Tarja Turunen und "Colours in the Dark"

Grauzonen einer Diva

von Clara Fiedler

Die finnische Sopranistin Tarja Turunen. Foto: Eugenio Mazzinghi

Die Erwartungen waren hoch, als die finnische Sopranistin Tarja Turunen 2005 die Band "Nightwish" verließ und sich auf Solopfade begab. Seitdem arbeitete sie mit vielen versierten Musikern von Schiller bis Joe Satriani. Kürzlich gastierte sie im Rahmen ihrer "Colours In The Road"-Tour im Münchner Backstage.

Tarja Turunen ist hermetisch. Unerreicht und unerreichbar. Früher war sie die Frontfrau von Nightwish, da konnte man sie einordnen, da war ein Konzept dahinter. Heute ist das nicht mehr möglich. Es fällt nicht schwer, sie als etwas Eigenes zu betrachten. Aber deswegen wird sie nicht greifbarer, ganz im Gegenteil. "My Winterstorm" war ihre erstes Soloalbum, das war 2007. Da dachte man, das wird noch. Sie wird sich noch finden, sie wird von dieser zerstreuten Sucherei, die nicht Fisch, nicht Fleisch ist, noch auf was richtig Großes kommen.  Als 2010 "What lies Beneath" veröffentlicht wurde, machte sich fast Erleichterung breit,  aber nach ihrem gerade erschienenen Album "Colours in the Dark" absolute Ratlosigkeit.

Offensive oder Zurückhaltung? Bunt oder schwarz? Foto: Eugenio Mazzinghi

Es liegt nicht an ihr. Sie ist großartig. Es ist halsbrecherisch, wie sie es stimmlich schafft, opernhaften, technischen Wahnsinn und absolute Perfektion mit einem markanten, fast popmusikalischen Wiedererkennungswert zu vereinen.  Sie ist eine der Sängerinnen, die man eher als "Vokalistin" bezeichnen würde, legt absolute Präzision und Präsenz an den Tag. Sie wirkt diabolisch und gleichzeitig engelhaft. Aber niemals nah. Es ist, als könnte sie sich nicht entscheiden, zwischen Glitzerleibchen und Lederhose, zwischen Metal, Pop oder Oper, zwischen Solostar und Bandmitglied. Manchmal scheint sie fast unterfordert, es entsteht der Eindruck, dass sie durch das Genre eingeengt wird. Ein paar Mal, bei Songs wie  "Anteroom Of Death", erlaubt ihr ein kammermusikalischeres Arrangement, ihre volle Größe zu entfalten. Und dann steht man da, und hat keine andere Wahl, zu staunen, sich berühren zu lassen von so viel Brillanz. Aber etwas fehlt.

Man sucht verzweifelt nach ihrer Persönlichkeit, einer emotionalen Zwischenebene, auf der man sie greifen kann. Bis man feststellt: Sie ist und bleibt Opernsängerin, eine Künstlerin, die dazu ausgebildet wurde, in eine Rolle zu schlüpfen, unter dem Diktat einer schon bestehenden Geschichte zu handeln und zu wirken, ihre Persönlichkeit anders, subtiler einzubringen, als die Populärmusik, zu der schließlich auch der Heavy Metal gehört, es fordert. Das heißt nicht, dass sie diese Persönlichkeit nicht hat. Sie legt lediglich zu wenig Wert darauf, sich zu zeigen. Ihre Musiker, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Cello, schlagen sie  im einen Moment völlig tot, im nächsten sind sie Statisten, die von ihr an die Wand gesungen und vergessen werden.

Als Zugabe bringt sie überraschend "Wish I Had An Angel", die zweite Singleauskopplung ihres letzten Albums mit Nightwish. Und selbst ohne die Nostalgie und Bitterkeit, die der Ein oder Andere dabei empfunden haben muss, bleibt einem nichts übrig, als anzuerkennen, dass Tuomas Holopainen, der Mastermind hinter Nightwish, seine Sängerin bedingungslos verstanden hat und wie kein anderer seitdem ihre herausragende Stimme gleichzeitig einbetten und strahlen lassen konnte. Er hatte ihr die Plattform gegeben, als Ikone zu agieren, wie eine virtuose Instrumentalistin, die für Sängerinnen das ist, was Steve Vai für Gitarristen ist. Steve Vai hat aber niemals versucht, Clapton zu sein. Es wäre ihm auch nicht gelungen. Man hätte sich gefragt, was das werden soll. Genauso verhält es sich mit Tarja Turunen und ihrem Streben nach einer Pop-Karriere, die als Solche nicht verwerflich, im Zusammenhang mit der Protagonistin jedoch schlicht fehl am Platz ist.

Alles in allem lässt einen auch das Konzerterlebnis mit der Frage zurück, was Tarja Turunen sein könnte und warum sie es nicht ist. Und man wünscht sich so sehr für diese außergewöhnliche Sängerin, dass sie sich entscheidet.

Veröffentlicht am: 06.11.2013

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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Sandra
07.11.2013 16:30 Uhr

Ich verstehe nicht, weshalb man sich immer in eine Schublade stecken lassen muss! Gerade das ist das einzigartige an Tarja Turunen! Nur weil man sich möglicherweise selbst als "Schubladen-Mensch" sieht, müssen nicht alle dieses Klischee erfüllen!