Uraufführung von Mary Shelleys „Frankenstein“ im Metropoltheater: Wer hat Angst vorm bösen Mann?

von Barbara Teichelmann

"Frankenstein" im Metropoltheater: Philipp Moschitz spielt das hilflose Monster, Foto: Hilda Lobinger

Wer gepflegten Monstergrusel erwartet, wird enttäuscht, denn Regisseur Felix Bärwald nimmt den Schauerroman zum Anlass, über das Wagnis Kreativität und deren Konsequenzen nachzudenken.

Blitz und Donner, Regen prasselt, die Bühne ist dunkel. „Es lebt, es lebt“, ruft eine Frauenstimme. Gemeint ist aber nicht das weltberühmte Monster, sondern ihr erstes Kind, das die 17-jährige Mary Shelley im Februar 1815, wenige Tage nach der Geburt, verlor. Also alles halb so wild, nur ein Alptraum, der zukünftige Ehemann ist gleich tröstend zur Stelle. Bis das Monster seinen Auftritt hat, dauert es noch ein bisschen, denn Regisseur Felix Bärwald beginnt seine Interpretation von „Frankenstein“ mit einem biografischen bzw. werkgeschichtlichen Vorspiel in der Villa des britischen Dichters Lord Byron am Genfer See. Man schreibt das Jahr 1816, es regnet, die Männer tragen Hausmantel, die Frauen sind adrett gerüscht, Langeweile geht um. Nachdem man ringsumher Bosheiten verteilt, über die Erfindung der Elektrizität und deren weitreichende Folgen debattiert hat, versucht man diesen missglückten Sommer mit einem Schauergeschichten-Wettbewerb zu retten. Damals soll Mary Shelley die Idee zu ihrem berühmtesten Buch, dem Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“, gekommen sein. Die Geschichte und die Inszenierung können also losgehen.

Es wird Licht, man blickt in eine Art Höhle (Bühne: Christiane Bärwald), an deren Wänden sich Zellen zu Gewebe verdichten, das sich schleimhautartig ballt. Die Assoziation Uterus liegt nahe. In dieser phantastischen Brutstätte kniet der junge Student Victor Frankenstein (Peter Papakostidis) und kritzelt, getrieben von hysterischem Forscherdrang, Formeln auf den Boden. Er versucht das Geheimnis von Leben und Tod zu erfassen, will künstliches Leben erschaffen. Ein paar Meter weiter neben ihm kniet seine Schöpferin Mary Shelley (Elisabeth Wasserscheid) und kritzelt, getrieben von kreativem Schaffensdrang, seine Geschichte nieder.

Die Autorin Mary Shelley (Elisabeth Wasserscheid) kommt ihrer literarischen Figur sehr nahe, Foto: Hilda Lobinger

Diese theatrale Parallelschaltung der Romanhandlung mit ihrem Entstehungsprozess ist die Grundidee, auf der die ganze Inszenierung aufbaut. Mary Shelley hat den berühmtesten Freak der Literaturgeschichte geboren, und jetzt begleitet sie ihren zusammengestöpselten Liebling bis zum bitteren Ende, sie ist schließlich die Monstermama: Sie kämpft für ihr missratenes Kind, tröstet, hilft, mischt sich in die Handlung ein, kann sie gegen Ende paradoxerweise nicht mehr beeinflussen und schreibt sie doch nieder. Auch wenn dieser Erkenntnis- und Schaffensprozess schmerzlich ist, und Mary viel schreien, verzweifelt schauen und die Hände ringen muss, letztendlich ordnet die Schriftstellerin ihre Muttergefühle der unerbittlichen Konsequenz der Phantasie unter. Schließlich ist nicht das Monster ihr Baby, sondern der Roman über das Monster, und die Romanhandlung verlangt konsequent zu Ende gedacht und geschrieben zu werden, auch wenn am Ende so ziemlich alle tot sind.

Victor Frankenstein, Mary Shelleys literarisches Schöpfer-Alter-Ego, macht eine weniger gute Figur, er erweist sich als zu schwach für das, was er da erschaffen hat: Als er es ­– in einer grandiosen Szene – tatsächlich schafft, den zusammengeflickten toten Leib mit Hilfe einer E-Gitarre zum Leben zu erwecken, kann er den Anblick seiner Kreatur nicht ertragen und flieht. Nackt, zitternd, hilflos und vaterseelenallein humpelt das Monster (Philipp Moschitz), das keines ist, in die Welt, die seinen Anblick ebenfalls nicht erträgt: Er sieht ja auch zum fürchten aus mit all seinen Narben, dem kahlen Kopf und dem ungelenk schlenkerndem Gang. Sein Äußeres erweckt Angst, Angst triggert Aggression und schon hebt man den Knüppel, um zu vernichten, was einen so existentiell verunsichert. Oder man läuft ganz einfach davon.

Das Monster trifft auf seinen Schöpfer (Peter Papakostidis) und Mary Shelley schaut machtlos zu,Foto: Hilda Lobinger

Die Inszenierung bietet zahlreiche Ansätze, über das Monsterhafte in uns nachzudenken, und dieIdee, Handlung und Entstehungsgeschichte parallel zu schalten, ist eine interessante Herangehensweise. Sie erweist sich aber im Laufe des Abends als nicht tragfähig. Kurz nachdem das Monster zu Leben beginnt, lässt der Regisseur seine Mary über die beunruhigenden Möglichkeiten der Phantasie sprechen, darüber, dass es Mut erfordert, das Potential einer Idee zuzulassen, und noch mehr Mut, sich diesem Abenteuer auszusetzen, ohne zu wissen wo es enden wird.

Dieses Dilemma kennt jeder Mensch, die Angst davor, sich mit dem, was einen ausmacht, der Welt auszusetzen. Der Künstler tut dies mit seinem Werk, seien es Bücher, Bilder oder Sinfonien. Diese archaische Angst davor, nicht erkannt, und also nicht angenommen zu werden, wäre das Potential dieses Abends gewesen. Stattdessen bleibt die Inszenierung in Mary Shelleys autobiografischem Leiden am eigenen Werk stecken. Aber da Felix Bärwald viele schöne Ideen hat und ein Händchen für Übergänge und Atmosphäre, und Philipp Moschitz es schafft, aus dem tausendfach gesehenen Monster ein hilfloses und zutiefst menschliches Etwas zu machen, ist die Uraufführung dieses Stücks Weltliteratur allemal sehenswert.

Nächste Vorstellungen vom 11. bis 15. und vom 18. bis 22. Oktober 2001, jeweils 20 Uhr im Metropoltheater München, Floriansmühlstr. 5. Karten unter 089/32195533

Veröffentlicht am: 09.10.2011

Über den Autor

Barbara Teichelmann

Redakteurin

Barbara Teichelmann ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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