Albrecht Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“: Was von dem skandalösen Gezerre um das berühmteste Gemälde des alten Meisters bleiben wird

von Michael Grill

Ein neuer Mensch schaut dich an: Dürers berühmtes Selbstbildnis. Foto: Alte Pinakothek/Wikipedia

München und Nürnberg schlagen sich um ein Bild aus dem Jahre 1500 beziehungsweise um die Frage, ob dieses Gemälde für einige Monate von München nach Nürnberg reisen darf. Selten hat eine Kunstfrage die Gemüter so sehr aufgewühlt. Es war ein skandalöses Gezerre um eine fragile Holztafel, das auch im Rückblick noch so abstoßend ist, dass der ganze Fall neu bewertet werden sollte.

 

Seit einigen Tagen steht fest: Der Dürer bleibt wo er ist. Die Rede ist von jenem Bild des spätmittelalterlichen Meisters aus Nürnberg, das in der Alten Pinakothek in München hängt und ein unersetzliches, einzigartiges Meisterwerk ist. Nie zuvor hatte sich ein Künstler so dargestellt im aufklärerischen Geist der damals neuen Zeit, hatte sich selbst und damit seine ganze Zunft, wenn nicht gar den kreativen Menschen an und für sich derart neu inszeniert und für alle Zukunft behauptet – wie Alfred Dürer in jenem „Selbstbildnis im Pelzrock“.

Heute sind berühmte Bilder ganz generell immer mehr auf Reisen, da auch der Kunstbetrieb ein weltweiter Tourneezirkus geworden ist, bei dem Bilder auf immer neuen Wegen rund um den Globus rotieren.

Ein Erpressungsversuch

Nun ist die Schau „Der frühe Dürer“, die vom 24. Mai 2012 an im Germanischen Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg zu sehen sein soll, eigentlich keine dieser durchdesignten globalen Blockbuster-Ausstellungen, die vor allem Publikumsrekorde und Ticketverkäufe im Blick haben. Das GNM ist in Bezug auf Sensations-Macherei einigermaßen unverdächtig, und es gibt sehr gute Gründe, für eine so wichtige Dürer-Ausstellung möglichst viele seiner Werke in seiner Geburtsstadt versammeln zu wollen.

Doch zu dem berühmtesten Selbstbildnis sagen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen: Das geben wir nicht mehr raus, auch für Nürnberg nicht. Das ist der Konflikt, über den in den vergangenen Monaten zwischen Ministern, Landtagsabgeordneten, Museumsleuten und Kunstpatrioten auf eine Art und Weise gestritten wurde, die beschämend war und dauerhaft schädlich ist für die Kunst.

Den größten Anteil daran haben nordbayerische Politiker mit dem CSU-Fraktions-Vize Karl Freller an der Spitze. Der scheute sich nicht, seine Drohungen in Richtungen der südbayerischen Kulturbehörden mit einem Erpressungsversuch zu krönen: Franken werde bei einer möglichen Abstimmung über einen neuen Konzertsaal in der Landeshauptstadt München nur dann zustimmen, wenn zunächst einmal der Dürer gen Nürnberg fährt.

Aber selbst die südbayerische Opposition wollte offenbar beweisen, dass sie Populismus drauf hat, sobald er beim Wähler Vorteile verspricht. Gerade haben deswegen – der vorläufig letzte Stand der Dinge - die Staatsgemäldesammlungen den Abgeordneten Sepp Dürr von den Grünen zur Entschuldigung aufgefordert. Dürr hatte Sammlungs-Chef Klaus Schrenk öffentlich angegiftet: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“

Dies bezog sich auf eine zwischenzeitliche Behauptung der Sammlungen, das Dürer-Bild habe bei der letzten Ausleihe nach Nürnberg 1971 einen gravierenden Schaden erlitten – es stellte sich aber heraus, dass dieser Schaden bereits vor 1934 entstanden sein musste. Der erste Befund habe bislang so in den Akten gestanden, sagen die Sammlungen jetzt, der neuere sei erst vor kurzem bei einer Untersuchung herausgekommen und „umgehend öffentlich bekannt gegeben“ worden.

Nun ist es einerseits bemerkenswert, dass bei einem so bedeutenden Werk in bayerischen Staatsakten offenbar ein solcher Schmarrn drinsteht und erst nach Jahrzehnten entdeckt wird. Und andererseits noch viel mehr, was für ein Diskussionsniveau sogar ein qua Parteifarbe alternativer Landtagspolitiker hat, der einen renommierten und herausragenden Experten des bayerischen Kulturbetriebs als Lügner bezeichnet.

Zeitweilig war der Streit so weit ausgeartet, dass sich Politiker aller Fraktionen darin übten, wer am lautesten nach dem Dürer schreien und dabei auf den zuständigen Museumsbehörden am heftigsten herumhacken konnte. Denn letztere hatten das Dürer-Bild ja sicher nur aus Dummheit, Bosheit oder Faulheit für „nicht reisefähig“ erklärt.

Wenn diese Art von Kultur-Debatte Schule macht - der Populismus von Politikern entscheidet, wie mit einem Kunstwerk umgegangen wird -, dann kann man sich in Zukunft alle Sicherungsinstanzen für den Erhalt der großen Kulturschätze sparen.

Allerdings haben aber auch und gerade die Staatsgemäldesammlungen seit Jahren den Boden für eine solche Eskalation der Politikerwut bereitet. Sie arbeiten offenkundig seit mehreren Präsidentengenerationen an einem Ruf als arroganteste, abgehobenste und weltfremdeste Behörde im Freistaat.

Wer einmal selbst erlebt hat, wie selbstherrlich diese Behörde die Deutungshoheit in jeglichen Fragen von Kunst und Kultur für sich beansprucht, wie desinteressiert man dort an Publikumsmeinung generell sein kann, wie hochnäsig Spitzenvertreter jener Behörde mit Zweigmuseen in kleineren Städten umgehen, beziehungsweise wie stiefmütterlich und herablassend vieles behandelt wird, das in den Augen der Münchner Behördengötter provinziell ist, der ist nicht völlig überrascht, dass es irgendwann mal aus dem Wald zurückschallt, in den ständig so hineingerufen wird.

Vorgeführt wie ein krankes Tier

Sicherlich gibt es auch in den Staatsgemäldesammlung engagierte Menschen, die einen guten Job für die Kunst machen. Aber der Ton dieser Institution insgesamt ist geeignet, sämtliche Vorurteile über selbstbezogene, weltfremde Kulturschnösel zu bestätigen.

So gesehen, war der „Fall Dürer“ keine plötzliche Verklemmung nur der Politik. Sondern eine innerbayerische Explosion, für die sich Druck über sehr lange Zeit angestaut hatte.

Immerhin kam man irgendwann auf die Kernfrage zurück: Ist der Dürer reisefähig oder nicht? Doch die Sachfrage konnte wiederum nur mit einer abermals peinlichen Veranstaltung geklärt werden, bei der man das Bild aus seinem schützenden Rahmen nahm und den Politikern wie ein krankes Tier vorführte. Sie mussten es schließlich selbst sehen können: Dass es nicht geht.

Wie unwürdig, wie absurd: Eine Kulturinstitution, der man nicht mehr glaubt, muss denen, die keine Ahnung haben, vorführen, dass man ausnahmsweise an den Fakten nicht vorbei kann.

So sind wirklich alle beschädigt, und das ist furchtbar traurig. Ob es zur Besinnung führt? Dann wäre das Spektakel rund um das fränkische Genie wenigstens für etwas gut gewesen.

Veröffentlicht am: 22.02.2012

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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