"2. Sinfonie Rausch" bei Radikal Jung im Volkstheater

Ursuppe, Mythen, Moshammer - es geht wirklich um alles

von Jan Stöpel

Wer geht noch mit ins Trimalchio? "2. Sinfonie - Rausch". Foto: Birgit Hupfeld

Ein richtiger Rausch ist besser als ein nüchternes Ende: Zum Abschluss von "Radikal Jung" gibt's langen, lauten Beifall für "2. Sinfonie - Rausch". Ersan Mondtag masht in seiner kurzweiligen Produktion für das Schauspiel Frankfurt Mythen zusammen und lässt den Kammerspielen schöne Grüße ausrichten. 

Es geht um die ersten Dinge und um die letzten. Und das in gerade mal 70 Minuten, in denen geraucht, geredet, rumklamaukt wird - es wird gesungen, musiziert, diskutiert: Was hat das alles - Bühne, Künstlichkeit, Schauspiel - zu tun mit uns, mit der Gesellschaft, mit dem Mythos? Wo kommt das Theater her? Wo geht das Leben hin? "2. Sinfonie" von Ersan Mondtag: ein irres Ding irgendwo zwischen Stammtisch und Thespiskarren, mit Schauspielern - so viel Zeit für altgriechische Klamottenkunde muss sein - in einer Art Chlamys und auf hohem Kothurn einherstelzend. Ganz schön tuntig sieht das aus, passt aber zur Tempelkulisse mit pompejanischem Puff-Graffiti als Tempelinschrift.

Man kann sagen, dass hier die ganz geheimnisvollen großen Dinge in äußerst leichter Weise vermixt werden. Der Kothurn, der Schauspielerstiefel mit dicker, sehr, sehr dicker Sohle ist ein Symbol für Tragödie, und tatsächlich geht es hier auch um den Kult, der dem Theater zugrunde liegt: den Bocksgesang (nichts anderes bedeutet Tragödie), mit dem ein mit Bocksfell und Maske vermummter Sänger-Schauspieler den Gott Dionysos anruft. Womit auch das mit dem "Rausch" im Titel schon mal geklärt wäre. Auch der Chor der vier weiß Gekalkten (die es bei der Premiere in Frankfurt noch nicht gab) sowie die drei Tänzer und die Musik (Verena Marisa) erwecken Assoziationen ans antike Theater.

Der Regisseur Ersan Mondtag. Foto: Birgit Hupfeld

Ersan Mondtag verquirlt eigene Mythen in die antike Ursuppe. Der Titel "2. Sinfonie" setzt voraus, dass es eine Nummer eins gibt. Mondtag brachte sie unter dem Titel "Nach der Tragödie, oder wofür es sich zu leben lohnt!“ in München als Student der Otto-Falckenberg-Schule auf die Bühne. Auch sonst spielen München und die Kammerspiele mit. Wem es so nicht aufgefallen ist, dem sei die Lektüre des entsprechenden Artikels im "Radikal Jung"-Jahrbuch 2014 empfohlen. Da liest man, dass angeblich ein gewisser "Felix Hammoser" mitgespielt hat, der natürlich eine Verballhornung von Moshammer ist, womit die Verbindung zu Jelinek, den Kammerspielen und "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" hergestellt wäre. Auch die Badewanne, die irgendwann auf die Bühne geschoben wird, mit drei Darstellern darin, hat mit dieser Kammerspiele-Inszenierung zu tun.

Auch sonst ist München dabei, und andere Theaterstädte auch, denn Schauspiel hat ja laut Mondtag was mit Sekten und Gemeinschaften von Regie-Jüngern zu tun - wiederum mit Religion also, die dem Theater so nahe steht wie der Witz dem Aberwitz. Am Ende geht's darum, ob nicht das Licht, das Menschen an der Schwelle zum Tod sehen, nur das Ergebnis neurochemischer Prozesse ist, ein Trostprogramm eines Denkapparates, der sein eigenes Ende nicht denken kann. Es ist die Frage, ob es überhaupt Metaphysik gibt und damit eine Grundlage für Religion. Und es ist die Behauptung, dass wir dass wir nicht nur erkennende Wesen sind, die immer neue Einsichten über die Welt und sich selbst schaffen, sondern auch noch spielende Wesen, die noch im letzten Augenblick eine Illusion erzeugen. Theater am Ende sozusagen.

Dazwischen sieht man Schauspieler hinter den Kulissen rauchen und trinken, sie reden, was man vermutlich halt so redet, wenn man Pause vom Proben macht. Es handele sich dabei um tatsächliche Gespräche, versichert Mondtag, aufgenommen und transkribiert und eingeübt. Ein Akteur dieser Runde ist der Gott nicht aus, sondern in der Maschine: Als bekränzter Zeus schreitet Thomas Huber einher, wie der Rest der Runde gefangen auf der Bühne und im Theaterbetrieb. Es sind banale Sätze, die er spricht, eigentlich. Andererseits auch wieder nicht: So, wie er sie spricht, transportieren sie den ganzen Aberwitz der Existenz. Sein Solo ist der Höhepunkt des Stücks.

Dafür darf er dann ein wirklich schönes Ende hinlegen: Husten, Pfeifen, Ächzen, "Gifttod" stammelt er, dann sinkt er hin und wird von der Truppe auf die Bühne getragen. Es folgt: anschwellender Bocksgesang, Kunstnebel, Theremingedudel. Die Neugeburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik? Ganz sicher nicht. Aber wahnsinnig unterhaltsam.

Veröffentlicht am: 15.04.2014

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