Passauer Scharfrichterbeil

Kabarett vom Ruhrpott bis nach Wien

von Gabriella Lorenz

Jetzt auch mit Beil: Torsten Sträter. Foto: Sybille Ostermann

Beim Scharfrichterbeil wird die Kunst des Kabaretts gefeiert und geehrt und das schon seit 30 Jahren. Zu diesem Jubiläum darf die Frage gestellt werden, wie sich der Preis gewandelt hat und wie man mit Lakritze seinen örtlichen Kioskbesitzer ärgern kann.

Auch Wettbewerbe sind nicht vom Alter gefeit. Und manchmal stecken sie mit 30 schon in ihrer Midlife-Crisis - eher also, als mancher Kabarettist. In Passau wurde jetzt zum 30. Mal ermittelt, wer künftig das Scharfrichterbeil schwingen darf. Handgeschmiedet, in großer, mittlerer und kleiner Ausführung. Am Gewinner 2012 lässt sich ablesen, wie sich Bewertungskriterien und Angebot verändert haben: Der Mann mit der schwarzen Wollmütze ist 46 Jahre alt, allerdings erst seit 2009 auf der Bühne. So geht er gerade noch er als Newcomer durch - einstmals das wichtigste Kriterium des Wettbewerbs. Seine Wurzeln hat er im Poerty-Slam, dessen Vertreter immer mehr ins Kabarett drängen. Seine noch unausgereifte Bühnenform beschränkt sich aufs Simpelste: An einem Stehtisch labert er lange und komisch über das, was er aus seinem Buch lesen will. Und liest dann tatsächlich nur. Torsten Sträter heißt der Typ aus Dortmund, der das Ruhrpott-Milieu in böse Geschichten zwingt und selbst brachial verkörpert.

Der Paradigmenwechsel spiegelte sich auch in der Jury-Diskussion. Die Entscheidung zwischen Platz 1 und 2 war knapp - ein Patt. Den Ausschlag gab die Publikumswahl, die als zusätzliche Stimme gewertet wird: Da lag Sträter vorne. Vielleicht ist das ja die Zukunft oder zumindest eine neue Form eines Kabaretts. „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“ heißt Torsten Sträters zweites Buch (das erste 2011 „Der David ist dem Goliath sein Tod“), aus dem er sein Bühnenprogramm gemacht hat. Als Typ ist Sträter authentisch, seine Präsenz umwerfend, sein Humor tiefschwarz. Er fordert „Bonusmeilen für die Wanderhure“ und rächt sich am Kioskbesitzer, bei dem er als Kind Weingummi gekauft hat, mit einer Bestellung für 90 Euro - um am Ende zu sagen: „Aber ohne Lakritz.“

Auch kein richtiger Newcomer mehr ist der feinsinnige Marco Tschirpke, der seit fast zehn Jahren Preise abräumt. Er hat zwischen Klavier und Wort eine Kurzform entwickelt, die Alltagsleben auf überraschende Pointen bringt. Der virtuose Pianist sagt schon mal entschuldigend: „Das ist jetzt Boogie. Das ist nicht schön für Sie.“ Aber schließlich sei Kabarett nicht zum Amüsement des Publikums da. Bei ihm dann doch, wenn Piercing zu „rostenden Venushügeln“ führt. Für seine Kunst, Pausen zum Nachdenken zu lassen, gab's Platz 2, das mittlere Beil.

Das kleine für Platz 3 bringt Hosea Ratschiller neben seinem Smoking gut im Koffer heim nach Wien. Er hat mit Martin Puntigam das interaktive Audio-Podcast „FM4 Ombudsmann“ konzipiert. Interaktion will er auch bei den Zuschauern provozieren.  Aber niemand zieht sich aus. So spielt er seinen Opa, der Elvis-Imitator war, sowie einen zynischen Float-Trainer. Eine Provokation folgt der anderen. Ratschiller hat was ganz Eigenes - und zweifelsohne Zukunft.

Nachzuhören am Samstag, den 08.12.2012 um 20.05 bei den radioSpitzen auf BR2.

Veröffentlicht am: 08.12.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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