Historische Pflanzenfotos

Die Erotik der Schwertlilie - Wie Natur die Fantasie fördert

von Achim Manthey

Equisetum hyemale, Winterschachtelhalm in 25-facher Vergrößerung (c) Bayer. Staatsgemäldesamm-lungen, Sammlung Moderne Kunst

Die Sammlung Moderne Kunst der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hat 75 Originalfotografien des Berliner Lehrers und Lichtbildners Karl Blossfeld erworben und präsentiert sie in der Pinakothek der Moderne in einer aufregend stillen Schau.

So hat man Pflanzen selten gesehen. Die Amerikanische Rotbuche auf dem vor 1928 enstandenen Bild könnte auch einen indianischen Totempfahl darstellen, die Aufnahme einer Scharfgarbe kommt wie das Szepter eines aztekischen Fürsten daher und die Blüten des Orientalischen Mohns wirken wie gerade ausgegrabene antike Gefäße. Dabei zeigen die Fotografien lediglich das, was die Natur hergibt. Dies allerdings gestochen scharf und bis ins kleinste Detail.

Karl Blossfeld war kein Fotograf im klassischen Sinne. 1865 in Schiedo im Harz geboren lässt er sich zunächst zum Kunstgießer ausbilden. Schon hier beginnt er, in seiner Arbeit pflanzliche Motive aufzugreifen. Während des anschließenden Studiums der Bildhauerei und Formgestaltung an der Königlichen Kunstgewerbeschule in Berlin lernt er den Künstler Moritz Scheurer kennen, der große Visionen von der Erneuerung der akademischen Kunstausbildung verfolgt. Auf Reisen nach Italien entstehen erste fotografische Unterrichtsmaterialen für ornamentale Gestaltung, die Grundlage werden sollten für die Pflanzenstudien als integralem Bestanddteil der künstlerischen Schulung.

Eryngium maritimum, Stranddistel in 4-facher Vergrößerung (c) Bayer. Staatsgemaldesamm-lungen, Sammlung Moderne Kunst

Blossfeldt beginnt 1898 zunächst als Assistent seine Lehrtätigkeit an der Berliner Unterrichtsanstalt, wird Dozent und Professor und lehrt dort bis 1930. Er stirbt 1932 in Berlin.

Für das von ihm vertretene Unterrichtsfach "Modellieren nach Pflanzen" nutzt er neben frischen und getrockneten Exponaten zunehmend die fotografische Darstellung. Hierfür entwickelt er schon früh ein eigenes, gleichbleibendes System: Was er in Feld, Wald und Wiese sammelt wird isoliert, drappiert, hingebogen und vor neutralem Hintergrund mit einer - wohl selbst gebauten - Plattenkamera abgelichtet. Die Darstellung von Form und Aufbau der unterschiedlichsten Pflanzen in ihrer unendlichen Vielfalt entsteht in der Dunkelkammer. Details werden ausgeschnitten und bis zu 40-fach vergrößert auf Glasplatten gebannt. Die Ergebnisse erregen Aufsehen, auch wenn die Fotografien zunächst nur in der Lehre eingesetzt werden. 1926 stellt die renommierte Berliner Galerie Nierendorf einige Fotografien in Kombination mit afrikanischer Kunst aus, 1928 erscheint sein bahnbrechender Bildband "Urformen der Kunst".

Papawa orientale, Orientalischer Mohn in 8-facher Vergrößerung (c) Bayer. Staatsgemäldesamm-lungen, Sammlung Moderne Kunst

Und so nebenher hat der fotografische Autodidakt eine neue Stilrichtung in der Lichtbildnerei zumindest mitbegründet: Die Neue Sachlichkeit. Eine dokumentarische, schnörkellose Sichtweise, kombiniert mit präziser Augfnahmetechnik boten eine neue Sicht auf die Dinge. Albert Renger-Patzsch, August Sander und viele andere folgten und vervollkommneten die Richtung. Bis in die 1970er Jahre beriefen sich auch Hilla und Bernd Becher auf den Künstler.

Blossfeldt nannte seine Bilder gern "Pflanzenurkunden". Die Aufnahmen sollen, schreibt er im Vorwort zu seinem Buch "Wundergarten der Natur", "dazu beitragen, die Verbindung mit der Natur wieder herzustellen". Die Umsetzung dieser Absicht macht die Bilder bis heute gültig.

Die Fotografien führen zurück auf die Grundformen der Natur. Zugleich wecken sie Assotiationen. Die Schwertlilie erinnert an die weibliche Anatomie, eine Hortensie wird zum turbantragenden Gesicht, der Mannstreu zur stählernen Waffe. Und wer hat schon mal Büschelschön, Kalmie, Osterluzei oder Hirschzunge gesehen?

Die Schwarz-Weiß-Bilder, die zuweilen in leichtes Sepia übegehen, beeindrucken. Es ist die Ästhetik der reinen Form, die den Berachter still hinschauen lässt.

Bis zum 21. Oktober 2012 in der Pinakothek der Moderne, Saal 11, Di-Fr. 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr. Ende September 2012 erscheint die Monografie Karl Blossfeldt bei Patrimonia, 19 Euro.

 

Veröffentlicht am: 24.09.2012

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