Eine persönliche "Heldengeschichte"

Von der Musterung im Hofbräukeller zum Assessment im Karriere-Truck

von kulturvollzug

Kriegsspuren, die bis heute in München sichtbar sind (Foto: Archiv Achim Manthey)

"Die Bundeswehr kommt" - so wird geworben. Von heute an bis kommenden Sonntag (23. bis 28. Juli 2012) parkt in der Messestadt Riem ein Informationsbus der Marine. Dort sollen junge Männer und Frauen informiert werden über den Dienst mit der Waffe - in der Bundeswehr und speziell in der Marine. Auch möchten die Aufklärer den "vielen Vorurteilen in der Öffentlichkeit" begegnen, sagt Oberleutnant zur See Marc Viering, der in München als "Karriereberater" für die Bundeswehr wirkt. Aus diesem Anlass bringen wir einen Auszug aus einem im Herbst erscheinenden Buch unseres Autors Karl Stankiewitz, der sich als 16-jähriger Angehöriger der Marine-HJ für die Offizierslaufbahn bei der Kriegsmarine gemeldet hatte.

Im Dezember 1944 (in den Ardennen brach die letzte Gegenoffensive der Hitler-Truppen zusammen) gelangte ich noch in das "Wehrertüchtigungslager" Glücksburg am Nordrand des kleiner gewordenen Großdeutschen Reichs. Die Ausbildung erstreckte sich hier, laut Bescheinigung, auf folgende "Waffen": "Nahkampfschule mit Gewehr und Spaten, Bewegen im Gelände und eingraben, Gewehr 98 K bis zum scharfen Schuss, Handgranate bis zum scharfen Wurf, MG 34 bis zum scharfen Schuss, Handhabung der Pistore 08, Handhabung der Maschinenpistole 42."

Nach derlei mörderischen Handhabungen war die abschließende Ausfahrt mit einem Dreimaster äußerst angenehm, weil richtig abenteuerlich. Ab und zu durfte einer der Kadetten sogar die Hand ans Steuer legen. Kurs Nordnordost, stampfend und rollend durch den stürmischen Kleinen Belt, anlegen in Apenrade im noch deutschbesetzten Dänemark. Für den Landgang bekam jeder von uns Leichtmatrosen die Mahnung mit, sich nicht durch Fremdgang eine Geschlechtskrankheit zu holen, sowie ein Taschengeld von fünf Kronen. Die verprasste ich in der nächsten Konditorei am Pier, wo es immer noch richtige süße Schlagsahne gab.

Musterung in der Schwemme. Im Hofbräukeller gab's nicht nur Bier, sondern den ersten Vorgeschmack auf Kommandogebrüll (Foto: Achim Manthey)

Daheim musste unser Schülerjahrgang 1928 zur Vorauslese für die Musterung. Fast nackt standen wir im Hofbräukeller vor Medizinern, unter deren weißen Kitteln schwarze Schaftstiefel zu sehen waren. Die Herren Ärzte waren von der SS. Als wir die nötige Disziplin vermissen ließen, brüllten sie uns an: "Unsere Soldaten halten draußen für euch die Köpfe hin und ihr könnt nicht mal das Maul halten." Den meisten der Geröntgten wurde dann mitgeteilt, dass sie "für den Wehrdienst ungeeignet" seien.

Der "vormilitärischen Ausbildung" aberdie eher eine paramilitärische Ausbildung war, entkam keiner. Mag sein, dass die Schießübungen sogar Spaß gemacht haben, dabei gab's auch meist schöne Ab-und Ehrenzeichen. Auch die befohlene Besichtigung von Panzern und Haubitzen, mit denen unsere Truppen soeben so tolle Siege eingefahren hatten, war nicht uninteressant. Und noch lieber kletterten wir auf abgeschossenen Feindflugzeugen herum. Meist war ein hochdekorierter Kriegsheld dabei, der alles und noch mehr erklärte.

Eine verführte Jugend, auch "Pimpfe" genannt (Bild: oh)

Sechzig Jahre später: Wieder klettern Schüler auf Panzerspähwagen herum, wie sie gerade in Afghanistan eingesetzt sind, lassen sich von Gefechten am Horn von Afrika erzählen, besichtigen Helikopter und das größte Kriegsschiff der Marine. Der Bund braucht Soldaten, seit die Wehrpflicht abgeschafft ist. Auf Marktplätzen und Messen wird um die fehlenden Freiwilligen geworben. Bratwürste, Musik und Gewinnspiele gibt es da auch. Freilich geht es da humaner und demokratischer zu als damals. Zeitgeist statt Militarismus. Die 17-jährigen heißen Teenager - und finden den Wanderzirkus mit Kriegsgerät vielleicht sogar "geil". Der Riesenbus, in dem sie angeworben werden, heißt "Karriere-Truck", das Kreiswehrersatzamt, wo sie sich melden können, "Karriere-Center" und die dann fällige Musterung "Assessment".

Gewiss, die Veranstaltungen von damals und heute sind nicht vergleichbar. Etwas erschreckt war ich aber doch, als ich in der "Süddeutschen Zeitung" im Sommer 2012 die Reportage "Schussverkauf" las - und wenige Tage zuvor im Wirtschaftsteil eine große Geschichte über das Milliardengeschäft der in Bayern konzentrierten deutschen Rüstungsindustrie ("Stur wie ein Panzer").

Der Krieg, der dauerte schon bald sechs Jahre, da ereilte mich, den Sechzehnjährigen, doch noch der Ruf des - allerdings nicht mehr ganz funktionsfähigen - Vaterlandes. "Angenommen als Kfrw. Beim 2. Admiral der Nordsee". So steht's im Wehrpass, mit dem Datum 2. Januar 1945 und der Unterschrift des Kapitänleutnants Kollmannsperger vom Wehrbezirkskommando München II.

Der Wehrpass des Autors (Bild: Karl Stankiewitz)

Vorher aber musste ich noch lernen, wie man mit der Panzerfaust den heranrückenden Feind zurückschlägt, nämlich indem man das Rohr auf die Schulter legt, zielt und abdrückt. Zu dieser Übung und zum Anhören letzter Durchhalteparolen war ich mit einigen noch jüngeren Knaben und einigen älteren, eigentlich nicht "wehrfähigen" Männern zum "Appell" vor dem Luftgaukommando in der Prinzregentenstraße angetreten. "Volkssturm" hieß dieses letzte Aufgebot, das gottlob in München nie zum Einsatz kam. (Nur der Kriegsschriftsteller Zöberlein spielte in der oberbayerischen Provinz mit seiner Gruppe noch ein bisschen "Werwolf").

Am 25. Februar war noch einmal die Hölle los in dieser kalten, verwüsteten Stadt. Der 46. Luftangriff forderte nur drei Todesopfer weniger als der schreckliche vom 17. Dezember. Nicht weniger als 1550 schwere amerikanische Bomber kamen an jenem Sonntag in 50 Wellen. Nicht weniger als 5000 Spreng- und 250000 Stabbrandbomben legten insbesondere die Industrieanlagen und die Wasserversorgung lahm, zerstörten Eisenbahnen und Brücken. Danach gab es nur noch "Kleinalarme". Es war nichts mehr zu zerstören.

Am 13. März erhielt ich auf zerzaustem Papier die Mitteilung, meine "Einstellung in die Kriegsmarine" werde voraussichtlich zum 14. April erfolgen. Einrücken sollte ich in Wilhelmshaven. Ich sollte noch den Nachweis arischer Abstammung mitbringen und vorher kariöse Zähne vollständig in Ordnung bringen. Der Brief kam aus der meerfernen Stadt Wien, wo ich im November die Offiziersprüfung absolviert hatte. Die Hinfahrt hatte eine ganze Nacht gedauert, denn der Zug musste wegen der Tiefflieger einen weiten Umweg fahren über Kärnten und die Steiermark. Ich fror erbärmlich, die Fenster des Waggons waren zerbrochen.

"Nach Wilhelmshaven fährst du auf keinen Fall", bestimmte meine Mutter Courage. Ich folgte brav. Um den späteren Spötter Loriot zu zitieren: "Meinem Bedarf an Heldentum wurde weitgehend entsprochen." Mutter "versteckte" ihren kriegsfreiwilligen Buben in der Wohnung des mit ihr befreundeten Apothekers Jacobi in der Münchner Widenmayerstraße (wo ich seither wohne).

Die Eisenbahnfahrt an die Nordsee wäre schon deshalb nicht mehr möglich gewesen, weil ich im April unterwegs auf feindliche Truppen gestoßen wäre. Doch vor den "Feldjägern", den überall herumschnüffelnden Suchkommandos von Wehrmacht und SS, war höchste Vorsicht geboten. Auch Jugendliche griff dieser "Heldenklau" auf und schickte sie sofort an die nahende Front. Solche Typen galten ohne weitere Umstände als Streuner. Und das waren wir ja tatsächlich, nachdem sämtliche Schulen seit dem 14. Februar geschlossen waren.

Karl Stankiewitz

Das von Autor angekündigte Buch wird im Hess-Verlag erscheinen und den Titel "Eine Jugend in München 1939 - 1949" tragen; das Geleitwort verfasste Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel.

Anm. d. Red. (28. Juli 2012, 22 Uhr):  Der Autor hat die Redaktion darauf aufmerksam gemacht, dass die im Text erwähnte SZ-Reportage den Titel "Schussverkauf" trug, und nicht, wie hier zunächst geschrieben, "Schlussverkauf". Es handelte sich womöglich um einen Irrtum des Redigats. Die Textstelle wurde entsprechend korrigiert.

Veröffentlicht am: 23.07.2012

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