Der Vedutenmaler Bernardo Bellotto alias Canaletto in der Alten Pinakothek

Europas grandioser Kulissenschieber

von Christa Sigg

Bernardo Bellotto. Das Schloss Nymphenburg von der Parkseite, 1761. (132 x 235) Foto: Bayerische Schlösserverwaltung, München

So ganz freiwillig waren die Herrschaften nicht nach München gereist. Aber besser, gemütlich über den Nymphenburger Kanal gondeln, als daheim in den Wirren des Siebenjährigen Krieges unter die Räder kommen. Und Kurfürst Max III. Joseph ließ sich nicht lumpen. Seine Schwester Maria Antonia und ihr Gatte, der sächsische Kurprinz Friedrich Christian, durften sich’s 1761 auf Schloss Nymphenburg bequem machen. Was heute kaum der Rede wert wäre, hätte dieser Besuch nicht zu drei eindrucksvollen Veduten geführt: Im erweiterten Schlepptau der Exil-Dresdner befand sich Bernardo Bellotto (1722-1780), der nun in der Alten Pinakothek einen wohlkonzipierten Auftritt genießt.

Mit über 65 Gemälden, Zeichnungen und Radierungen ist es die erste umfassende Schau seit fast 50 Jahren - und keinem Jubiläum geschuldet, sondern den erwähnten München-Bildern, die im Zuge der umstrittenen Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ 2011 in China aufwändig restauriert wurden. Wer das Ensemble aus der Residenz in Erinnerung hat, wird staunen. Die gelbliche Himmelssoße ist verschwunden, Feinstrukturen sind nun sichtbar. Und man realisiert jetzt noch besser, dass dereuropaweit engagierte „Bildberichterstatter“ das damals schon nicht mehr so beschauliche München äußerst genau ins Visier nahm.

Flankiert von den beiden Nymphenburg-Ansichten zieht es den Betrachter sofort ins Zentrum zur berühmtesten Vedute der Stadt: „München von Osten“ zeigt vom Gasteigberg aus die urbane Pracht in der Ferne, gleichwohl sind Heiliggeist, der Alte Peter und natürlich die Frauenkirche leicht auszumachen. Was aber viel mehr ins Auge sticht als der hier thematisierte Bau der neuen steinernen Brücke, die Haidhausen und die Isarinseln verbindet, sind die kleinen Leut‘ im Vordergrund. Ein Kriegsversehrter mit amputierten Beinen, eine von Lepra gezeichnete Frau, die inbrünstig betet. Repräsentativ ist das kaum. Doch dem aufklärerisch eingestellten Max III. Joseph lag wahrscheinlich daran, ein ehrliches, realistisches München vorzuführen – und in diesem Fall auch das Bewusstsein für seine Verantwortung als Patron und Herrscher.

So ungemein präzise und authentisch Bellottos Veduten auf den ersten Blick wirken, so fabelhaft waren auch seine Tricks. Sein Onkel und Lehrer Giovanni Antonio Canal (1697-1768), nach dem Bernardo sich später ebenfalls Canaletto nennen wird, brachte ihm nicht nur das schnelle, ökonomische Zeichnen bei, sondern genauso den Umgang mit der Camera obscura. Bereits Canal wurde dafür immer wieder angegiftet, ihr weit verbreiteter Einsatz – auch Jan Vermeer hat sie genutzt - ist allerdings eine Kunst für sich und häufig mit halsbrecherischen Aktionen verbunden. Auf den Reisen durch Italien gehört die Apparatur dringend ins Gepäck, und im heimischen Venedig muss sie sogar mit auf die Gondel. Entscheidend ist schließlich das Zusammenfügen der vor allem im Randbereich gezerrten Bilder zu einem stimmigen Gesamtergebnis, das dem menschlichen Seheindruck entspricht und den Blickwinkel noch einmal erweitert.

Dies fordert oft drei, vier unterschiedliche Perspektiven nebeneinander, aber das ist eben auch der Clou: Bellotto zeigt uns mehr als wir vor Ort sehen könnten. Er inszeniert und konzentriert, erweist sich als grandioser Kulissenschieber (zwei Vorfahren waren Theatermaler), entwickelt dazu eine strenge Lichtregie - da gibt es schon mal nach zwei Seiten Schatten („Die Heilig-Kreuz Kirche“, Warschau, 1778). Und all das ist selbst unter höchstem Zeitdruck immer noch minutiös geplant.

Nicht ohne Grund also hat er gut zu tun. Anfangs durch die Souvenirwünsche der betuchten britischen Grand-Tour-Touristen, für die Venedig ein absolutes Muss ist. Dann in Dresden, wo er das höchste Salär erhält, das jemals einem sächsischen Hofkünstler bezahlt wurde. Rastlos malt er dafür die noblen barocken Stadtansichten und später sogar die im Krieg zerstörte Kreuzkirche.

Doch Bellotto darf sich auf den Lorbeeren nicht ausruhen; er würde nur kopieren, werfen ihm die Kollegen vor. Mumpitz, sicher. Aber so wie der Vedutenspezialist einst innovative Formate gewagt hatte, so findet er am Ende seiner Karriere zu neuen Themen. Sogar als famoser, fortschrittlicher Landschaftsmaler beweist sich der Mann aus der Lagunenstadt. Dann schwelgt er in kühnen Architekturfantasien, entdeckt wieder das Capriccio und gönnt sich nun noch mehr Freiheiten. Dass er mit der Anatomie auf Kriegsfuß steht, lässt sich also verschmerzen, selbst vor der „Vertreibung aus dem Tempel“ (1765/66). Und vermutlich sah auch die kunstsinnige Maria Antonia darüber hinweg – samt Nymphenburger Gondelgesellschaft kommt sie alles andere als höfisch elegant daher. So wie die Ausstellungsarchitektur mit ihren einfachen dunklen Holzbrettern, an die sich das Auge auch erst gewöhnen muss.

Alte Pinakothek, bis 18. Januar 2015, Katalog (Hirmer) 39.90 Euro

Veröffentlicht am: 19.11.2014

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