"La clemenza di Tito" an der Staatsoper mit dem Generalmusikdirektor

Petrenko kann auch Mozart, der Sesto ist ein Herzerl

von Volker Boser

Hanna-Elisabeth Müller (Servilia), Angela Brower (Annio), Kirill Petrenko. Foto: Wilfried Hösl

Dass er die Klangabenteuer der Spätromantik wie kaum ein anderer beherrscht, ob sie nun von Wagner, Strauss oder Mahler sind, hat Münchens neuer Generalmusikdirektor zu Genüge unter Beweis gestellt. Bei Mozart aber kommt es nicht auf Effekte an, bei ihm ist, wie Hildesheimer es einst formulierte, „alles fremd, alles unheimlich - und vor allem wesentlich.“

Auch in seiner letzten Oper „La clemenza di Tito“, die nun in einer Neuinszenierung von Jan Bosse an der Staatsoper Premiere hatte: Die Musik mag nicht die Qualitäten des „Don Giovanni“ haben, aber sie ist doch von bezwingender Eindringlichkeit. Kirill Petrenko gab jeder Arie der sechs handelnden Personen individuellen Ausdruck, ohne allzu sehr aufs Tempo zu drücken. Stilistisch liegen Welten zwischen ihm und etwa René Jacobs, der hier vorsätzlich einen anderen Weg beschreitet. Faszinierend sind Petrenkos Liebe zum Detail, die Ruhe und die Fähigkeit, trotz überraschend langsamer Tempi die Spannung

aufrechtzuerhalten.

Und schließlich: Mozart hat es so gewollt – ob Pflichtgefühl oder humane Gesinnung, das lässt sich nur schwer mit Höchstgeschwindigkeit ausdrücken.

Die engagiert aufspielenden Musiker des Staatsorchesters sind Teil der Inszenierung von Jan Bosse: Der Orchestergraben ist hochgefahren. Man sitzt, nahezu auf gleicher Höhe wie die Bühne. Ihre protzige Säulenpracht ist dem klassizistischen Zuschauerraum des Nationaltheaters nachempfunden (Stéphane Laimé). Im zweiten Akt, nach dem von Vitellia und Sextus angezettelten Putsch, sieht das freilich ganz anders aus: Der Gips ist verschwunden, die Sitzreihen ramponiert. Nach und nach entledigen sich die Akteure ihrer amüsanten Pop-Art-Verkleidung – und werden zu Menschen.

Spätestens jetzt, wenn sich die Architektur scheinbarer Macht als eine ziemlich jämmerliche Realität zerstörter Freundschaften und Liebe präsentiert, hätte die Regie ein bisschen Bühnenleben verordnen müssen. Doch Jan Bosse, der nach eigenem Bekunden nichts davon hält, „Oper in Großraumbüros oder Schlachthöfen spielen zu lassen“, überließ der Musik demütig den Vortritt. Ohnehin war er von der souveränen Milde des römischen Kaisers nicht so recht überzeugt: Für ihn scheint Tito nicht mehr zu sein als ein junger Mann, den seine Führungsposition überfordert.

Tarra Erraught (Sesto). Foto: Wilfried Hösl

Toby Spence in der Titelpartie nahm das leider allzu wörtlich. In seiner großen Arie „Se all´impero, amici Dei“ gegen Ende der Oper versagte ihm beinahe die Stimme. In den Koloraturen gelangen nur Näherungswerte. Das war angesichts des Herzbluts, mit dem Kirill Petrenko die Sänger unterstützte, mehr als schade. Kristine Opolais (Vitellia) setzte auf die bisweilen etwas scharf klingende Virtuosität ihrer Stimme, was der Rolle angemessen erschien. Aber sie zeigte auch beklemmenden Ausdruck, etwa in der, von Martina Beck am Bassetthorn begleiteten, mit wunderbarer Melancholie gestalteten Arie „Non più di fiori“. Als Sesto hatte Tara Erraught gegen große Vorbilder anzusingen. Da sie immer wieder zu herzbewegender Innigkeit fand, verstummt jeder Einwand, dass man sich vielleicht doch ein wenig mehr Bühnenpräsenz erwartet hätte. Überzeugend charakterisierten Hanna-Elisabeth Müller (Servilia), Angela Brower (Annio) und Tareq Nazmi (Publio) die Nebenrollen.

Am Ende war, wie bei  Premieren von „ La Clemenza di Tito“ nicht unüblich, der Beifall weitaus weniger enthusiastisch wie nach einer gelungen Verdi-Show. Sogar das Regieteam kam weitgehend ungeschoren davon. Kirill Petrenko durfte sich als Sieger fühlen. Durch ihn bekam die Aufführung jene Eindringlichkeit und Tiefe, die bei Mozart eigentlich immer selbstverständlich sein sollte.

Veröffentlicht am: 13.02.2014

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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