„Das darf nicht nur ein Feigenblatt sein“: Künstler Wolfgang Flatz über den Trend zu kulturellen Zwischennutzungen in München

von Michael Grill

Professoren unter sich: Professor Wolfgang Flatz und "Herr Professor", sein Hund, vor dem gemeinsamen Zuhause auf der Praterinsel. Foto: Atelier Flatz

Die „kulturelle Zwischennutzung“ ist das Zauberwort der Münchner Kulturpolitik. Spätestens seit dem übergroßen und bundesweit beachteten Erfolg von „Puerto Giesing“, also der Verwandlung des alten Hertie an der Tegernseer Landstraße in eine Kultur- und Party-Location für einige Monate, ist es schick, vor allem subkulturelle Projekte zeitlich befristet unterzubringen. Neustes und spektakuläres Beispiel war die Praterinsel, auf der die Augsburger Patrizia Immobilien GmbH als Eigentümer bis zum Umbau im Herbst eine Art „Puerto Praterinsel“ einrichten wollte. Inzwischen ist dieses Projekt wieder abgesagt worden - doch die Diskussion um die Kultur auf Zeit geht weiter.

Wir sprachen mit Wolfgang Flatz (58), der seit vielen Jahren auf der Praterinsel lebt und arbeitet – und momentan der letzte Künstler dort ist. Das Interview wurde geführt, als die Puerto-Praterinsel-Pläne noch aktuell waren. Der Text erschien erstmals in der Süddeutschen Zeitung vom 10. März. Einen Tag danach wurde bekannt, dass der Eigentümer die Puerto-Macher um Zehra Spindler doch nicht auf die Insel lassen will. Für deren Konzept seien Freiflächen notwendig, die bereits an die Agentur Planworx vermietet seien und somit nicht zur Verfügung stünden. Da sowohl die Diskussion um die Praterinsel wie auch um die kulturellen Zwischennutzungen in München weitergehen wird, veröffentlicht der Kulturvollzug das Interview noch einmal in voller Länge.

Herr Flatz, von der früheren Künstler-Enklave auf der Praterinsel sind nur noch Sie übrig – warum?

Erstens, weil ich als einer der ersten Künstler auf die Insel gekommen bin. Zweitens, weil ich hier sozusagen die Kühlerfigur bin, also der Künstler mit der größten Außen- oder Öffentlichkeitswirkung. Und drittens spielt sicher eine Rolle, dass mein Atelier eine ehemalige Garage ist, ein alleinstehendes Gebäude abseits des vor fünf Jahren geräumten Atelierhauses. Dieses habe ich mit sehr viel Initiative und auch Geld selbst renoviert. Da hat nie ein Eigentümer etwas investiert.

Kann Berühmtheit für einen Künstler eine Art Mieterschutz sein?

Eindeutig ja. Aber auch der Eigentümer hat etwas davon, wenn ein bekannter Mieter durch sein Dableiben die besondere Qualität der Immobilie deutlich macht.

Nun soll es einen Puerto Praterinsel geben, also eine Art kulturelles Partyareal für begrenzte Zeit. Wie finden Sie das?

Für das Image der Immobilie ist das sicher sehr gut. Denn sie ist nach der Zwangsentfernung der anderen Künstler in einer Art Dämmerschlaf gefallen. Und für jede Immobilie, die nicht nur zum Wohnen oder Schlafen da ist, bringt Kultur eine positive Öffentlichkeit – und damit in der Regel einen Mehrwert.

Nach der befristeten Kultur kommt eine Luxus-Weiterverwertung. Man könnte zynisch von kulturellem Trockenwohnen sprechen.

Die Praterinsel ist schon sehr lange eine Luxusimmobilie. Dazu rechne ich zwei Drittel der Gebäude, das letzte Drittel ist nur noch der unrenovierte Atelierblock. Der gesamte vordere Teil wurde ja bereits vom Vorbesitzer hergerichtet. Einiges davon steht leer, nach einer Umnutzung sollen Landtagsabgeordnete einziehen. Ob das der Immobilie nutzt, kann ich nicht sagen, aber eine sozusagen gesellschaftlich hochstehende Verwertung wäre ja nichts Negatives.

Laut einem Stadtratsbeschluss von vor 18 Jahren muss die Insel überwiegend kulturell genutzt werden. Ein Puerto Praterinsel würde diese Vorgabe nicht dauerhaft erfüllen können.

Ich fürchte, dass ein so hoher Kulturanteil nicht auf Dauer haltbar sein wird. Da muss sich zeigen, ob die Stadt das Rückgrat hat, so etwas einzufordern. Dass ein Inhaber bestmöglich verwerten will, liegt in der Natur der Sache.

Der hohe Verwertungsdruck auf Münchner Immobilien zwingt die Kultur immer stärker in die Zwischennutzungs-Nische. Dort entstehen auch Projekte wie die der Urbanauten oder das Nachtmuseum im Stadtmuseum. Ist Kultur unter Druck vielleicht sogar besonders kreativ?

Es ist erst mal immer gut, wenn Kultur überhaupt noch ermöglicht wird. Und beide Seiten, Eigentümer wie Künstler, haben davon Vorteile. Langfristig aber wird es problematisch, wenn die Kultur überhaupt keinen festen Platz mehr hat. Für Kulturschaffende kann es katastrophal sein, wenn sie ständig von einem Ort zum anderen ziehen müssen.

Ist die Kultur letztlich doch nur Mittel zum Zweck?

Es gibt Vor- und Nachteile auf allen Seiten, wobei die Nachteile auf der Seite der Kultur stärker zum Tragen kommen. Für die Stadt als dritten Akteur ist es sicher eine gute Sache, dass immer wieder neue Plätze für die Kultur gefunden werden müssen und dadurch aktiviert werden.

Gibt es eigentlich einen kulturellen Unterschied zwischen einem Kulturstand der Urbanauten und einer Schneerampe von Siemens?

Da ist kein so großer Unterschied, da beides kommerziell ausgerichtet ist. Insbesondere die vieldiskutierte Schneerampe auf dem Wittelsbacherplatz ist aber ein reines Marketing- und Werbeinstrument, das es wohl ohne die Olympia-Bewerbung nicht gegeben hätte. Generell finde ich es gut, wenn Plätze aktiviert werden. Aber ob die Schneerampe gut war? Ich bin nicht sicher.

Zurück zur eindeutigen Kultur: Oft ist die Vielfalt bei Zwischennutzungen besonders groß - da kommen Grafiker mit Musikern, Architekten mit Computernerds, Autoren mit Malern zusammen.

Das ist alles wunderbar, solange es nicht bloß ein Feigenblatt für eine später ausschließlich kommerzielle Verwertung ist.

Dafür gibt es Beispiele?

Ganz klar ja, das kommt häufig vor. In Berlin habe ich das besonders oft gesehen: Bei leerstehenden Wirtschaftsimmobilien wird der unterste Stock für temporäre Kunst und Ausstellungen benutzt – so lange, bis das Gebäude im Gespräch ist, und dann wird verwertet. Die Praterinsel ist aber ein besonderer Fall. Sie ist im Grunde seit mehr als 20 Jahren in einem Zwischenzustand, obwohl sie als Immobilie etabliert ist, auch als Event-Ort. Vielleicht klappt es ja, dass der Eigentümer Teile des Neukonzeptes an Künstler vergibt, die dann kontinuierlich hier arbeiten können. Ich habe jedenfalls so etwas läuten hören. Das würde sehr für den Eigentümer sprechen – und eine Mischung von Büros und Ateliers bietet ja auch für normale Festmieter Vorteile.

Was hält Sie eigentlich noch in München?

Ich halte München nach wie vor für eine der lebenswertesten Städte überhaupt. Für mich persönlich spielt die Praterinsel dabei eine besondere Rolle. Ich wäre vielleicht nicht mehr hier, wenn ich nicht diesen außergewöhnlichen Standort hätte.

Veröffentlicht am: 11.03.2011

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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