Malerfürst Markus Lüpertz und „TTT“ beim Jazzfest im Gasteig: Wie sicher bleibt der Münchner Jazz?

von kulturvollzug

[caption id="attachment_1226" align="alignright" width="139" caption="Dunkle, sonore Farben auch hier: Das Motiv für das Jazzfest von Markus Lüpertz. Foto: JIM"]Dunkle, sonore Farben auch hier: Das Motiv für das Jazzfest von Markus Lüpertz. Foto: JIM[/caption]

Das Jim-Jazzfest, zum ersten Mal am Rosenheimer Berg, feierte heuer in der Black Box des Gasteig seinen einundzwanzigsten Geburtstag. Nach einem Jugend-Jazzstrafrecht wäre das Festival für Münchner Musiker also nicht mehr als Heranwachsender zu betrachten. So verziehen auch Teile des gereiften Jazzpublikums manche Avantgardismen weniger.

Wie schon vor zwei Jahren gab es so etwas wie einen programmatischen Ansatz, was eigentlich nicht ganz ungefährlich ist. Dem Jazz widerstrebt wie kaum einer anderen Kunstgattung die idealistische Vorgabe. Man kennt die Gräuel der Programmmusik. So wollten allerdings die Macher von JIM um den Pianisten und Komponisten Andy Lutter das auch nicht verstanden wissen: ein Impuls eben nur. Die „Hausaufgabe“ für die Münchner Jazz-Szene klang im Motto „Audiovisuelle Möglichkeiten – Possibilities – Exchange“ an. Das inspirierte, Schnittstellen mit der bildenden Kunst zu suchen.

Prominent prangte im Artwork der Werbung der Kopf eines berühmten Malers: Markus Lüpertz. Aber nicht, um den drei Festivaltagen in der Black Box ein Zeichen zu setzen, sondern um als Pianist Markus Lüpertz mit der Gruppe TTT aufzutreten. Das Line-Up am Freitag, dem zweiten Tag des Festivals, verriet dem Kenner, wohin das TTT-Ship fahren würde. Manfred Schoof an der Trompete, seit 40 Jahren Siegel der Avantgarde, kam mit Gerd Dudek am Tenorsax, Wolfgang Lackerschmid am Vibraphon, soweit Referenz zur Münchner Szene, und dem Gründer Frank Wollny von TTT am Bass. Am Klavier der schöne Wilde Lüpertz, der bis 2009 neun Jahre lang Rektor der Düsseldorfer Akademie gewesen war. Kongenial ergänzt wurden die Kollektiv-Improvisateure durch die junge Generation mit Ryan Carniaux an der Trompete und Samuel Dühsler am Schlagzeug.

[caption id="attachment_1230" align="alignleft" width="262" caption="Markus Lüpertz live in der Black Box. Foto: Mike Gangkofner"]Markus Lüpertz live in der Black Box. Foto: Mike Gangkofner[/caption]

Hier war also mit Free Jazz zu rechnen, einer Gattung, die in München, seit den Performances von Alexander von Schlippenbach und Gunther Hampel in den 70er Jahren im Domicile an der Siegesstraße kaum mehr zu erleben war. Natürlich bestand das Bildnerische der einstündigen Improvisation des einen gehörten Stückes nicht im Name-Dropping eines berühmten Malers. Ein malerisch-explosives Moment des Freejazz ist wohl grundsätzlich sein Widerspruch zur Reproduzierbarkeit, ist seine Einmaligkeit, das Miterleben des Prozesshaften: Geburt. Die weitgehende Abwesenheit des Zyklischen, des Rondo, verleiht diesem Stil etwas existentialistisch Grausames. Damit kann man sich beim Bürgertum keine Meriten verdienen.

Trotzdem waren die Free-Profis sehr wohl in der Lage Ordnungen aufscheinen zu lassen, deren Zerstörung doch gleichwohl wieder zur Disposition stand. Wolfgang Lackerschmid verstand es, immer wieder bestens, quasi grafisch, die Tiraden der Bläser zu ordnen, Protokolle des Rebellischen durchzugeben. Frank Wollny drehte stoisch seinen Bass wie einen Rotor und Markus Lüpertz setzte dunkle, sonore Farben und führte einen schweren Kondukt, dessen Ankunft in die Ferne zu rücken schien. Die beiden Jungen an Trompete und Schlagzeug trieben unablässig voran. Der Basler Samuel Dühsler spielte dazu ein ans Zerreißen gespanntes Intensivsolo, im triolischen Rausch hielt er die Schwerpunkte der rhythmischen Entwicklung fest im Griff, ohne sie explizit zu benennen.

Es entstand ein Gemälde, in Schichten lesbar, seine eigene Archäologie anbietend. Für Leute, die sich nur in der Sicherheit des Rondo wohlfühlen, ist dies ein Angriff. Die Verlässlichkeit der vier Jahreszeiten schien in Gefahr. So kam es natürlich zu reihenweisen Austritten aus dem Schutzraum der Kultur. Jörn Pfennig, JIM-Gründervater, eilte nach vorne und skandierte: „Vielen Dank für diese Faszination des Schrrrrecklichen!!!“ Markus Lüpertz nahm´s gerne als Kompliment. Die im Saal Verbliebenen applaudierten lange.

Siegfried Kultinger

Veröffentlicht am: 10.10.2010

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