"Die Sommergäste" am Residenztheater

Sommerfrische in kaltem Licht

von Michael Weiser

Feiern im kalten Licht: "Die Sommergäste" am Resi. Foto: Sandra Then

Aus der Sommerfrische in den Umsturz: Wie sich eine Gesellschaft selbst abwickelt, inszeniert Joe Hill-Gibbins am Residenztheater mit Maxim Gorkis "Die Sommergäste". Mit allen erschöpfenden Begleiterscheinungen, die so ein Hinsiechen mit sich bringt. Der Abend ist weit fortgeschritten, die Sommergäste in Sergej Wassiljewitsch Bassows Datscha haben viel getrunken, es begibt sich, dass die eine oder andere leere Flasche, durch das Kreiseln der Drehbühne in Bewegung gesetzt, ins Rollen gerät. Was ganz gut  passt. Das Rollern der Flaschen inmitten der öden Szenerie weckt Erinnerungen an ein Floß im sachten Wellengang, ganz weit draußen, ohne Land in Sicht. So etwas wie das Floß der Medusa: Eine Rettungsinsel, die zur kleinen Hölle für ihre Passagiere wird.

In Maxim Gorkis Stück "Die Sommergäste" geschieht nichts an sich Dramatisches, keine jähe Katastrophe. Aber es kündigt Dramatisches an. Nicht, dass die Akteure im Schauspiel die kommenden Umwälzungen tatsächlich voraussehen könnten. Immerhin ahnt man, dass man den Kontakt zum echten Leben verloren hat, dass man gar nicht mehr so recht weiß, was die anderen außerhalb der eigenen Filterblase so denken und treiben, dass es im Lande gärt. Man ahnt es, wie gesagt, verdrängt es aber mit Alkohol, Reden und Romanzen. Was man halt so tut in der Sommerfrische, fernab von Hauptstadt, Arbeit und Alltag.

Das ist nicht viel, nicht für zweieinhalb Stunden. Auf der kargen Bühne, dominiert von einer weißem Garagenwürfel, der sich als Duschkabine herausstellt (Bühne: Johannes Schütz), entwickelt sich keine Figur - wenn man nicht Zerfall als Entwicklung werten will. Die Figuren sind so, wie sie sind: Entwurzelt, orientierungslos. Brigitte Hobmeier verleiht der Warwara Michaijlowna, Frau des Hausherrn Bassow, das gewisse Maß an Unabhängigkeit, so weit, dass sie sich der Avancen all der schwachen Männer zu erwehren weiß. Aber es bedarf schon eines Bühnenereignisses wie Hobmeier, um da in Momenten das Knistern zu erzeugen, das in dieser grundermatteten Gesellschaft eigentlich schon gar nicht mehr möglich scheint.

Wo ist hier noch Wärme: Enea Bosche, Katja Jung. Foto: Sandra Then

Der Brite Joe Hill-Gibbins  hat mit diesem seinem Münchner Erstling ein strenges Stück Regie abgeliefert, er führt die durch die Bank starken Schauspieler präzis an Maxim Gorkis Partitur der Hoffnungslosigkeit entlang. Die Akteure sind genau gezeichnet und wirken wie unter kaltem Licht seziert: Robert Dölles zynischer Rechtsanwakt Bassow etwa, Sophie von Kessels in trunkener Noblesse welkende Julia Filippowna oder Christian Erdts Wlas, ein hasserfüllter Kasperl, der Kopf und Kragen riskieren würde, würde die müde Gesellschaft noch auf seine Provokationen reagieren.

Man sieht im Residenztheater einen routinierten, guten Abend. Vergnüglich ist er - naturgemäß - eher nicht. Alles ist fein gespielt, strengt aber an, den Zuschauer nicht weniger als die Schauspieler. Denen merkt man die Freude förmlich an, als Ewald Palmetshöfers Dramaturgie (Palmetshöfer hatte schon das Saisoneröffnungsstück "Die Verlorenen" beigesteuert) die latenten Konflikte endlich in Hassausbrüche und Handgreiflichkeiten umschlagen lässt. Klamauk und Action, endlich rührt sich etwas, man geht, wenn schon nicht zu einem bestimmten Ziel, so doch wenigstens aufeinander los. Wenn man davon ausgeht, dass auch eine theatrale Nahtoderfahrung unterhalten muss, dann kriegt der Abend in diesen Minuten die Kurve. Ist eben komisch, wie Pawel Sergejewitsch Rjumin sich in Szene setzt - mit einem mitleiderregend durchsichtig inszenierten Selbstmordversuch. Und dieser Selbstschuss in die Schulter sagt bei allem Krawall und Klamauk eben auch was über diese Gesellschaft aus, über ihre Kraftlosigkeit.

"Die Sommergäste" beschreibt so etwas wie die letzte Datschen-Saison der feudalen alten Zeit. Maxim Gorkis Schauspiel feierte 1904 in St. Petersburg Premiere. Ein Jahr später herrschte Aufruhr im Zarenreich, vorerst noch ohne revolutionären Durchbruch. Der folgte schließlich als katastrophale Fortsetzung des katastrophalen Ersten Weltkriegs, St. Petersburg wurde zu Leningrad. Maxim Gorki hatte einer Schicht das Requiem gesungen, die "einsam zwischen dem Volk und der Bourgeoisie" steht, "ohne Einfluss auf das Leben, ohne Kraft",  von "schmählicher Tatenlosigkeit". Ähnlichkeiten mit Lebenden wird Gorki hoffentlich nicht beabsichtigt haben.

Nächste Termine: 5., 8. und 9. November 2019

 

Veröffentlicht am: 29.10.2019

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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