Erstmals in München: „Feininger aus Harvard“

von Salvan Joachim

Ohne Titel (Lux Feininger, Deep an der Rega), 1932. © VG Bild-Kunst, Bonn 2011; Foto: courtesy President and Fellows of Harvard College.

Nicht nur unveröffentlichte Aquarelle, Zeichnungen und Skizzen fand man im Nachlass des deutsch-amerikanischen Künstlers. Seit 1971 ist bekannt, dass Lyonel Feininger (1871-1956) auch Fotograf war und bereits in den späten 1920er Jahren die ersten Experimente mit der Kamera wagte. In der Pinakothek der Moderne sind jetzt ausgewählte Aufnahmen zu sehen.

Versteht man „wertvoll“ rein monetär, so hängen die kostbarsten Werke der Ausstellung „Feininger aus Harvard“ inmitten der Galerie. Es sind drei vom Kubismus beeinflusste Malereien, die zwischen 1912 und 1926 entstanden. Erst letzte Woche ersteigerte ein amerikanischer Bieter das Bild „Hafen von Swinemünde“ aus dieser Schaffenszeit Feiningers – für die Rekordsumme von über fünf Millionen Euro.

Eines der ausgehängten Bilder heißt „Badende am Strand 1“ (1912). Der Betrachter beobachtet einen Beobachter, denn er steht hinter einem Mann im getigerten Badekleid und folgt dessen Blick aufs Meer. Die scheinbare Urlaubsidylle trügt. In den schwarzen Zacken des Wassers bewegen sich Menschen, ohne ein Gefühl der Ausgelassenheit und Freude zu vermitteln. Über den Badenden wachen bedrohlich Schiffe, die den freien Blick zum Horizont versperren.

Die große Neuigkeit!, 1909. Tusche, Kohle und Farbstift auf cremefarbenem Papier. © VG Bild-Kunst, Bonn 2011; Foto: Katya Kallsen, courtesy President and Fellows of Harvard College

Löst sich der Ausstellungsbesucher vom eben betrachteten Bild, so fällt sein Blick auf die Wände neben den Gemälden. Dort hängen in freier Formation Zeichnungen und Aquarelle, die von den künstlerischen Anfängen Feiningers über seine Bauhaus-Zeit bis ins amerikanische Exil reichen.

Erst spät entdeckt und nun in einer Auswahl zu sehen, sind rund 80 von Feiningers Fotografien: „Erst seit 1971 wissen wir von den vielen Aufnahmen des Künstlers“, sagt Michael Semff, Direktor der Staatlichen Graphischen Sammlung München. „Schon in den späten Zwanzigern widmete sich Feininger der Kamerakunst und betrachtete sie als Experimentierfeld.“ Während seine Söhne Andreas und Theodore Lux die Fotografie zu ihrem Beruf machten, war sie für Lyonel Feininger nur Privatvergnügen. An seine Frau Julia schrieb er am 15. Mai 1929: „Ich stelle fest, dass ich sehr gut Kompositionen nach Fotografien malen kann. ich werde großartiges Material für wichtige neue Gemälde haben.“

Bauhaus, 26. März 1929. Gelatinesilberabzug. © VG Bild-Kunst, Bonn 2011; Foto: Katya Kallsen, courtesy President and Fellows of Harvard College.

Das Fotografieren war also für den Mann am Auslöser nur ein Mittel zum Zweck, ein Teil der Bild- und Ideenfindung, bevor er wieder zu Pinsel und Stift griff. Aus heutiger Perspektive geben die Bilder nicht nur einen Einblick in Feiningers Schaffensprozess, sondern sind ein eigenständiger Teil seines künstlerischen Werkes.

Die meisten Aufnahmen stammen aus Feiningers Bauhaus-Phase in Dessau oder entstanden in Halle. Schlichte, kantige Gebäude stehen in der Dunkelheit. Die nächtliche Stille scheint sichtbar. Doch nicht nur der Fotograf ist wach. Aus einem Fenster fällt gellendes Licht und spiegelt sich auf der nassen Oberfläche der Straße.

Ohne Titel (Straßenszene, Doppelbelichtung, Halle), 1929/30. Gelatinesilberabzug. © VG Bild-Kunst, Bonn 2011; Foto: courtesy President and Fellows of Harvard College.

Hell und Dunkel, Schatten und Reflektionen künstlicher Beleuchtung – das sind die wiederkehrenden Motive Feiningers. Außerdem dokumentiert er auf verschiedene Weise, wie sich Menschen bewegen – einmal durch die Doppelbelichtung einer belebten Einkaufsstraße, ein andermal durch das Festhalten eines Rückwärtssprungs seines Sohnes ins Wasser. Gedanklich taucht der Betrachter mit ihm ein, und so ist das Foto mehr als eine Momentaufnahme. Es erzählt eine Geschichte.

 

Die Ausstellung „Feininger aus Harvard. Zeichnungen, Aquarelle und Fotografien“ wurde von Harvard Art Museum/Busch Reisinger Museum Cambride zusammengestellt. Sie war erstmalig im Berliner Kupferstichkabinett zu sehen und kann bis 17. Juli in der Münchner Pinakothek der Moderne besucht werden.

Veröffentlicht am: 03.06.2011

Über den Autor

Salvan Joachim

Redakteur

Salvan Joachim (1986) ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

Weitere Artikel von Salvan Joachim:
Andere Artikel aus der Kategorie