Polina Semionova in München

Zwei Weihnachtssterne fürs Staatsballett

von Isabel Winklbauer

Drosselmeier (Tigran Mikayelyan) inspiriert Louise (Polina Semionova).  (Foto: Charles Tandy)

Tschaikowskys Weihnachtsklassiker hat in der entrümpelten Fassung von John Neumeier ohnehin eine wohltuende Wirkung. Wenn auch noch alle Rollen perfekt besetzt sind und eine gefeierte Ballerina das Ensemble entflammt – dann ist Weihnachten im Nationaltheater.

John Neumeier enthob den traditionellen "Nussknacker" seinerzeit von Militarismus und sexuellen Anspielungen. Eine ganz einfache Geschichte wollte er erzählen: die von der Liebe zum klassischen Ballett. Seine Marie träumt von der Hingabe ans Tanzen, vom Beherrschen ihres Körpers und ihrer Ausdruckskraft, nicht von widerstreitenden Männlichkeitsprinzipien und Testosteronprotzerei. Darum bewundert sie ihre große Schwester Louise, welche Primaballerina am Hoftheater ist. Mit Louise, derem Verlobten Günther und vor allem dem Ballettmeister Drosselmeier – eigentlich ein Schattenbild des großen Marius Petipa – schwebt sie durch einen romantischen, in Schwarz-Weiß gehaltenen Degas-Probensaal sowie einen bunten Akt mit Charaktertänzen und Grand Pas-de-Deux. Louise tanzt nun an drei Abenden Polina Semionova, jene aus Berliner Klammern entflohene erste Solistin Vladimir Malakhovs.

Louise (Polina Semionova) springt Grand Jetés zum Aufwärmen. (Bild: Charles Tandy)

Für Semionova sind Neumeierballette Neuland. Schwierige Variationen gibt es praktisch keine für sie, ihr Können und ihre Schnelligkeit sind atemberaubend. Die größere Herausforderung für die gebürtige Moskauerin ist es, eine gewisse Nonchalance gegenüber technischen Mätzchen zuzulassen, die Neumeiers Dramaturgien erfordern. Es geht einzig ums Gefühl, in diesem Fall das Gefühl einer Pawlowa im Probensaal und auf der Bühne. Letztlich ist es dann auch der dritte, mondäne Akt, in dem Semionova aufblüht. Mit Attitüden und Blicken entwickelt sie eine fantastische Präsenz, die nicht nur ihren Günther (Maxim Chashchegorov) zum Glühen bringt, sondern mit ihm das ganze Ensemble.

So bewegt hat das Staatsballett selten getanzt: Zuzana Zahradnikova und Vittorio Alberton verwandeln ihre anfängliche Zitterpartie des Arabischen Tanzes in ein ästhetisches Statement, Tigran Mikayelyan als Ballettmeister Drosselmeier findet in der eingangs komischen Rolle langsam den nötigen Hauch Ewigkeit.

Marie (Katherina Markovskaya) gelingt der "Tanz der Zuckerfee" (Foto: Wilfried Hösl)

Nur die Posse um Esmeralda und die Narren ist wieder mal nicht zu retten. Neumeier pflegt in seinen Stücken deftige Intermezzos einzubauen, doch dieses, bei dem sich alle mit gespreizten Beinen gegenseitig unter die Röcke kriechen, ist nicht so gut gelungen. Giuliana Bottino, die die undankbare Rolle diesmal abarbeiten musste, lächelte geschickt über alles hinweg.

Polina Semionova ist aber nicht der einzige Fang, den Direktor Ivan Liska gemacht hat. Neben der großen, schlanken Russin schlug sich die neue Solistin Katherina Markovskaja prächtig. Lange war sie Gast am Staatsballett, diese Saison gab es endlich einen Vertrag. Zu recht! Von Natur aus ein mädchenhafter Typ, machte sie ihre Marie zur starken, impulsiven Protagonistin, die vor der großen Schwester Louise gar nicht so tief in die Knie gehen muss.

Im März kommt Semionova noch einmal an die Isar, um in "La Bayadere" zu tanzen. Nach diesem Vorgeschmack dürften die Karten schnell ausverkauft sein.

Veröffentlicht am: 12.12.2012

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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