Vier Heilige Drei Könige bringen christliche Jazzfreude: Das Andy-Lutter-Quartett mit Weihnachtsliedern in der Unterfahrt

von kulturvollzug

Der Andy Lutter hat immer ein bisschen den Valentin-Schalk. Er stellt die Band am Vorabend von Weihnachten als „ganz famose Band aus Haidhausen mit einem Hasenbergler“ vor. Schon da deutete sich ein gewisses Spannungsverhältnis von drei gegen vier an, gemeint ist natürlich in musikalischer Hinsicht, nicht in menschlicher. Alex Haas, der meistens gebeugt über den hohen Lagen des Kontrabasses hing, grinste immer, wenn er aufblickte. Sunk Pöschl am Schlagzeug, wie immer stark unter Spannung, fletschte die Zähne wie bei einem sehr heißen Aufguss in der Sauna. Uli Wangenheim stand entrückt wie ein wachender Engel an Tenorsaxophon und Bassklarinette, und Andy Lutter arbeitete stoisch an Monk-artigem Tastenfunk.

Das Quartett hatte es sich aus gegebenem Anlass zur Aufgabe gemacht, Weihnachtslieder zum Besten zu geben. Das gelang rundum – augenzwinkernd und mit sinnlich-besinnlichen Tiefen. Und nebenbei hat unsereiner als Liedmuffel der Stillen Nacht eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Weihnachtsliedern bekommen. Im Publikum entwickelte sich ein inneres Quiz: Erkennen Sie die Melodie? Die wurde durch Uli Wangenheim meistens sehr gedämpft, manchmal geradezu in Watte bekannt gegeben, und leicht ging das noch bei „Oh du fröhliche“. Das Stück, das den lutterischen Titel „odufrö“ trägt, fällt nach der Melodieerkennung mit einem sanften Schwung in die Tiefe, wo das Klavier harmonische Räume auftut, die impressionistisch ineinander ruhen, um dann in Ordnungen à la Thelonius Monk in Gegenüberstellungen zu kommen. Sunk Pöschl, der melodisch einfühlsame Drummer, steuert in wechselnden Figuren gekonnt mit.

Hätten Sie´s erkannt ohne Vorstellung der Melodie? Nein, es ging aber auch nicht um eine Verjazzung, um eine Demonstration etwa, wie Hänschen klein auch zu swingen vermag. Entstanden sind durchgehend neue Stücke. „Comet“, nach „Kommet ihr Hirten“, zeigte vielleicht am deutlichsten das Spiel mit der Spannung drei gegen vier. Das Stück im Sieben-Viertel-Takt steht unter enormem Druck, will ins Gerade ausreißen. In diesen Spannungen rudert Sunk Pöschl wie ein Elvin Jones, der in derartigen Situationen auch gerne die Zähne bleckte. Doch Bass und Klavier ziehen das in unterkühlter Dynamik durch.

Bei „Leise rieselt der Schnee“, rieselt nach Lutter der “Schmee“ , und ein Schelm, wer an den „Schmäh“ nicht dächte. Uli Wangenheim wacht einsam mit eleganten, schnellen und den leisesten Tönen, die ein Tenorsaxophon hervorbringen kann. Das klingt manchmal wie Stan Getz unter zwei Wolldecken. „When you Wish Upon A Star“ dürfte beim oft amüsierten und am Schluss begeisterten Publikum als 16.000-Euro-Frage gewertet worden sein. Da schienen sich kurz George Shearing und Alban Berg begegnet zu sein. Was soll ich euch sagen, es weihnachtete sehr. Zufrieden grinsende Gesichter. Und Andy Lutter verabschiedete sich und seine vier Heiligen drei Könige mit: „Woran erkennt man, wenn ein Musiker Alzheimer hat? Wenn er den A-Teil auch vergessen hat“.

Michael Wüst

Veröffentlicht am: 27.12.2010

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