Schon im Spiel scheint der Tod auf - Stefan Marbs Butoh Perfomance "Eine Hommage an Perpetua"

von Michael Wüst

Thront mit dem Schminkspiegel in der Hand: Stefan Marb Foto: Michael Wüst

Der Butoh Tänzer Stefan Marria Marb erweist seiner verstorbenen Tante Perpetua mit einem kreativen Tanzritual die höchste symbolische Ehre. Im i-camp begibt er sich dabei auch auf eine eigene Reise, begleitet von der Pianistin Masako Ohta.

Das Butoh-Tanztheater erhob sich aus der Asche Hiroshimas – einer Welt des Todes. Es wirkt, als hätte das Äußerste an Vernichtung durch den Menschen, dem Jenseits dieses atavistisch sarkastische Zerrbild entrissen: zitternd, verrenkt, gekalkt- maskiert. Ein Botschafter des Totenreichs.

Die Bühne im i-camp: ein Sessel, über der Lehne eine Pelzjacke, im Hintergrund das Klavier. Eine erste Einspielung der Stimme der Tante von einem Anrufbeantworter. Der Neffe Marb steht im schwarzen Anzug, mit Blick auf den Sessel. Status quo des beobachtbaren Todes, Ende der Bewegung, Moment der Maske.

Mit Bachs Preludium Partita I in B-Dur erspielt Marb minimalistisch die unüberwindbare und unheilbare Distanz des Todes. Er erweitert das klassische Bewegungsrepertoire des Butoh mit maschinell gezirkelten, harten Bewegungen der Trauer. Der Sessel wird dabei zur Maske – Maske des Todes wie auch Maske des Schauspiels.

Es entwickelt sich entlang der Stufen des Einkleidens, Entblößens, des Sich-Verbindens. In einem sicher gespannten Bogen begibt sich Marb in eine Parallelität zur Tante, er anverwandelt sich. Das Schauspiel hat die Maske in Besitz genommen und Marb sitzt da im Sessel, thront mit einem Schminkspiegel in der Hand in einer Art Travestie seiner Perpetua. Dazu plätschern die chromatischen Terzumkehrungen von Debussy´s „Mädchen mit den braunen Haaren“. Doch auch die symbolische Wiederaufnahme des Lebens im Spiel führt an die eisige Grenze des Nichts, der Vernichtung. Zu den Klängen von „The Void“ des zeitgenössischen Komponisten Nikolaus Brass, zeigt sich: schon im Spiel scheint der Tod auf. Dissonante, gläserne Schärfen aus Sekunden und Dezimen. Physischer und symbolischer Tod im bizarren, existentialistischen Gleichklang.

Es wäre ein klassisches Butoh-Ende gewesen, nach der Rückkehr zur Geburt wieder beim Tod anzukommen. Doch nein. Irgendwie irritierend setzt die für den bisherigen Kanon der Stücke fremde „Träumerei“ von Schumann ein. Plötzlich steht die Frage im Raum: wohin geht die Verwandlung?

Worüber man nicht reden kann, darüber sollte man schweigen. Im Rückwärtsgang, das Gesicht verdunkelt, entfernt sich die prometheische Figur Marbs vom Geschehen, dem Publikum, der ganzen Menschheit. Aus den Taschen seines Mantels wirft sie Körner auf den Boden. Vom Band hört man Kinder spielen, lachen.

Eine Hommage an Perpetua ist noch heute Abend (24.07.2011) um 20.30h zu sehen.

Veröffentlicht am: 24.07.2011

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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