Terunobu Fujimori in der Villa Stuck

Teehaus auf Stelzen - "Höher als Menschen, niedriger als Götter"

von Barbara Teichelmann

Walking Café im Garten Villa Stuck (Foto: Bernd Schuller)

Seine Gebäude sehen aus wie gelandete Träume: märchenhaft unwirklich, wundersam fragil und archaisch abstrakt. Seine intimen Teehäuser sind eine magische Mischung aus Stelzengeher, Raumschiff und Bienennest - kein Wunder, dass Terunobu Fujimori als "surrealer Architekt" bezeichnet wird. Für die umfassende Werkschau in der Villa Stuck in München hat der Japaner jetzt sein erstes mobiles Teehaus entwickelt.

Es ist die alte Geschichte von der Realität, die das Ideal auffrisst, um selbst leben zu können. Und je nachdem, wie klar und kühn die Idee war, hinterher bleibt mehr oder weniger davon übrig. Dass das nicht so sein muss, lehrt uns Terunobu Fujimoris Architektur. Der Japaner entwirft, oder sagen wir erträumt Gebäude, die wie phantastische Ideen im Raum stehen, unwirklich und abstrakt. Sein Architektenfreund Toyo Ito sagte einmal zu ihm: "Deine Architektur hat wirklich keine Wurzeln in der Erde. Sie sieht aus, als wäre sie von irgendwoher aus der Welt kommend sanft an dieser Stelle gelandet." So auch sein jüngster Bau, ein Teehaus, dass Fujimori im Auftrag der Villa Stuck entworfen und zusammen mit Handwerkern, TU-Studenten und Kindern gebaut hat: Es schwebt ein paar Meter über der Erde, hat einen dicken Bauch, vier Beine und man kann mit ihm durch die Welt fahren. Ein Garagenrelief des automobilbegeisterten Franz von Stuck, das die griechische Siegesgöttin Nike auf einem Luftreifen stehend zeigt, brachte ihn auf die Idee, ein Teehaus auf Rädern zu entwickeln. Für die rundliche Form ließ sich Fujimori von Pieter Bruegels Gemälde "Schlaraffenland" in der alten Pinakothek inspirieren, auf dem ein gut gemästetes Schwein, mit einem Messer im Rücken, knusprig-praktisch durch die Landschaft läuft. "Walking Café", der offizielle Name, ist ein Zugeständnis an die deutsche Kaffeetrinkerei und eine Referenz an das utopische Projekt "Walking City" (1964) der britischen Architektengruppe "Archigram". Bei allen Inspirationsquellen, Bezugspunkten und Querverweisen, die der 65-jährige mit sich herumträgt, sind seiner Werke aber vor allem eines: unverwechselbar und einzigartig.

Historisches Museum für die Priesterfamilie Moriya (Foto: Akihisa Masuda, Städt. Kunstmuseum Chino)

Nach seinem Architekturstudium entschied sich Fujimori gegen die Praxis, schlug die akademische Laufbahn ein und arbeitete als Architekturhistoriker an der Universität Tokyo. 15 Jahre lang erforschte und dokumentierte er die japanische Moderne, bevor er mit 44 Jahren anfing, den ersten eigenen Entwurf umzusetzen: Das historische Museum für eine alteingesessene Priesterfamilie in seinem Heimatdorf war ein sehr persönliches Projekt. Dabei ignorierte und unterlief er sämtliche Normen und Konventionen, sodass die Reaktionen sehr gemischt ausfielen. Die Dorfbewohner hatten sich etwas Moderneres gewünscht, die meisten Architekten verstanden nicht, was er wollte. Toyo Ito: "Für einen mit der Moderne vertrauten Architekten sieht der Bau wie das Werk eines Verrückten mit einem sehr ausgefallenen Geschmack aus." Mittlerweile ist Fujimori ein erfolgreicher Architekt, sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, 2006 vertrat er sein Land auf der Architektur-Biennale in Venedig.

Ichiya-tei, Teehaus für eine Nacht 2003 (Foto: Akihisa Masuda, Städt. Kunstmuseum Chino)

Natürlich beeinflusste ihn sein enormes theoretisches Wissen bei seinen Entwürfen, vor allem aber wirkte sich die kreative Praxis auf seine Forschungstätigkeit aus. "Nachdem ich angefangen hatte zu bauen, suchte ich nur noch nach dem, was mir gefiel. Ich verlor mein Interesse an der Architektur nach der Renaissance und auch an gotischen Bauten." Ab sofort interessierte er sich für präromanische Architektur und landete schließlich bei den Standing Stones der Jungsteinzeit: "Wegen der Schwerkraft liegen Steine meist in der Horizontale, in diesem Zustand wird der Stein nicht wahrgenommen, ist nicht Teil des Bewusstseins. Das wird er erst durch die Aufrichtung, und das ist eine erste Verbalisierung menschlicher Vernunft. Bauen als Akt der Bewusstseinswerdung." Diese Erkenntnis begeistert ihn so, dass er über den Tisch greift, Notizblock und Stift klaut und zu zeichnen beginnt: einen liegenden Stein, einen stehenden Stein, die Pyramiden und überhaupt gleich die ganze Geschichte der Architektur von der Bronzezeit bis heute. "Es gibt zwei internationale Stile: Einen am Anfang in der Steinzeit und einen, der das ganze 20. Jahrhundert beherrschte. Die Geschichte der Architektur hat die Form eines in Papier eingewickelten Bonbons. An seinen verzwirbelten Enden befinden sich die beiden internationalen Architekturbewegungen und in der Mitte sind die verschiedenen regionalen Vorlieben verpackt." Und wo verortet er sich beziehungsweise seine Bauten? "Der Ausdruck meiner Architektur ist inspiriert von der Steinzeit und zielt auf den ersten internationalen Stil ab, während er in der Mitte des zweiten internationalen Stils situiert ist. Aber darüber habe ich nicht nachgedacht, als ich begann, Häuser zu entwerfen." Die theoretische Sicht kam erst viel später, nach "langem Grübeln".

Dachhaus 2009 (Foto: Akihisa Masuda, Städt. Kunstmuseum Chino)

Fujimori unterscheidet grundsätzlich zwei Arten von Architektur, die "weiße" und die "rote". Weiß steht für glatte Eleganz, für Beton, Stahl und Glas. Rote Architektur ist archaisch, rau, primitiv und verwendet natürliche, möglichst wenig bearbeitete Materialien wie Holz, Lehm oder Stein. Der Architekt prophezeit: "Um als Menschheit überleben zu können, müssen wir rot werden. Mein Werk ist Blutrot."

Diese Haltung hat nichts mit dem seelenlosen, rein pragmatischen Umweltschutz der CO2-Reduktion zu tun, sondern ist Ausdruck einer tief empfundenen religiösen Naturverbundenheit. Die Tradition des Shintoismus, also der Glaube, dass alles Leben auf der Erde aus der Natur kommt und auch wieder dorthin zurückkehrt, spielt in Fujimoris Werk eine wichtige Rolle. Auf die Frage, was es ist, das die Natur für ihn zum Ideal macht, antwortet er: "Das ist, als ob man einen Christen fragt, was an Gott gut ist." Alles sinn- oder unsinnhaft miteinander verbunden. So wie in den Geschichten des japanischen Regisseurs Hayao Miyazaki. Und wer die Bauten des einen und die Filme des anderen kennt, ist nicht überrascht, dass die beiden miteinander befreundet sind. Fujimoris Häuser könnten aus Miyazakis Filmen herausklettern und Miyazakis Ideen in Fujimoris Häusern entstanden sein. In dem Anime-Film "Das wandelnde Schloss" von 2004 schnauft, klappert und knarzt ein magisch-phantastisches, bewohnbares Etwas durchs Land. Auch Fujimoris Häuser kann man als beseelte Organismen begreifen, in deren Innerem man Abstand, Ruhe und vielleicht auch Freiheit findet. Architektur erschafft Räume, die vorher nicht da waren. Fujimori erschafft kleine Parallelwelten. Besonders deutlich wird das bei seinen Teehäusern: "Mich interessiert der Raum als grundlegende Einheit von architektonischer Größe. Wenn ich ein Teehaus entwerfe, stelle ich mir immer ein Atom vor."

Fliegendes Lehmboot 2010 (Foto: Akihisa Masuda, Städt. Kunstmuseum Chino)

Wer Flügel hat, ist klar im Vorteil, die anderen müssen ihre Höhenangst überwinden und eine Leiter zur Hilfe nehmen, denn Fujimoris Teehäuser stehen meist auf Stelzen oder hängen in der Luft. Als wollten sie sagen: Die Realität ist zwar das Eine, aber nicht das Wesentliche. Fujimori lächelt und sagt: "Höher als Menschen, niedriger als Götter." Dann zieht er seine Crocs aus und macht sich leicht- und strumpffüßig auf den Weg nach oben. "Die Höhe ist eine Vehikel, um in eine andere Welt einzutauchen," erklärt er, "beim Nachobensteigen ist man hochkonzentriert, nimmt die Umgebung nicht mehr wahr und findet sich dann plötzlich in einer anderen Welt - im Inneren - wieder. Dazu kommt, dass man eine neue Perspektive gewinnt." Es ist, als ob man in den eigenen Kopf klettert, um sich dort von sich selbst auszuruhen. Kein Wunder, dass Fujimori als "surrealer Architekt" bezeichnet wird. Er beschreibt die Tiefenwirkung seiner Teehäuser so: "Es ist eine spirituelle und kommunikative Erfahrung, das abgeschlossene Innere lädt ein, sich vom Alltag zu lösen." Eine Erklärung, warum man sich so wohlfühlt in dieser luftigen Höhe, ist, dass Fujimori die "Technik in Natur einwickelt", das Auge nimmt nur natürliche Materialien wie Holz oder Stein wahr: "Das ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Wissenschaft und Technik sind hervorragende Beweise und Leistungen menschlicher Intelligenz. Aber die meisten Leute werden, wenn sie einen Fluss betrachten, kaum an den Wasserkreislauf denken. Ich vermute, dass Wissenschaft und Vernunft auf einer anderen Ebene stattfinden als das tägliche Leben. Deshalb wickle ich Technik und Wissenschaft in Natur ein."

Walking Café bei Nacht, München 2012 (Foto: Bernd Schuller)

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Eigenständigkeit des Innen und Außen. Seit Bauhaus ist diese Unterscheidung so gut wie aufgehoben, Fujimori aber begreift die Innen- und Außenwirkung eines Gebäudes als etwas völlig anderes: "Das erste Mal, dass mir das so richtig bewusst wurde, war beim Anblick der Kathedrale von Chartes. Von diesem überwältigenden Eindruck der Außenwelt wird man erst befreit, wenn man hineingeht, dort hat man ein ganz anderes Erlebnis." Von der Raumintensität sind seine Innenräume am ehesten mit dem Barock zu vergleichen und funktionieren ähnlich wie Skulpturen: Sie stellen den Raum und damit den Menschen in ihm in Frage. Können Räume Menschen verändern? "Das plant man ja nicht," wehrt Fujimori ab, "und das ist auch nicht meine Intention." Etwas bewusst bewegen oder verändern zu wollen, geht völlig gegen seine Natur und die japanische Geistestradition. Und so antwortet er auf die Frage, ob sein Werk als Gegenentwurf zur modernen Architektur gelesen werden kann: "Im Ergebnis ja. Aber das ist nicht meine Motivation, meine Bauten sind kein Kommentar."

Diese absichtslose Leichtigkeit ist für zweckorientierte Europäer schwer zu greifen. Unsere Maßstäbe sind zu konkret, als dass man damit messen könnte, was das Eigentliche seiner Ideen ausmacht. Schon wieder: messen. Seine Architektur soll nicht gewogen und für gut oder schlecht befunden, sie soll einfach nur wahrgenommen werden.

Bis zum 23. September 2012 in der Villa Stuck, Di-So 11-18 Uhr. Das Teehaus "Walking Café" ist Teil der Ausstellung "Terunobu Fujimori. Architekt - Werkschau 1986-2012", die rund 140 Arbeiten, darunter Modelle, Zeichnungen, Architekturpläne und Fotografien, zeigt. Katalog bei Hatje Cantz, 35 Euro.

 

Veröffentlicht am: 06.09.2012

Über den Autor

Barbara Teichelmann

Redakteurin

Barbara Teichelmann ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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Irene Ricci
06.09.2012 15:39 Uhr

Ein sehr erschöpfender Bericht über die Ausstellung, jedoch kein Wort über die Person, die diese aufwändige Ausstellung organisiert hat. Ein großes Lob dieser Person. Ich wüsste gern, wer so etwas Feines auf die Beine gestellt hat.