"Bunbury" am Volkstheater

Viel Rauch um nichts

von Michael Weiser

Bunte Angelegenheit: Liv Stapelfeldt, Carolin Hartmann, Pascal Fligg, Lukas Darnstädt, Nina Steils. Foto: Gabriela Neeb

Eine Komödie, mehr ist es nicht: Philipp Arnold verpasst es in Oscar Wildes "Ernst ist das Leben oder Bunbury", aktuelle Fragen an ein etwas angegrautes Stück zu stellen.

In Algernons Salon geht der Rauch auf, bildlich gesprochen. Durchs Fenster links sieht man ein Riesenrad, durch das rechts den Big Ben, zwischen den beiden hängt das Ölgemälde einer brennenden Stadt. Und auf allen drei Ansichten verdunkeln Wolken oder Rauschschwaden den Himmel.

Man ist geneigt, das als Menetekel zu nehmen. Als Hinweis auf den Ernst des Lebens, der die feinen Pinkel Algernon und Jack bei ihrem dreisten Treiben heimsuchen wird. Könnte das ein Fingerzeig sein? Darauf, dass bei diesem "Bunbury" am Münchner Volkstheater Abgründe lauern?

Auf die wartet man dann auch den ersten, den zweiten und den dritten Akt hindurch. Algernon und Jack gehen ihrem Hobby nach, nämlich immer wieder in ein Schandleben zu flüchten, für das die beiden Alibi-Partner ersonnen haben. Jack schützt einen Bruder namens Ernest vor, in dessen Identität er bei seinen Ausflügen in die City praktischerweise gleich schlüpfen kann. Algernon wiederum hat sich einen Freund Bunbury auf dem Land ausgedacht, dessen häufige Krankheiten immer wieder Algernons Besuche dort notwendig machen. Wie dick Lukas Darnstädt als Algernon und Carolin Hartmann als Jack auftragen, nährt den Verdacht eines ebenso dicken Endes. Diese Produktion, so denkt man, ist mutmaßlich deswegen so albern, damit sie nachher um so besser in Tragik oder schwarzen Humor umschlagen kann.

Zunächst gehen diese windigen Exemplare der Upper Class dem "Bunburysieren" nach, dem Lotterleben auf Kosten der erfundenen Figuren. Algernon nimmt auf dem Land die Identität von Jacks angeblichem Bruder Ernest an, um sich an Jacks Mündel Cecily (Nina Steils) heranzumachen. Als Ernest schlägt er sich wacker. Dumm nur, dass Jack als eben dieser Bruder Ernest in der Stadt bereits Algernons Cousine Gwendolen (Liv Stapelfeldt) den Hof gemacht hat. Mit der Begegnung der beiden jungen Damen platzt der Schwindel.

Die Dinge verwirren sich, sie entwirren sich am Ende sehr rasch (und vorhersehbar unwahrscheinlich), es gibt ein Happy End. Und noch immer ist man in keinen Abgrund gestürzt, man hat noch nicht mal einen gesehen. Und dann kommt der Applaus, und man merkt, dass man einem Schaf im Wolfspelz aufgesessen ist. Wo Oscar Wildes "Bunbury" Spitzen gehabt hat - im satirischen Portrait zweier Dandys -, hat sie sie die Zeit seit der Dekadence abgeschliffen. Das ist tatsächlich ein Lustspiel. Mehr nicht.

Hausregisseur Philipp Arnold setzt ganz auf den etwas angegrauten Charme des Wilde-Klassikers und lässt die vielen unterhaltsamen Momente mit Farben und dem geradezu dekadent anmutenden Bühnenbild (Viktor Reim) unterstreichen. Das sieht ganz nett aus. Gelungen, wie Carolin Hartmann den Salon betritt und den Hut auf dem Klavier ablegen will. Doch das ist nur gemalt, der Hut fällt zu Boden, verfolgt vom irritierten Blick Jacks.

Leider ist Arnold für seine Schauspieler nicht viel mehr eingefallen. Die agieren mitunter denn auch nicht mit der steifen Raffinesse, die man sich bei Briten gerade in diesem Spiel mit den Klischees vorstellen würde. So kommt es auf Können und Ausstrahlung an - da glänzt beispielsweise Pascal Fligg unter anderem als so arrogante wie tatkräftige Lady Bracknell, der Fligg gerade so viel Geistesabwesenheit verleiht, dass ihre hohe Meinung von sich selbst als Selbsttäuschung offenbar wird.

Nina Steils wiederum gibt eine rehäugige, mit mädchenhafte Charme ausgestattete Cecily, der man schon zutrauen darf auch einen notorischen Lebemenschen wie Algernon zu bezirzen. Ruth Bohsung zeichnet ihre Miss Prism (Cecilys Gouvernante und Komplizin) mit dem feineren Strich, der auch anderen Figuren gut getan hätte. Aber es wäre auch nicht ungewöhnlich fürs Theater, wenn sich ein Stück noch über die Zeit der eigentlichen Proben hinaus entwickeln würde.

Nächste Aufführung im Münchner Volkstheater am  Donnerstag, 27. Januar 2022.

Veröffentlicht am: 20.01.2022

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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