Guten Morgen, alter Aufstand! - Die Münchner Volksmusiklegende Gari Gari im Theater Fraunhofer

von kulturvollzug

Gari Gari! Foto: Fraunhofer Theater

Brenne, brenne Zigeunerliebe, gari, gari Ljubov tziganki! Jetzt wissen wir also, von diesem Bekenntnis kommt der Name unserer Truppe. Nicht von dem bekannten Lied, der russischen „Romans“ gori gori moja svezda, leuchte mein Stern, leuchte. Das gibt es in vielen Interpretationen, ebenso gibt es einen gleichnamigen Film.

Zugeschrieben wurde diese „Romans“ auch dem tragischen Admiral und Konterrevolutionär Aleksandr Kolchak, der in 20er Jahren von Lenin hingerichtet wurde. Da hätte wohl ein weißer Stern geleuchtet haben sollen.

Viele der Lieder, die Gari Gari spielt, kommen aus Russland. Wie überall im Osten ist auch hier der Einfluss der Zigeuner allgegenwärtig. Alles ist von Tziganes eingefärbt, adaptiert, umgewandelt, geprägt - bis hin zum Fischerlied. Aber Gari Gari sucht sich mittlerweile seine Lieder in einem weit größeren Umkreis. Bildet man eine Windrose aus den Achsen St. Petersburg – Palermo, Paris – Odessa, so findet man überall die Spuren der Zigeuner. Auf solcher Windrose drehen wir uns einen Abend durch die Welt der Zigeunermusik.

Zwei der ersten Stunde stehen auch an diesem Abend auf der Bühne und brennen sozusagen in alter Frische. Der Sitka (Gitarre, Gesang) und Sebastian Souchay (Bass-Balalaika, Gesang). Das tun sie seit vierzig Jahren. Der Sitka ist in der Szene so bekannt, dass sein Nachname anscheinend im Zuge der Stilisierung zurückgedrängt wurde. So könnte er auch wirklich besser der richtige Russe sein, er, die dunkle, russische Stimme von Gari Gari.

Sein Image, ein Russe zu sein, verdankt er einem anderen Umstand. Wir gehen zurück ins Jahr 1962. Es ist der Fronleichnamstag. Musikanten ziehen vom Monopteros zur Leopoldstraße. Sitka Wunderlich (damals noch mit vollem Namen) mit Gitarre, der Drehleierspieler Wolfram Kunkel, unvergesslicher Balladensänger derer von Carl Michael Bellmann, ein Alexander Schmorell an der Balalaika. Sie singen russische Matrosenlieder. So wie das bekannte „Thy Moriac“. Ist da eine rebellische Kraft im Busch? Man denkt an die Matrosen von Kronstadt, den Matrosenaufstand von Kiel 1919. Die Musiker auf der Leopoldstraße sangen laute Matrosenlieder von der Freiheit. Die Zuhörerschaft wuchs. Anwohner fühlten sich natürlich gestört, das klang nicht nach Freddy Quinn, man rief die Polizei. Die Leute wollten aber nicht gehen, man wollte sich nicht zerstreuen lassen, die Musiker spielten weiter, plötzlich waren Reifen zerstochen und Sitka wurde verhaftet. Die Schwabinger Krawalle waren explodiert, mit Urplötzlichkeit. Die Polizei prügelte fünf Tage lang. Gari, gari, brenne, brenne. Zünder: Matrosenlieder.

Zurück in den Fraunhofer. Gari Gari, die Münchner Balalaika- und Dombra-Truppe von früher, mit „Quickly“ Eilers, der jetzt bei der Balkan Dschukboks spielt, hat sich überraschend entwickelt. Neuerdings erweitern den musikalischen Horizont ganz entscheidend der Turbofex-Geiger Winnie Mathias (früher Gadzho) und Bärbel Ernst an der Klarinette. Bärbel Ernst wirkt beruhigend. Sie spielt sauber und klingt klassisch. Im Dialog von Geige und Klarinette wird da noch einiges zu erwarten sein. Zusammen mit Jutta Splawinski am Akkordeon öffnen sich neue Welten. „Ljubov tziganki“ findet sich jetzt auch in französischen Musette-Walzern, dem jüdisch- tzigantischen Klezmer „Alle Brüder“ und den russischen Fischerliedern, gesungen in „Romale“, dem russischen Roma. Von Schnuckenack Reinhard spielt Gari Gari „Duj-Duj“, gleich zu Anfang. Auch das geht natürlich nur mit solch einem Geiger.

Deutsche Zigeuner kommen übrigens auch zu Wort: „Me hum Matto“, heißt so ein Stück. „I bin bsoffen“ (Tonika). Und geht weiter „du bist bsoffen“ (Subdominante) „und er liegt scho unterm Tisch“ (Dominante)“. Na Servus, und schon sind wir wieder daheim, bei der Tonika: „I bin (scho wieder) bsoffen“. Sag keiner, dass es bei dem Rondo vom Prosit der Gemütlichkeit um etwas anderes ginge. Winnie Mathias (Geige), ehemals „Gadzho“ wirbelt zu dieser klassischen Kadenz des wirklichen Lebens als wäre die Bühne eine brennende Herdplatte. Gari Gari! Bei einem „Transylvanien sucht den Supergeiger“ hätte er beste Chancen. Er lässt, schlicht gesagt, nichts aus. Er scheppert, krächzt, winselt, knurrt und schrubbt. Flageolets, Pizzicato, rasende Vierundsechzigstel, präzise Breaks mit enormer Fallhöhe. Bei „Maika“ tanzt der Kerl auch noch. War das eine Art Tschetschotka, der Stepptanz russischer Matrosen? Ging das auch mal links herum? Dass es fei zu keinem Aufstand kommt! Da hamma in München schon genug mitmachen müssen.

Michael Wüst

Veröffentlicht am: 28.01.2011

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