9/11 ist in der Kunst angekommen - eine Ausstellung nicht nur in der Whitebox

von Achim Manthey

Paul Ching-Bor "Insomnius Lights - WTC", Aufnahme von der Hängung in der Whitebox (Foto: Achim Manthey)

Zum zehnten Mal jährt sich die Veränderung der Welt. Flugzeuge rasen in Türme, legen sie in Schutt und Asche, Tausende lassen ihr Leben. Gebäudereste lagern in Depots und niemand weiß warum, wofür und wohin damit. Ist das "System Babel" gescheitert? Die Ausstellung "Babylons Schatten III",  die sich auf die Whitebox und die Pasinger Fabrik verteilt, sucht nach Antworten.

Übermächtig grelles Licht lässt den am unteren rechten Bildrand nur noch mit seinen Obergeschossen erkennbaren Wolkenkratzer förmlich herausweichen aus dem großformatigen, düsteren Gemälde. Allein in vier der in der Ausstellung gezeigten Bildern beschäftigt sich der Maler Paul Ching-Bor mit dem, was am 9. September 2001 in New York geschah. Das Licht steht für die einstürzenden Türme des World Trade Center. Herumfliegende Gebäudeteile, Leichen, Staub und Asche verlieren ihre Konturen, überschreiten die Grenzen des Sicht- und Erfahrbaren.

Paul Ching-Bor, 1963 im südchinesischen Guangzhoa geboren, ist angekommen in der Stadt, in der er seit 1996 lebt und arbeitet. Von Anfang an haben ihn die Stahlkonstruktionen der Brücken und Gebäude fasziniert. Aber es ist nicht allein die technische Komponente, die ihn interessiert. "Das hohe Gewicht des Stahls steht für die Last, die wir tragen", schrieb er einmal.

Der Künstler arbeitet mit Wasserfarben, die er auf 500 Gramm schweres Büttenpapier aufbringt. Deaei wendet er uralte chinesische Maltechniken an, die er wiederum abändert, erneuert. Ganz untraditionell ist Ausgangspunkt eines Gemäldes nicht Helligkeit. Das Papier wird zunächst mit dunklen Farben getränkt, Schicht um Schicht wird aufgetragen, bevor durch Kratzen, Schaben, Wischen und Waschungen das Kunstwerk entsteht. Das Abgebildete wird entmaterialisiert, es entstehen düstere Momentaufnahmen einer Großstadt. Der durchbohrte Engel stürzt ab ins Nirgendwo der Anonymität. Symbol für die nicht mehr zu tragende Last?

Willi Bucher, o.T., jedenfalls ein Blutrausch über Buchstaben, Aufnahme von der Hängung in der Whitebox (Foto: Achim Manthey)

"Babylon steht für das Prinzip der genialischen Schöpfung", meinen die Macher des Ausstellungszyklus, der vor fünf Jahren in Nikosia, Zypern, startete. Der Turmbau zu Babel als Versuch, das Himmlische zu erreichen, Gott gleich zu sein. Der Sage nach war der Herr genervt von dem Volk da unten, das sich einer einheitlichen Sprache bemächtigte und sich nun anheischig machte, seine Kreise zu stören. Aber er erinnerte sich des Schwurs, den er Noah gegeben hatte: "Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen; denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten, wie ich es getan habe" (Gen. 8, 21). Statt materieller Zerstörung sendet er Sprachverwirrung, entzieht den Menschen ihr Kommunikationsmittel. Der genialische Schöpfungsversuch scheitert am Genialen. Aber wir bauen weiter Türme, in die sich Flugzeuge stürzen. Ein Spiel der Mächte.

Das Untergeschoss der Whitebox ist bestückt mit den Arbeiten des Malers und Videokünstlers Willi Bucher. Den Schwerpunkt bildet eine Blackbox, darin eine 3D-Installation. Ein Gemälde scheint sich in seine Schichten zu zerlegen, Teile, Farbpartikel, ganze Flächen strömen dem Betrachter entgegen, dringen förmlich in ihn ein. Verstärkt wird die subjektive Empfindung durch die eindringliche, elektronisch-sphärische Musik von Anke Schimpf und Christoph Paullsen, die allerdings bei längerem Aufenthalt in der Ausstellung einen nicht unbeträchtlichen Nervfaktor entwickelt. Drei Gemälde setzen sich dann tatsächlich mit der Sprachverwirrung auseinander. Feindliche Stille bricht sich Bahn und endet in einem sprachlichen Blutrausch.

Eine spontane Installation: Kunst: Willi Bucher und Lutz Wagner, Möblierung: Whitebox (Foto: Achim Manthey)

Fast verloren in einer Nische die Netzplastik von Lutz Wagner, dreidimensional in ihrer Körperhaftigkeit und zugleich zweidimensional in ihrem Schattenwurf. Und es passt in die spontan entstandene Installation, in der unter einem Gemälde Willi Buchers ein Sofa mit Aschenbecher zu stehen gekommen ist. Das wirkt fast schon wieder dekadent.

Das, was in der Whitebox, die sich wieder einmal als wunderbarer Ausstellungsraum präsentiert, gezeigt wird, ist interessant und schwierig. Aber es kann ja nicht schaden, nachzudenken über Gott, Türme, Kommunikation, die Welt und überhaupt... Die Ausstellung regt dazu an, die Antwort gibt sie nicht.

In der Pasinger Fabrik sind zusätzlich Arbeiten von Markus Mooslechner, Joanna Gleich und Martin Rosenthal ausgestellt.

Die Ausstellung "Babylons Schatten III" ist in der Whitebox, Grafinger Straße 6 in München bis zum 11. September 2011, Do . Fr. 17-21 Uhr, Sa u. So 15-20 Uhr zu sehen, in der Pasinger Fabrik bis zum 21. August 2011 Di-So von 17.30-20.30 zu sehen. Für den 11. September 2011 ist in der Whitebox als Abschlussveranstaltung eine Podiumsdiskussion zum Thema "Kunst und Katastrophe" geplant.

Aufgrund einer Bildverwechslung wurde der Bericht am 14. August geändert. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.

 

 

Veröffentlicht am: 12.08.2011

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