„München hat einen Sinn für Inszenierung“: Regisseur Bastian Kraft im Interview - heute "Krull"-Premiere

von kulturvollzug

Bastian Kraft inszeniert Thomas Manns "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull".

Schon zwei Mal war Bastian Kraft bei „radikal jung“, dem Festival für Jungregisseure, zu Gast. 2010 bekam er den Publikums- und Kritikerpreis für seine Bühnenadaption des Kafka-Romans „Amerika“ verliehen. Am Freitag (17.6.) kehrt er mit Thomas Manns Romanfragment „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ auf die Bühne des Volkstheaters zurück. Im Interview erzählt er, warum er zuviel Wahrheit für eine Lüge hält.

Kulturvollzug: Herr Kraft, am Anfang seiner Memoiren schildert Felix Krull Episoden aus seiner Kindheit, darunter einen Besuch im Theater, der die zentralen Themen Verführung und Täuschung beschreibt. Legt diese Szene nahe, den Roman auf die Bühne zu bringen?

Bastian Kraft: Ja, absolut. Für mich war es ein entscheidender Punkt, dass sich der Roman in mehreren Szenen direkt auf das Theater bezieht: Der Hochstapler Felix Krull nimmt sich selbst nicht als Kriminellen, sondern als darstellenden Künstler wahr, und es geht um die Wechselwirkung zwischen Akteur und Publikum, wobei das Publikum mindestens genauso wichtig ist wie der Schauspieler. In der Theaterszene merkt Felix, dass das Publikum betrogen werden möchte. Ich mag Geschichten, in denen Mechanismen des Theaters im Alltag vorkommen und ich wollte den Roman schon immer gerne machen. Außerdem passt das Thema gut zu München.

Warum?

Die Geschichte passt natürlich in viele größere Städte, aber München nehme ich schon als eine Stadt wahr, die eine Vorliebe für den schönen Schein und den Glanz hat. München hat einen Sinn für Inszenierung. In Berlin ist das ganz anders. Dort spielen zwar auch alle eine Rolle, aber da geht es nicht so sehr um Glanz oder Aufstieg. Da geht es um andere Posen, zum Beispiel um die der Authentizität. In Berlin inszenieren sie sich mit zerrissenen Hosen, München hat eher was Schickes, das Felix Krull eher entspricht.

Empfinden Sie die münchnerische Sehnsucht nach Glanz als unangenehm?

Nein überhaupt nicht, es fällt mir nur auf, dass die Menschen hier einen anderen Bezug zu ihrem Auftreten haben. Ich bewerte das nicht negativ, aber so wie wir sozialisiert wurden, ist Schein falsch und Lüge bedeutet immer das Böse. Wenn man eine Rolle spielt, dann ist das verlogen, man ist ständig aufgefordert „man selbst zu sein“. Ich sehe das eher ambivalent. Ohne Rollen können wir gar nicht existieren und ohne eine gewisse Form von Hochstapelei kommt kein Mensch aus.

Jeder hat schon mal gelogen in der Absicht, sich in ein besseres Licht zu rücken. Bei Vorstellungsgesprächen gehört es zum guten Ton, sich als die bessere Version seiner selbst zu verkaufen – ab wann ist Hochstapelei kriminell?

Bei offensichtlichen Lügen – aber es gibt natürlich einen großen Graubereich. Im Theater läuft das dann zum Beispiel so, dass man mal einen Workshop mit einem großen Regisseur gemacht hat und dann schreibt man in seinen Lebenslauf: 2002 Zusammenarbeit mit Robert Wilson. Dabei dauerte der Workshop einen Tag und man war mit hundert anderen Studenten in einem Raum. Das ist dann zwar nicht ganz gelogen, entspricht aber auch nicht ganz der Wahrheit. Das ist akzeptierte Lüge. Interessant ist auch, sich darüber Gedanken zu machen, wo die Lüge anfängt. Nehmen wir facebook: Jeder gestaltet sein Profil dort sehr bewusst und stellt ein möglichst vorteilhaftes Bild von sich rein. Auch wenn wir morgens unsere Klamotten raussuchen, das ist alles Selbstinszenierung.

Was unterscheidet einen Hochstapler von einem Schauspieler?

Der Unterschied zwischen dem Leben von Felix Krull und einem Theaterabend ist, dass im Theater eine klare Verabredung gilt: Der Zuschauer bezahlt Geld, um sich einen Abend lang belügen zu lassen, er weiß, dass ihm etwas vorgespielt wird. Wer Felix Krull oder einem realen Hochstapler begegnet, weiß in der Regel nicht, dass er betrogen wird.

Betrug ist gesellschaftlich geächtet, wohingegen die Hochstapler selbst nicht unbedingt unsympathisch wirken...

... vor allem die literarischen Hochstapler sind sehr sympathisch, Felix Krull zum Beispiel. Der ganze Roman ist so geschrieben, dass man mit ihm, dem eigentlich Bösen, mitfiebert und man hofft, dass er durchkommt. Aber reale Hochstapler sind meistens richtig kriminelle Figuren, die zwar oft einen gewissen Charme haben, so dass man verstehen kann, dass Leute auf sie reinfallen, aber grundsätzlich denkt man: Was für skrupellose Verbrecher, die zerstören ganze Existenzen.

In vielen Ihrer Inszenierungen steht ein Charakter im Mittelpunkt – ist das Zufall?

Nein, ich finde es spannend, mich mit einer Person zu beschäftigen. Und ich habe ein Problem mit Nebenfiguren, also mit der üblichen Konstellation eines Hauptcharakters und zehn Figuren drum herum, die nur dazu da sind, den Hauptcharakter zu beleuchten. Dazu kommt, dass ich bisher fast nur Romane inszeniert habe, die meist in der Ich-Perspektive geschrieben sind. Das heißt, die Nebenfiguren werden so beschrieben, wie sie das Erzähler-Ich wahrnimmt,  haben also keine eigenen Perspektiven. Das ist so, wie wenn ich bei Freud auf der Couch liege, und erzähle von einer Person, die mir wichtig ist, das ist dann ja auch nur meine Version dieser Person.

„Dorian Gray“ von Oscar Wilde, „Amerika“ von Kafka oder Goethes „Werther“ – Sie haben schon eine Menge Literatur auf die Bühne gestellt: Lassen Nicht-Theaterstücke dem Regisseur mehr Freiheit?

Das kann ich schwer beurteilen, weil ich sehr wenige Theaterstücke gemacht habe. Aber ich glaube, dass ich immer wieder beim Roman landen werde. Nicht, weil ich mehr Freiheit brauche, sondern weil es eine andere Herausforderung ist.

Die Herausforderung eine eigene Dramaturgie zu finden?

Ja, das kann man so sagen. Ich muss erstmal eine neue Form für die Bühne erfinden, die dem Roman entspricht. Für den Felix Krull habe ich überlegt: Was passiert, wenn man drei Felixe hat? Also haben wir drei Schauspieler, die alle drei auf der Bühne stehen und behaupten, sie seien Felix Krull, und was heute Abend erzählt wird, seien ihre Erlebnisse. Es entsteht eine Art Erzählwettbewerb, das Publikum kann sich überlegen, welche Version der Geschichte ihm am Besten gefällt.

Das heißt, man kann sich überlegen, auf welchen der drei Hochstaplertypen man am ehesten reinfallen würde?

Ja, wir haben versucht, die Situation so zu schärfen, dass man drei verschiedene Arten von Charme sieht, also drei verschiedene Arten, wie eine Lüge präsentiert wird. Aber natürlich sind die drei Schauspieler auch ein Team. Ich möchte damit zeigen, dass Erzählen grundsätzlich Hochstapeln bedeutet.

Warum?

Wenn ich aus meiner Kindheit erzähle, dann kann ich natürlich versuchen, mich an die Fakten zu halten, aber es wird automatisch zur Story. Von sich zu erzählen bedeutet sich zu inszenieren. Es gibt keine objektive Wahrheit. Aber es gibt einen Wahrheitsfetischismus, dem wir hinterherlaufen, vor allem diese überall eingeforderte Wahrheit der Person: Sag doch mal, wer bist Du denn wirklich? Ja, weiß ich nicht. Authentizität ist ein Konstrukt. Klar, man versucht, sich treu zu bleiben, aber auch Felix Krull ist sich selbst treu, in dem was er tut. Das ist seine Persönlichkeit. Das war auch bei den Proben ein zentraler Punkt: Herauszufinden, wer der echte Mensch hinter Felix Krull ist, um ihn spielen zu können. Und irgendwann gerät man an den Punkt, an dem man sagt: Wahrscheinlich ist da nix. Der Mensch ist ein Lügengebäude, das ist sein wahres Ich, da ist gar kein innerer Kern.

Aber die Sehnsucht nach einem inneren Kern ist hartnäckig.

Ja, das ist unsere Vorstellung von der Seele, und dass es hinter den ganzen Masken etwas Echtes gibt. Vielleicht gibt es ja sogar ein tiefes verborgenes Ich, aber es ist ein Trugschluss zu denken, dass dieses verborgene Ich alltagstauglich wäre.

 

Das Interview führte Barbara Teichelmann.

Premiere von „Felix Krull“ ist am 17. Juni im Volkstheater.

Veröffentlicht am: 15.06.2011

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