„Ich verstehe ihre Wut“ - Zur Uraufführung von "SATT" im Marstall

von Gabriella Lorenz

Foto: Thomas Dashuber

Die junge Autorin Marianna Salzmann weiß, wovon sie schreibt: 1995 kam sie als Zehnjährige aus Moskau nach Deutschland. Um zwei russische Migrantinnen-Mädchen, die auf unterschiedliche Weise mit der deutschen Wirklichkeit nicht klarkommen, geht es in ihrem Stück „SATT“, das am Sonntag im Marstall uraufgeführt wird. Stefanie Bauerochse (32) gibt damit am Bayerischen Staatsschauspiel ihr Regie-Debüt.

„SATT“ ist das zweite Stück von Marianna Salzmann, die in Berlin Szenisches Schreiben studiert. Ihr Erstling „Weißbrotmusik“ gewann den Wiener Wortstaetten-Preis und wurde 2010 in Berlin uraufgeführt: Darin münzt sie den Fall zweier Münchner U-Bahn-Schläger - einer Grieche, der andere Türke - auf einen jüdischen und einen muslimischen Täter um.

Satt sind die Töchter der aus Russland immigrierten Larissa nicht, obwohl sie ihnen als Ärztin ein gutbürgerliches Ambiente bieten kann. Den Lebenshunger der Mädchen stillt die angepasste Normalität der Mutter nicht. Die 20-jährige Goscha sucht den Kick auf der Straße, wo sie ihre Mitmenschen zum Nachdenken über ihr gesellschaftliches Zusammenleben zu provozieren versucht. Mit ihrem Underground-Freund Stef durchforstet sie Supermarkt-Container nach weggeworfenenen Lebensmitteln und rennt in U-Bahn-Tunneln den Zügen davon. Die jüngere Su hat ihre Heimat in der virtuellen Spiele-Welt gefunden und sich darin verloren.

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Was der Regisseurin Stefanie Bauerochse an Salzmanns Stück gefiel: „ Es ist musikalisch durchkomponiert, eine polyphone Erzählung für vier Stimmen, die am Mikrokosmos Familie Probleme der deutschen Gesellschaft verhandelt.“ Die gebürtige Frankfurterin studierte in Braunschweig Englisch, Kunst und Darstellendes Spiel und absolvierte ihr Refendariat an einem Gymnasium. Ihre ersten freien Inzenierungen präsentierte sie während eines Theaterstudiums in Leeds und Warwick.

Dann ging sie als Regie-Assistentin ans Theater. In den Underground- und Internet-Welten ist Bauerochse selbst nicht zu Hause. Aber die Figur der Goscha ähnele ihr, sagt sie: „Ich verstehe ihre Wut und ihre Art, sich mit der Mutter auseinanderzusetzen.“ Die Mutter sieht sie als starke Person, die viel aushält und immer voll für die Töchter da ist. Deren Lebensvorstellungen charakterisiert sie so: „Sie ist ein ,Digital Native', immer auf ,Mission' im Internet, mit dem Ehrgeiz einer Hochleistungs- sportlerin. Goscha dagegen sucht ihre Identität über die körperlich-sinnliche Erfahrung. Mit reformpädagogischem Eifer versucht sie, auf eigene Faust Familien- und Gesellschaftsprobleme zu lösen. Ihr Konflikt, der zur Katastrophe führt, liegt darin, dass sie einerseits mit der Welt selbst in Kontakt kommen will, sich aber andererseits davon wegredet.“ Aber weil Sprache in diesem Stück zur Kommunikation nicht ausreicht, braucht Goscha irgendwann härteren Zündstoff für ihre Wut. Die Selbsterkenntnis, zu der sie so gelangt, „zerfetzt sie buchstäblich“, sagt Stefanie Bauerochse.

Veröffentlicht am: 06.03.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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