Ballettakademie München in der Reaktorhalle

Weniger Drill, mehr Charakter

von Isabel Winklbauer

Nur tägliche Übung macht den Meister. Wie konzentriert die Ballettschüler üben, sah man in der Reaktorhalle. Foto: Ballettakademie München

Die Schüler der Ballettakademie München zeigten kurz vor Weihnachten traditionell noch einmal dem Publikum, wie ihre Künste gedeihen. Der intime Rahmen der Reaktorhalle an der Luisenstraße erwies sich dabei wieder einmal als Glücksgriff, denn das Wesen der jungen Tänzer sieht man doch immer noch am besten aus der Nähe. Wer genau hinsah, entdeckte Neues. Außerdem gab es ein seltenes Wiedersehen mit Roland Petits Arbeiten.

Man vergisst das öfter, doch Jan Broeckx, der eher stille Leiter der Ballettakademie, war in den 80er Jahren Danseur Étoile in der Kompanie des Franzosen Roland Petit. Zizi Jeanmaire, Marie-Claude Pietragalla, Dominique Khalfouni, er tanzte damals mit allen großen Ballerinen am Ballet National de Marseille, in dem übrigens auch die langjährige Münchner Erste Solistin Lucia Lacarra groß wurde. Seit Lacarra und ihre Partner auf Galas im Nationaltheater zuletzt „Thaïs“ tanzten, hat man von Roland Petit nichts mehr in München gesehen. Ein Jammer, denn in all der Neumeier-, Cranko- und Richard-Siegal-Seligkeit der letzten Dekaden wäre ein bisschen frischer Wind von der Côte nicht schlecht gewesen. Dank Broeckx wurde jetzt gelüftet. Mit seiner Abschlussklasse holte er vier Stücke ans Licht: Zwei Variationen aus „Coppélia“, eine aus „Proust ou les Intermittences du Coeur“, die Variation des Don José aus „Carmen“ und die des Frédéri aus „L’Arlésienne“. Die Letztere wirbelte die Zuschauer ordentlich auf.

Jan Broeckx leitet seine Schule mit viel Understatement. Foto: Francette Levieux

Zu verdanken war das Jurgen Rahimi, dem baldigen Bachelor. Er gestaltete die finale Szene aus Petits Ballett außergewöhnlich gefühlvoll. Sowohl technisch als auch im Ausdruck ganz auf der Höhe, ist er ein rundum fertiger Bühnentänzer. Ihm haftet nichts schülermäßiges mehr  an, er fliegt bereits weit hinaus in die Sphären die Rollengestaltung und der körperlichen Perfektion. Die Akademie kann sich zu ihm beglückwünschen, die Zuschauer vermutlich innerlich schon mal verabschieden, denn solche Talente sind gefragt.

Doch auch viele jüngere Ballettschüler bewiesen Charakter und eine starke Bühnenpräsenz. Wie zum Beispiel die vier Damen, die eine Freundinnen-Variation aus „La Fille mal gardée“ gaben: Relevés, Attitüden und Ports-de-bras erfreuten, das Zusammenspiel war dagegen ein Gewurschtel – das die Vier allerdings ausgesprochen charmant weglächelten und -tanzten. So viel Selbstbewusstsein sieht man auf der Bühne des Nationaltheaters nicht, wenn die Matinee der Hainz-Bosl-Stiftung ansteht.

Schon in den jüngeres Reihen ist diese neue Liebe zum Auftritt, diese Hingabe an die Musik zu sehen. In den „Exercises“ und der „Mazurka“ zeigte beispielsweise die Jungen-Mittelstufe einige Sprungsequenzen, wobei einige Köpfe, wie Ludwig Trosbach oder Samuel Baßler, sogleich die Aufmerksamkeit auf sich zogen, der eine mit göttlicher Gelassenheit und freudigem Tanzfluss, der andere mit großen Gesten und Stolz auf seine hohe, schlanke Statur. Später sah man Samuel Baßler noch in „Angelito Ioco“, ein modernes Stück, das ihm wesentlich besser lag als die klassischen Repertoirestücke – so früh trennen sich schon die Talente.

Etwas schwer hatten es die Mädchen der Grund- und Mittelstufe, als sie ihre Übungen auf Spitzenschuhen vorführten. Die Pianistin für dieses Stück hämmerte auf ihr Instrument ein, als wolle sie Hackschnitzel herstellen. Welche Art von Fußarbeit dabei herauskommt, mag man sich nicht vorstellen. Mehrere Damen zeigten übrigens in den Adagio-Exercises nicht den hohen Spann, den eine Konstanze Vernon verlangt hätte, und so mancher schmecken offenbar auch die Weihnachtsplätzchen recht gut. Vielleicht ist das der Preis für die ganz klar besseren Fähigkeiten, Musik zu interpretieren, die Broeckx‘ Führung offenbar bedeutet. Inzwischen müssen sich die Teenager wohl selbst zur perfekten Tänzerstatur disziplinieren. Später kam als wundervolle Klavier-Entschädigung dann Mark Pogolski ans Klavier. Der Komponist und musikalische Leiter der Ballettakademie ist mit seinem einfühlsamen Stil, mit dem er hier Glasunows Variation der Kavaliere aus „Raymonda“ spielte, viel zu selten auf der Bühne zu sehen!

Leider kamen die Zuschauer nicht um die „Nussknacker“-Suite herum. Was sich Dmitri Sokolov Katunin bei der Choreografie gedacht hat, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Immerhin war ein russischer Kinderchor geladen, der zu den berühmten Divertissements Schlagworte sang. Dieser Ansatz, mit anderen Künsten, wie in den vergangenen Monaten oft auch mit Studenten der Musikstudiengänge zusammenzuarbeiten, ist ausgezeichnet. Und auch hier erregte eine Schülerin Aufsehen: die junge Risa Yatsuki spielte die in ihren Nussknacker verliebte Mascha mit Leidenschaft und Tempo, eine fertige Künstlerin durch und durch. Davon abgesehen machte ein sehr charmantes ferngesteuertes Schaf vergessen, dass eine Akademie auf dem Sprung ins dritte Jahrtausend in Einzelteilen auch mal danebenhauen darf.

Weniger Drill, mehr Charakter – so lautet offenbar das derzeitige Motto an der Ballettakademie. Für die Zuschauer entwickeln sich viele unterhaltsame und erfreuliche Dinge.

Veröffentlicht am: 23.12.2018

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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