Ruth Geiersberger in der Staatlichen Münzsammlung

Innehalten ist ihr Lieblingswort

von Gabriella Lorenz

Sie findet überall eine Bühne: im Bahnhof, auf Baustellen, in Kirchen und im Zoo. Ruth Geiersberger macht alle diese Orte zu Bühnen für ihre „Verrichtungen“. So nennt sie ihre kleinen, feinen Kunst-Aktionen. Sie liebt es still und leise und siedelt deshalb ihre Feldforschungen über Begriffe wie Heimat oder Idylle unauffällig in Umgebungen an, wo man dergleichen nicht erwartet. Heute beginnt ihr von einer Japan-Reise inspiriertes Projekt „sososososo... Andachtsübungen“.

Antrag auf Andachtsausübung genehmigt. Foto: Vogl & Hentschel

In Japan pflegt man sich bei jedem Tempelbesuch einen Stempel abzuholen - als Beweis, dass man da war. Das hat Ruth Geiersberger fasziniert: „Seit ich denken kann, stemple ich gern. Das ist wie einen Fußabdruck hinterlassen“, sagt sie. So schlägt sie nun im Bibliothekssaal der Staatlichen Münzsammlung für 14 Tage ein Stempel-Büro auf. Montags bis freitags von 12 bis 16 Uhr kann man dort vorbeikommen, sich unterhalten und von der Alltagshektik abschalten.

Aber das ist nur die Ausgangsstation für einen Andachts-Parcours durch München. Für fünf Euro gibt es ein Andachtsbuch und eine Karte mit Andachtsorten, deren Besuch in den folgenden Tagen man sich im Faltbüchlein abstempeln lassen kann. Ausgewählt hat Geiersberger die Lukaskirche, die Artothek, die Staatsbibliothek, das Valentin-Musäum, das ASZ in der Hans-Sachs-Straße 14, den Probenraum des Staatsballetts und die Staatliche Münzsammlung. Überall werden zu bestimmten Zeiten Musiker und Performer auftreten, deren Betätigungsfeld ein „Andachtsquadrat“ aus gelben Holzlatten markiert. Wer Glück hat, trifft vom 16. bis 20. September auch auf den pensionierten Polizisten und Kunstvermittler Bernd Schäfer, der die Andachtsstationen erklärt. Er kommt extra aus Kassel, wo ihn Ruth Geiersberger auf der Documenta 2012 kennenlernte.

Der Künstlerin geht es ums Innehalten, um „Stille im Lärm der Welt“. Innehalten ist ihr Lieblingswort und ihre Lieblingstätigkeit: „In unserer Gesellschaft darf man ja heute keine Langeweile haben oder nutzlos Zeit verbringen. Ich brauche aber immer wieder Auszeiten, damit neue Ideen entstehen.“ Ideal zum „Innehalten in dieser aufgeregten Welt“ findet sie in Bibliotheken und Museen. Und in die Bibliothek der Münzsammlung mit einer Mittelsäule hat sie sich auf Anhieb verliebt: „Das ist wie ein Raum von Marthaler. Ich liebe Räume, die einfach da sind. Deshalb wurde auch eine kaputte Glühlampe absichtlich nicht ausgewechselt.“

„sososososo...“ heißt die Aktion, weil das Wörtchen „so“ im Japanischen genau dasselbe wie im Deutschen bedeutet. In Japan wollte Ruth Geiersberger unbedingt die Dichterin Yoko Ogawa treffen, deren Literatur sie seit Jahren in ihren Bann zieht: „Ich habe bei ihr mein Thema wiedergefunden: Ein einfaches, unaufgeregtes Welt-Betrachten, ohne Fragen zu stellen. Sie schreibt das, was ich in meinen Performances mache - es geht um Dinge als Erinnerungsträger.“ Obwohl Ogawa sehr zurückgezogen lebt, durfte Geiersberger sie in Kobe besuchen - und fand sich trotz Sprachschwierigkeiten mit ihr auf einer Wellenlänge.

Eintritt (5 Euro) kosten nur drei Abend-Sonderveranstaltungen in der Münzsammlung: Am Freitag, 20. 9., gibt es bayerisch-japanischen Dreigesang mit Texten von Yoko Ogawa, am 27. 9. zeigt das Filmteam Vogl & Hentschel seine Beobachtungen der Andachtssuche (jeweils 20 Uhr). Und zum Abschluss am 27. werden Sondermünzen geprägt.

Staatliche Münzsammlung, Residenzstraße 1. bis 27. September 2013, Mo - Fr 12 - 16 Uhr, Info www.sososososo.de

Veröffentlicht am: 18.09.2013

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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