Interview mit Pippo Pollina

„Vor der Musik sind wir alle nackt“

von kulturvollzug

Pippo Pollina beim Interview in München (Foto: Thomas Jordan)

Ein Gespräch mit dem sizilianischen Liedermacher Pippo Pollina über die Wirkung der Musik, eine gemeinsame kulturelle Sprache Europas und seine Anfänge als Straßenmusiker.

Wenn der italienische Liedermacher Pippo Pollina bei einem seiner Lieder die Mundwinkel leicht nach hinten einkräuselt, dann meint man sehen zu können, wie sensibel dieser so nachdenklich und oft schüchtern wirkende Künstler ist, der heute zu den erfolgreichsten italienischen Sängern in Deutschland zählt. Diese Sensibilität drückt sich auch in seinen Liedern aus, mit denen er zum Fühlen und zum Denken anregen will. Nach einem Anschlag der Mafia auf seinen Chefredakteur machte sich der damalige Journalist im Jahr 1984 mit 21 Jahren vom heimischen Palermo aus zu einer Weltreise auf, die er bis heute musikalisch fortführt. Pollina tourt zur Zeit mit seinem Soloprogramm „Über die Grenzen trägt uns ein Lied“ durch Deutschland, am 23. September präsentiert er zusammen mit Werner Schmidbauer und Martin Kälberer im Funkhaus des Bayerischen Rundfunks sein neues Album „Süden“.

Herr Pollina, Sie zählen zu einem der international bekanntesten „cantuatori italiani“, die Süddeutsche Zeitung nannte sie einen „wirklich großen Poeten“ – woraus schöpfen sie die Texte und die Melodien ihrer Lieder?

Ich versuche in meinem Alltag ein aufmerksamer Beobachter zu sein und sammle Geschichten, die ihre Form dann in meinen Liedern finden. Aufmerksamkeit meiner Umwelt gegenüber ist mir sehr wichtig  – nur so kann ich erkennen, dass oftmals die kleinen Geschichten die großen Geschichten sind. Die vielen verschiedenen Helden, die wir im Alltag treffen und die wir nicht als Helden erkennen  – das sind die Menschen, die uns das Leben einfach und wertvoll machen, und das ohne große Gesten. Als Künstler kann ich diese Menschen feiern.

Aus Liedern wie Passa il Tempo klingt eine gewisse nachdenkliche Traurigkeit über den Lauf der Dinge, – würden sie sich als melancholischen Menschen beschreiben?

Ja, unbedingt. Melancholie ist für mich kein negatives Gefühl, eshat auch nichts mit Traurigkeit zu tun. Im Gegenteil, Melancholie ist ein wunderschönes Gefühl. Es meint, eine leidenschaftliche Einstellung zum Leben zu haben – die aber immer bereit für etwas Neues ist und Vergangenheit nicht nur mit Nostalgie verbindet. Am Ende eines melancholischen Gefühls steht immer ein süßer Geschmack.

„Mein schönstes Lied werde ich morgen schreiben“

Für ihr Album „Fra Due Isole“ gingen Sie mit einem vollbesetzten Symphonieorchester auf Tour, In ihrem aktuellen Soloprogramm, „über die Grenzen trägt uns ein Lied“ lesen Sie neben ihrer Musik  am Bistrotisch aus ihrer Biographie und zeigen zwischendurch Filmclips -  was reizt sie ganz persönlich noch nach 25 Jahren an der musikalischen Ausdrucksform?

Man kann sich immer verbessern. Das ist das Geheimnis des Musikers, der morgens um sieben Uhr im Hotelzimmer auf seinem Instrument die Lieder übt, die er schon in- und auswendig kennt. Ich hoffe immer, mein bestes Lied wird dasjenige sein, das ich morgen komponiere – das soll mein schönstes Lied überhaupt werden. An dem Tag, an dem ich das Gefühl habe, ich habe alles gegeben, werde ich ganz sicher aufhören – das ist eine Frage des Respekts sich selbst und dem Publikum gegenüber.

Sie sind ein Suchender.

Ich suche immer eine Entwicklung. Jeder Abend, an dem ich auf der Bühne stehe, ist anders – ein anderer Raum, ein anderes Publikum, eine andere Einstellung – ich selbst bin jeden Abend fast ein neuer Mensch. Eigentlich sollte man mit dieser Einstellung jeden Beruf ausüben. Es liegt an uns, diese Einstellung bei sich selber wachsen zu lassen.

„Die Musik schlägt Brücken zwischen Menschen und Kulturen“

Immer wieder ist in Artikeln über Sie vom Poeten Pippo Pollina, vom Intellektuellen, die Rede – in welchem Verhältnis stehen bei ihnen Geist und Gefühl?

Als junger Mensch war ich sehr kopflastig. Ich war von Natur aus klein und schmächtig und mein Ausdrucksmittel war mein Intellekt – er stellte für mich eine Art des Selbstschutzes dar. Mit der Zeit habe ich gelernt, wie wichtig es ist, seinen Emotionen Raum zu geben. Man muss sich nicht schämen, Gefühle zu haben und sie zu zeigen – ganz im Gegenteil: Die eigene Verletzlichkeit zu zeigen, kann zu einer Stärke werden. Als ich verstanden hatte, dass mich niemand verletzen kann, außer ich mich selbst, fiel es mir immer leichter, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Kopf und Herz. Vielleicht bedeutet mir die Emotionalität sogar inzwischen mehr als der Intellekt – er hat für mich mit den Jahren an Bedeutung verloren.

Deutsch-italienische Freundschaft: Kälberer, Pollina und Schmidbauer (Foto: www.suedenmusik.com )

Sie sind einer der ganz wenigen Liedermacher, die in mehreren Sprachen singen – in Deutschland kooperieren sie eng mit den Musikern Werner Schmidbauer und Konstantin Wecker – was passiert, wenn sizilianische und bayerische Musik und Sprachgewalt aufeinandertreffen?

Es passiert genau das, was das Wesen der Musik ausmacht – es entstehen Brücken, Brücken zwischen Menschen und Brücken zwischen Kulturen. Musik trägt enorm zur Verbindung der Menschen bei – sie macht, dass wir uns besser verstehen, dass wir uns besser kennenlernen, und dass wir besser einsehen, was im Leben wirklich zählt. Wir erkennen dann, dass wir auf diesem Planeten alle Interpreten eines Lebens sind, das sich nur in unterschiedlichen Ausprägungen zeigt. Die Musik ist eine Sprache, die keine Barrieren kennt – ihr gegenüber sind wir alle nackt. Dieses Verbindende ist das Geheimnis der Musik. Auf meiner Tour mit Werner Schmidbauer und Martin Kälberer spielen wir in Deutschland, in der Schweiz und in Italien – wir wissen, dass nur ungefähr 20 Prozent des Publikums die Sprache des anderen verstehen, aber darauf kommt es nicht an. Wir spielen unsere Musik und erklären ein bisschen - der Rest geschieht von alleine.

„Eine gemeinsame soziale und kulturelle Sprache für Europa finden“

Il mondo e la mia patria, il mondo e la mia via – die Welt ist meine Heimat, die Welt ist mein Weg – sie sind in Sizilien geboren, waren auf Weltreise, leben jetzt in der Schweiz und touren durch Deutschland - wie haben Sie dabei diesen Kontinent Europa und seine Bewohner wahrgenommen – haben Sie in allen diesen Ländern etwas Gemeinsames, etwas Europäisches wahrgenommen?

Das ist eine interessante Frage, besonders mit Blick auf die heutigen Schwierigkeiten Europas. Das Problem ist, dass man dieses Projekt mit den falschen Mitteln begonnen hat: Man dachte, vereinigen wir uns zunächst wirtschaftlich, kreieren wir den Euro – das war falsch. Man braucht zunächst ein gemeinsames europäisches Gefühl – man muss sagen können: Ich bin auf einem Kontinent aufgewachsen, der eine Rolle in unserer gemeinsamen Geschichte gespielt hat. Diese 350 Millionen Menschen in Europa müssen nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch sozial und kulturell eine gemeinsame Sprache finden. Durch die momentane wirtschaftliche Krise ist ein großer Schaden entstanden – die Idee der Gemeinsamkeit in der europäischen Bevölkerung geht wieder zurück – im Namen einer Regionalität, die langfristig gesehen sehr kurzsichtig ist.

In dem Lied „Empört euch!“ singen sie zusammen mit Konstantin Wecker die Zeilen, „die Menschenwürde hieß es, wäre unantastbar, jetzt steht sie unter Finanzierungsvorbehalt“. Erleben wir gegenwärtig im Schatten von Finanz- und Eurokrise einen Rollback humanistischer Errungenschaften der letzten Jahrhunderte?

Es ist noch zu früh, das zu sagen, wenngleich die ersten Voraussetzungen für diesen Rollback da sind. Ich habe aber immer noch die Hoffnung, dass die führenden Politiker unseres Kontinents die Arbeit an der Europäischen Union, die sie begonnen haben, fortsetzen werden und dazu bereit sein werden, etwas von der eigenen Nation im Namen einer Gemeinschaft zu opfern. Ich hoffe sehr, dass die Entwicklung in diese Richtung laufen wird.

„Wir Südeuropäer beherrschen die Kunst der Improvisation“

Mit Blick auf die Probleme der südeuropäischen Euro-Staaten - sie wuchsen im sizilianischen Palermo auf und erlebten von klein auf innerhalb ihres Landes ein starkes wirtschaftliches Nord-Süd-Gefälle  - wie gehen die Menschen in Sizilien mit den starken Kontrasten um?

Diese Unterschiedlichkeit ist das Resultat der Geschichte – die Industrialisierung erfasste den Norden, im Süden blieb die Landwirtschaft stark. Auch die Kriminalität - die Mafia - spielt eine bedeutende Rolle für den gegenwärtigen Zustand Süditaliens. Dennoch versuchen wir im Süden unsere Nachteile zu kompensieren: Unser Sozialnetz ist beispielsweise viel stärker als im Norden, das Klima ermöglicht es uns, viel mehr im Freien zu machen. Es war immer die Kunst der Südländer, zu improvisieren – sich spontan eine Idee einfallen zu lassen, mit der es dann weitergeht.

Was halten sie von der Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten, wie sie Frau Merkel vorschlägt?

Schon vor 50 Jahren war klar, dass Griechenland, Portugal und Irland nicht die gleiche Wirtschaftskraft wie Deutschland oder Holland besitzen – was will Frau Merkel nun, wenn sie von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten spricht? Möchte sie einen Beitrag dazu leisten, dass sich die zwei Geschwindigkeiten annähern, oder will sie die Unterschiede noch vergrößern? Ich denke dass die stärkeren Volkswirtschaften Europas von dieser Krise sogar profitiert haben – und in diesem Sinne wäre es nicht nur unsolidarisch sondern auch unverantwortlich Europa jetzt nicht politisch zu retten.

Welche Rolle kann Kunst und Musik in dieser Krisensituation spielen? Reicht es aus, eine musikalische „Reise in den Süden unserer Herzen“ anzubieten?

Nein, die Aufgabe für uns Musiker ist ganz einfach: Emotionen zu schenken und die Menschen zum Denken zu bringen – unsere Aufgabe ist es nicht, die Leute zu überzeugen, wie die Welt sein soll. Musik kann Menschen zu einer sensiblen Einstellung gegenüber dem Leben führen, denn die Musik ist eine feine Kunst und die Menschen haben diese Feinheit manchmal vergessen. Als Musiker müssen wir versuchen, die Menschen mit unserer Musik in einen Zustand zu bringen, in dem sie Lust haben, über die Welt und das Leben reflektieren. Wohin sie diese Reflexion dann bringt, das liegt bei jedem Menschen selbst.

In ihrer Heimatstadt Palermo arbeiteten sie als Journalist der Monatszeitschrift „ I Siciliani“,  bis im Jahr 1983 der Chefredakteur einem Anschlag der Mafia zum Opfer fiel. Was fühlten sie in dem Moment, als sie es erfuhren?

Das war ein harter Schlag. Obwohl mir klar war, dass das, was wir gemacht haben, gefährlich war, hätte ich nicht erwartet, dass sie sich trauen würden, Giuseppe Fava zu ermorden. Wenn die anderen schießen und du keine Waffen hast, weil deine Mittel in diesem Krieg keine Bedeutung haben – dann kannst du nichts ausrichten. In diesem Sinne hatte ich starke Resignationsgefühle. Vielleicht war das auch der Grund, weswegen ich mich dazu entschieden habe, Sizilien zu verlassen.

„Als Straßenmusiker lernst du, im Moment zu leben“

Sie gingen nach dem Anschlag auf ihren Chefredakteur auf Weltreise und verdienten ihr Geld als Straßenmusiker – wie empfanden sie das Leben auf den Straßen der Welt?

Der Zeitpunkt, zu dem ich das gemacht habe, war für mich genau richtig. Ich habe die Dimension der Zeit ganz anders erlebt – ich habe in der Gegenwart gelebt – wozu wir heute überhaupt nicht mehr in der Lage sind. Wir planen heute alles und dabei leben wir in der Zukunft, wenn wir um Fragen kreisen wie: Wo werde ich arbeiten, welche Projekte, welche Fehler werde ich machen? Als Straßenmusiker ist man in einer ganz anderen Situation – da muss ich versuchen die Leute im Moment festzuhalten, sie zu unterhalten – das war eine sehr romantische Angelegenheit.

Ein sozialer Abstieg?

Auf keinen Fall – ich hatte Jura studiert um Journalist zu werden, und innerlich war ich schon bereit für diesen Schritt, ich habe nur noch auf den richtigen Moment gewartet. Gleichzeitig wusste ich aber, dass diese Phase nicht ewig dauern würde. Ich bin kein Mensch, der mit 60 Jahren noch unter einer Brücke lebt. Es war eine Erfahrung, die ich in den Jahren, in denen ich jung war, machen wollte und machen konnte und sie musste für mich mit einem Sinn verbunden sein. Ich habe in dieser Zeit sehr viel reflektiert und viele Leute kennengelernt. Diese Zeit war für mich wirklich ein Schatz.

Wie kam es dazu, dass sie nach drei Jahren das Leben als Straßenmusiker aufgegeben haben?

Irgendwann habe ich gesehen, dass die Leute nicht mehr auf die Straße gingen und neugierig waren, zu sehen, was in den Piazze passiert. Dazu kam, dass Mitte der 80er Jahre mit dem Walkman ein Gerät auf den Markt kam, das vorher nicht existiert hatte. Ab diesem Zeitpunkt sind die jungen Menschen mit ihrer eigenen Musik in den Ohren auf die Straße gegangen – sie waren nicht mehr bereit, zu hören, was live passiert, sie wollten sich nicht mehr überraschen lassen. Da war für mich eindeutig klar: In sechs Monaten ist alles vorbei, die Figur des Straßenmusikers wird verschwinden, so wie andere Figuren der Geschichte verschwunden sind.

Passa il tempo – die Zeit vergeht und die Dinge ändern sich –  ihr aktuelles Album „Süden“ stand schon am ersten Verkaufstag auf Platz 10 der Amazon-Verkaufscharts – verändert der Erfolg die Menschen?

Das kann passieren. Es liegt aber an den Menschen selbst, wie sie mit dem Erfolg umgehen – manche sind wie ausgewechselt, manche interessieren sich gar nicht für den Erfolg. Aber eines ist sicher: Wenn du als junger Mensch vom Erfolg berührt wirst, ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sich dein Leben verändern wird, als wenn du schon voll im Leben stehst – dann freust du dich über so etwas zwar, dein Leben geht aber ziemlich sicher ganz normal weiter.

Das Gespräch führte Thomas Jordan.

Pippo Pollina ist am 23. September 2012 in einem „Hautnah“-Konzert des Bayerischen Rundfunks zusammen mit Werner Schmidbauer und Martin Kälberer ab 19:00 Uhr zu hören. Für das Konzert gibt es keine Karten im Vorverkauf, sie werden "on air" verlost.

Veröffentlicht am: 20.09.2012

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janina
20.01.2013 18:03 Uhr

Herzlichen Glückwunsch an Thomas Jordan für das gelungene Interview... Pippo Pollina ist ein interessanter Musiker, der etwas zu sagen hat, was ihm in den meisten Interviews nur teilweise gelingt, weil er durch schlechte Fragen daran gehindert wird... Bei Ihnen ist ein toller Künstler auch toll präsentiert worden. Das nenne ich vernünftigen Journalismus.