Nach "Trash People II" auf der Theresienwiese für Tollwood

Wie „Macher“ HA Schult die vermüllte Umwelt zur Kunst umfunktioniert

von Karl Stankiewitz

HA Schult beim Aufbau von "Trash People II" auf der Theresienwiese. Foto: Bernd Wackerbauer

Winter-Tollwood ist vorbei, doch das Festival wirkt nach: Vor kurzem wurde es im Rahmen der European Festival Awards auf dem Eurosonic-Festival im niederländischen Groningen mit dem Green Operations Award ausgezeichnet. Der Preis zeichnet ökologisch und sozial engagierte Festivals aus; mit Tollwood nun auch erstmals eines aus Deutschland. Auf dem Winter-Tollwood hatte es viele Aktionen gegeben, von der Kampagne „Artgerechtes München“ bis zu „Bio für Kinder“. Zudem krönte das Festival eine Kunstaktion von HA Schult auf der Theresienwiese - "Trash People II". Wir blicken aus diesem Anlass noch einmal auf das Schaffen des Künstlers.

Am Abend des 16. Oktober 1970 startete in München ein Mann, der seinen Beruf als „Macher“ ausgab und  seinen Namen als HA Schult, von einer Rampe an der Feldherrnhalle aus zu einer Aktion, die ganz Deutschland mit Tausenden von Menschen und Kunstinstitutionen und Medien einbezog. Die Idee war ihm auf der Autobahn gekommen, als er das Verkleben der Windschutzscheibe durch Insekten als „ästhetisches Ereignis“ wahrnahm. Zwanzig Tage lang fuhr er in einem blutorange bemalten VW-Käfer, ständig begleitet von einem Kamerateam, rund 20 000 Kilometer weit durch die Bundesrepublik und die DDR, um den permanenten Veränderungsprozess am Fahrzeug und an sich selbst sowie die Reaktionen der Leute, denen er zufällig begegnete, zu beobachten und alles genau zu dokumentieren.

Am Abend des 24. November 2015 startete derselbe Umwelt-Künstler das Winter-Tollwood-Festival in München mit einer ähnlich spektakulären Aktion: Er postierte am Haupteingang eine Armee von 500 „Müllmenschen“, die er bereits durch die halbe Welt hatte marschieren lassen. Als „Trash People“ sollen sie die Hinterlassenschaft der Überflussgesellschaft, die Kehrseite unseres Wohlstands symbolisieren.

Vor einem halben Jahrhundert hatte sich Schult, der 1939 in Mecklenburg geboren wurde, zunächst mit biokinetischen Arbeiten einen Namen gemacht in München. Bald aber wurde er zum Müll-Mann, zum Müll-Macher, zum Müll-Verwandler. Er installierte seine Kunstwerke, die im Wesentlichen aus Abfall bestanden, im Straßenbild, etwa an einer Baustelle der U-Bahn. Er füllte die Schackstraße, wo einst das Satireblatt „Simplicissimus“ von Ludwig Thoma redigiert wurde, mit Altpapier, Fußabstreifern und sonstigem Überbleibsel des Alltags; wegen groben Unfugs musste er 300 Mark Strafe zahlen.

Täglich spazierte der meist in schwarze Seide gehüllte Hans-Jürgen Schult mit seiner Elke durch Münchens Straßen, durch Parks und Tiefgaragen, manchmal auch durch Privatgärten. Einmal leerte das Pärchen den Mülleimer von Franz Beckenbauer. Der Inhalt wurde dann in der Lenbachvilla ausgestellt. Außerdem waren ein Plastiksack voller verwelkter Blätter und andere Funde aus der Wüste der Großstadt dem neuen Direktor Armin Zweite wert, in der Städtischen Galerie zur Schau gestellt zu werden.

"Crash New York" für die documenta 6 im Jahr 1977. Copyright: HA Schult / Foto: Harry Shunk

Nach 27 Münchner Jahren setzte Schult seine Aktionen in New York fort. Großes Aufsehen erregte sein zur Documenta-Eröffnung programmierter Flugzeugabsturz auf die Müllkippe von New York am 25. Juni 1977; später hat man diesen “Crash” als künstlerische Vorwegnahme des Terrorangriffs von 9/11 gedeutet.

Er machte Furore von Argentinien bis Zypern, von Moskau bis Shanghai. Berühmt wurden auch seine Serigraphien mit Diamantstaub, sein Friedensspeicher und die leuchtende Weltkugel, die ein Hubschrauber auf eine Kölner Brücke hievte. Schult porträtierte alle Bundeskanzler, für Angela Merkel machte er Wahlkampf.

Er war immer mehr als ein bloßer „Macher“, er war einer der ersten Mahner unserer Konsum- und Wegwerf-Kultur. Viel früher als andere machte Schult seinen Mitmenschen bewusst, dass unsere Umwelt allmählich kaputt ging. Vielerorts finden sich heute kleine und große Objekte dieses Umweltkünstlers. Mit seinen „Trash People“, einer Armee aus tausend Müllskulpturen, marschiert er immer noch um die Welt. Weitere Müllmänner stehen in Museen und kirchlichen Hallen, in Büros von Politikern und Industriellen.

Am 2. Juli 2014, seinem 75. Geburtstag, kam der Universalkünstler mit seiner Muse noch einmal zum Anfang der gemeinsamen Aktionskunst zurück: Zur Eröffnung des Tollwood Festival in München eröffneten  die beiden Unzertrennlichen gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbund einen von elf Bildpaaren gesäumten Weg, dessen Ziel das Ende der industriellen Intensiv-Tierhaltung sein soll. Müll blieb das Leitthema des Machers.

Müll ist für ihn Menschheitsgeschichte. „Wir alle sind Müll,“ predigt er unermüdlich, „wir produzieren Müll und aus Müll destilliert sich wieder neues Leben.“ Es gibt ein gutes Dutzend Bücher von und über Schult. In Berlin betreibt er heute eine Galerie, in Köln ein eigenes Museum.

Veröffentlicht am: 08.02.2016

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