Arabischer Tanzfrühling im Schwere Reiter

Freiheit gibt es nur im Männeranzug

von Isabel Winklbauer

Katzenhaft zum Gebet gestreckt: Kabboura Aït Ben. Foto: Hibou Photography

Am Valentinstag, also am 14. Februar 2015, eröffneten Ali Moini, Hafiz Dhaou und Aicha M'Barek mit politisch inspirierten Darbietungen die Reihe "Step on Common Grounds" in der Villa Stuck. Nun gab die marokkanische Choreografin Bouchra Ouizgen Einblicke in die Welt der Frauen: "Madame Plaza" stellt drei Aïta vor, Sängerinnen und Tänzerinnen des ältestes Kabaretts von Marrakesch. Deren Künste entsprechen nicht unbedingt europäischen Gewohnheiten, weswegen im Schwere Reiter ein eher verwirrtes Publikum zurückblieb. Berührend war die Vorstellung trotzdem.

Mit der arabischen Welt und dem Tanz ist es ohnehin schwierig. Eine kunstvolle Form des Bühnentanzes hat sich von Marokko bis Iran nie entwickelt, und auch im Alltag spielt Tanz keine Rolle, wie überhaupt jede Art von Sport für Frauen keine Tradition hat und auch heute immer noch nicht den geringsten Ansatz nimmt, sich zu etablieren. Entsprechend untrainiert, zumindest nach westlichen Maßstäben, sind die Damen aus "Madame Plaza". Man trägt Bauch und Hüfte, und das Bewegungsvokabular beinhaltet Räkeln und Dehnen, Knie anwinkeln und ausgestreckt liegen. Das Übereinanderklettern und sich aneinander Lehnen beherrschen die Aïta aufs Schönste, in einer Szenerie aus drei Polstern, auf denen sie auf etwas zu warten scheinen.

Fließende Bewegungen auf Polstern. Foto: Hibou Photography

Und es wird noch unbequemer. Jede der Frauen, außer Ouizgen, die eine stumme Beobachterrolle spielt, singt mit ungewöhnlicher Stimme. Da ist die Älteste, Kabboura Aït Ben, die tief wie ein Mann in befehlendem Ton ruft. Ihre Duettpartnerin Fatima El Hanna, die die Ohren mit Sprechgesang durchdringt. Und Halima Saimoud, die noch am ehesten eine herkömmliche Singstimme besitzt, damit aber höchst eindringliche, monotone Verse herausschmettert. Ganz klar, hier stehen vier Charaktere, die sich auf ihre ganz eigene Art äußern. Dank Kabboura Aït Ben folgen die Zuschauer dem Sog der schrillen Unterhaltung schließlich doch: Die Künstlerin verrät mit wenigen, kleinen Gesten, dass sie in ihrem Leben den orientalischen Tanz in allen Facetten gelernt hat. Ihr Port-de-bras ist perfekt, die Haltung des Kopfes und der Schultern spricht Bände. Sie muss nur kurz die Hand an der Hüfte wedeln, um ganze Liebesgeschichten zu erzählen. Ihr Körpergewicht, oh Wunder der Kunst, wird dabei einfach unsichtbar. Ein Fingerzeig von ihr ins Publikum genügt, um die Aufmerksamkeit von Null auf Hundert hochschnellen zu lassen. Kein Wunder, dass diese Frau nach der Hälfte des Stücks einen Anzug überzieht und in eine Männerrolle schlüpft. Sie braucht Freiheit, und die bekommt sie wohlnur so.

Nach der Vorstellung werden die Tänzerinnen als Diskussionsgäste im Foyer angekündigt. Sie erscheinen mit Kopftüchern, in Mäntel gemummelt. Französisch hat keine von ihnen gelernt, Englisch sowieso nicht. Was hätten die drei nicht zu erzählen! Doch wegen ihres schwierigen sozialen Status, der nur die nötigste Bildung erlaubt, müssen sie schweigen. Der Orient ist ein Jammertal für weibliche Kunst, sogar im aufgeklärten Marokko.

Die Reihe "Step on Common Grounds" wird am 19. und 20. März 2015 mit Sandra Ichés Stück "Wagons libres" abgeschlossen (Platform, Kistlerhofstraße 70, Haus 60, 3. Stock). Auch das Festival "Dance" stellt vom 26. bis 31. März 2015 in der Muffathalle arabische Kompanien vor, darunter Bouchra Ouizgens Kompanie Anania (30.3.) und die tunesische Kompanie Chatha (28.3.), deren Gründer am Valentinstag in der Villa Stuck auftraten.

Veröffentlicht am: 21.02.2015

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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