nämlich: „Das Ich ist in diese Welt gesetzt, um sich verständlich zu machen.“

Und ist Ihnen das beim Pumuckl nicht doch am besten gelungen?

Wahrscheinlich, ja.

In Ihrem Buch plädieren Sie für Phantasie, der man gerne Glauben schenkt und gegen Phantasie, die gläubig macht. Steht dahinter die Skepsis der Kriegsgeneration, die keinem falschen Glauben mehr erliegen will?

Ja, sicher. Meine Generation will wissen, was schwarz und was weiß ist.

Wird deshalb in Ihrem Buch die Zeit unter den Nazis so ausführlich behandelt?

Ja, die Frage nach dem Warum beschäftigt mich immerzu. Darüber kann ich stundenlang nachdenken: Warum hat es ein Mensch, dieser Hitler, fertiggebracht, eine Welt zu zerstören? Warum ist so was kleines wie dieser Mensch so mächtig geworden? Was stimmt da nicht in den Verhältnissen? Immer wenn im Fernsehen Filme über diese Zeit kommen muss ich sie ansehen.

Weil Sie immer noch nach einer Antwort suchen?

Ja, die suche ich immer noch. Ich frage mich, warum das Böse so möglich sein kann.

Vielleicht weil die Menschen zu wenig Neugierde haben und zu viel glauben wollen?

Sicher, viele sind froh, wenn man Ihnen sagt, wo es langgeht. Der Mensch ist ja so hilflos in die Welt gesetzt. Ständig steht er Rätseln gegenüber und ist völlig ratlos. Was wissen wir schon, wenn wir in den Himmel schauen?

Nicht viel.

Gar nichts, gell!

War denn die Kunst für Sie, damals in der Nazi-Zeit, ein Mittel um sich loszulösen von der Welt?

Ja. Und sie war auch ein Trost. Ich bin Gottseidank kein Mensch der schnell verzweifelt. Mein Mann war sechs Jahre im Krieg. Da war diese ewige Angst… Eine entsetzliche Angst.

Und die Kunst hat Ihnen geholfen?

Getröstet hat sie mich. Ich habe damals meinem Mann jeden Tag einen Brief geschrieben, das war eine Möglichkeit, die Spannung auszuhalten. Es waren möglichst lustige Briefe, etwas anderes hätte gar keinen Sinn gehabt. Nach dem Krieg hat mein Mann alle Briefe wieder mitgebracht, und auch ich habe alle aufgehoben. Dann wollte ich sie alle nochmal lesen, weil ich dachte, in den Briefen müssten ganz viel Erkenntnisse und wichtige Gedanken drin sein. Da merkte ich erst, dass diese Briefe das Enttäuschendste überhaupt waren – wir haben in Ihnen die ganze Zeit gelogen. Und zwar aus Liebe. Ich machte meinem Mann vor, ich hätte ein modernes Leben ohne Angst. Und mein Mann machte das Gleiche umgekehrt. Keiner wollte, dass der andere verzweifelt.

"Nur ich sag ich zu mir: Mein Leben mit und ohne Pumuckl" - die Biografie von Ellis Kaut, erschienen im Langen Müller Verlag.

Was stand in den Briefen?

Ich habe mir zum Beispiel immer vorgestellt, dass mein Mann in Russland ein Bett dabei hat. Ich hatte zwar keine Ahnung wie er das tragen sollte, aber ich wollte mir nicht vorstellen, dass er im Dreck schläft. Und das gleiche hat er auch gemacht – er wollte sich mich nicht heulend im Luftschutzkeller vorstellen. Also gaben wir uns in den Briefen tapfer und lustig.

Heiterkeit als Überlebensstrategie!

Es war eine ungeheure Übung in Selbstdisziplin. Und auch darin, nach dem zu suchen, was heiter machen kann. Ich denke, der Pumuckl, wäre nicht entstanden, wenn ich nicht meinem Mann damals täglich einen Brief geschrieben hätte. Auch wenn das nichts direkt miteinander zu tun hat.

Könnte auch Kunst lügen?

Das weiß ich nicht. Meinen Drang zur Kunst habe ich jedenfalls oft auch als Zwang empfunden. Dann dachte ich mir, was tun sich die Frauen leicht, die einfach nur Hausfrau sein können. Nichts gegen Hausfrauen – aber irgendwie beneidete ich sie um ihr einfaches Glück. Auch wenn mir das selbst nie genügt hätte.

Wenn Sie nochmal von vorne anfangen könnten, würde Sie etwas anders machen?

Es war alles o.k. so, wie es gelaufen ist. Ich habe von überallher gelernt, das war meine wirkliche, echte Leidenschaft, egal, was ich gemacht habe. Die Neugierde war immer da.

Haben Sie noch einen unerfüllte Traum?

Nein, es gibt nichts, das ich dringend auch noch können müsste. Gut, ich male weiterhin sehr gerne, aber es ist nicht mehr so, dass ich denke, ich müsste eine neue Stilrichtung erfinden.

Versteckt sich der Pumuckl auch in Ihren Bildern?

Ja, doch, ein bissl steckt er auch da drin.

Veröffentlicht am: 17.11.2010

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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