"Sommernachtstraum" im Residenztheater

Gewaltbereit und schneller Zugriff - nach einer Viertelstunde hat man's begriffen

von Gabriella Lorenz

Michele Cuciuffo (Lysander) und Andrea Wenzl (Hermia). Foto: Matthias Horn

Wir wissen das schon lange: Shakespeares Komödien sind nicht heiter. Wenn ihr vergiftetes Happy End Liebende mit dem Objekt ihrer Begierde ehelich verschweißt, ist das die schlimmste Strafe. Denn die Illusion der Liebe ist längst betrogen, verraten und verkauft. Der hochgehandelte Regisseur Michael Thalheimer führt das bei seiner ersten Münchner Inszenierung am Residenztheater nochmal drastisch vor.

Er treibt dem "Sommernachtstraum" rigoros alles Komödiantische aus und inszeniert die Tragödien von vier Paaren - blutig, nackt und animalisch grausam.

Bei der Premiere blieben nach der Pause reichlich Plätze frei, am Ende überwogen die Buhs die Bravos. Liebe ist Gewalt und Krieg. Niemand geht da ohne blutige Wunden raus. Da stürzt sich der Athenerfürst Theseus (Götz Schulte) auf seine erbeutete Braut Hippolyta, und die wunderbare Sibylle Canonica entfesselt ihren Furor, den sie später unter Dauer-Vergrämtheit begraben muss. Vielleicht sind die beiden in ihren Doppelrollen auch schon das Elfenpaar Oberon und Titania in seinem Rosenkrieg. Diese Realitätsebenen will Thalheimer vermischen, was ihm nicht gelingt. Wer das Stück kennt, weiß es, wer nicht, bleibt ratlos.

Die Gewaltbereitschaft zieht sich durch die ganze Inszenierung. Die beiden Liebespaare schleppen sich gebückt durch die Baumstamm-Doppelreihe (großartig: Olaf Altmanns Bühnenbild), der Begehrende klebt dem Liebenden am Hintern. Liebe ist einfach nur Last. Und im Verlauf der falsch gepolten Beziehungen verschütten alle dann heftig ihr Herz-Theaterblut. Netterweise verschütten sie nicht gleichermaßen nach vielem Onanieren ihr Sperma.

Wer wen liebt, ist in dieser Inszenierung völlig egal. Die erst begehrte und dann verschmähte Hermia (Andrea Wenzl) oder die erst verschmähte und dann begehrte Helena (Britta Hammelstein) sind sich im Outfit zum Verwechseln ähnlich, und die Männer (Michele Cuciuffo als Lysander und Norman Hacker als Demetrius, der am Ende noch den Spastiker geben muss) kann man in ihrer Nacktheit (in Socken) auch kaum noch unterscheiden. Man schreit und kreischt um die Wette, schlägt und prügelt - das Bühnenblut muss ja irgendwie gerechtfertigt werden.

Thalheimer zeigt Sexualität wie auf Youporn - schnell und direkt im Zugriff. Nach einer Viertelstunde hat man's begriffen. Und dann wiederholt es sich nur noch. Alle Figuren sind hysterisch übersteigert und exaltiert gewalttätig. Inspiriert von Shakespeares Tiermetaphern hecheln und züngeln sie, erniedrigen sich wie Hunde. Da müssen die Männer bei der Verfolgung der Weiber auch die Hosen runterlassen und am Ende blutverschmiert rumstehen. Nur nutzen sich diese Bilder schnell ab, die beabsichtigte Provokation läuft in die Leere der Langeweile.

Zwei Schauspielern sieht man gern zu: Oliver Nägeles beleibter Puck ist ein hinreißender Sadist, und René Dumont als verklemmt- bürokratischem Handwerker Squenz hätte man das Schlusswort gönnen sollen. Denn das völlig ins Groteske übersteigerte Theaterspiel der Handwerker danach wirkt hier nur noch angepappt und überflüssig. Für Kusejs erstes Intendantenjahr am Resi ist das nach schwachem Auftakt und viel Mittelmaß auch kein glamouröser Abschluss.

Nächste Vorstellungen am 27., 30. Juni, 3. Juli 2012, jeweils 19.30 Uhr, Tel. 089/2185 1940, www.residenztheater.de

Anmerkung der Redaktion (gr., 21.6.12, 11.25 Uhr): Nach einem Leserhinweis wurde die Anfangszeit im Servicehinweis korrigiert. Vielen Dank!

Veröffentlicht am: 21.06.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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Thomas Fischer
05.07.2012 20:11 Uhr

Niemand kann doch ernsthaft im 21. Jahrhundert beim Sommernachtstraum eine romantische Märcheninszenierung erwarten! In dem Stück geht es um Liebe und Sex und Thalheimer gelingt es, das Stück in unsere heutige Zeit zu bringen. Ja, es stimmt: Michele Cuciuffo, der südländische Macho, entblößt schon im 1. Akt sein haariges Gemächt. Norman Hacker ist ab dem 2. Teil splitternackt. Und auch Markus Hering als Zettel irrt nackig durch den Wald. Thisby zeigt viel Dekolete - und wird passenderweise von Wolfram Rupperti gespielt, der über einen immensen Brustpelz verfügt. Onaniert wird allerdings nicht nackt, sondern immer mit Hose. Also ist das doch alles gar nicht so dramatisch, dass man den Saal verlassen muss. Mit Thalheimer und Kusej kommt endlich Großstadttheater nach München - und die Münchner buhen. Kusej hat ja schon angekündigt, in der kommenden Spielzeit weniger radikal sein zu wollen. Das finde ich schade. Dann muss man für großes Theater wieder gen Norden reisen nach Berlin, Hannover, Düsseldorf usw. Vielleicht sollte Herr Kusej 2012/2013 ausschließlich oberbayerischen weiß-blauen Komödienstadl auf die Bühne bringen. Dann sind alle Münchner glücklich. Großes Theater und München, das funktioniert einfach nicht.