Interview mit der Kölner Techno-Legende Wolfgang Voigt

„Durch den Loop sehe ich die Welt“

von Christa Sigg

Wolfgang Voigt. Foto: Unland

Der 60-jährige Musiker, Produzent und Künstler aus Köln zählt zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Techno-Szene. Seit den frühen 1990er-Jahren hat er über 160 Alben, EPs und Singles unter mehr als 30 verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht. Gerade eröffnete er in München die Reihe „Tune“ im Haus der Kunst: Techno-„Förster“ Wolfgang Voigt.  Die Kraftwerk-Helden Ralf Hütter und Florian Schneider sind zwar gut 15 Jahre älter, aber mittlerweile gehört auch Voigt zu den Techno-Dinos. Wie im Loop ist der Mann aus Köln immer wieder da – unverwüstlich und mit immer neuen Projekten, die Musik und Kunst gemeinsam denken.

Damit ist Voigt der ideale Gast für den Auftakt der Reihe „Tune“ (Melodie), die im Haus der Kunst in eine neue Runde geht. Ein Gespräch über Erwartungen, Pseudonyme und den Wald, der bei seinen Konzerten eine tragende Rolle spielt.

Herr Voigt, Sie nennen Ihr Projekt „GAS“, mit dem man nicht unbedingt Positives verbindet, vor allem wenn noch der aktuelle Album-Titel „Der lange Marsch“ dazukommt. Worauf spielen Sie an?

WOLFGANG VOIGT: Der Begriff ist bildlich gemeint. Er beschreibt die künstlerische Fantasie von amorph – „gasförmig“ – oder frei fließender Musik, die wie Morgennebel durch einen undurchdringlichen Wald strömt. Und „Der lange Marsch“ steht für die ikonenhaften geraden Techno-Bass-Drums, die nicht verhandelbar sind und so alles zusammenhalten.

Hier läuft gerade Ihr zehntes GAS-Projekt – und man fühlt sich bei Sphärenklängen, Gezwitscher und Wasserrauschen wie im Wald. Die Titel erinnern an Wagners „Waldweben“. Ist das beabsichtigt?

Unbedingt. GAS fantasiert über die Romantik des entrückten Walderlebens mit den Mitteln elektronischer Musik und durch die Pop-Art-Brille. Und natürlich können und dürfen sich rauschhaft psychedelische Effekte einstellen.

Welche Komponisten spielen beim „Langen Marsch“ und überhaupt in Ihrer Musik eine Rolle?

Keine.

Netter Scherz. Den Wagner haben Sie quasi schon zugegeben. Aber zurück zur Natur: Der Wald zieht sich wie ein grüner Faden durch Ihr Werk, zum Beispiel beim Projekt „Königsforst“ aus den späten 90ern. Mit Techno bringt man den Wald eher nicht zusammen.

Erwartungen zu erfüllen, war nie Kern meiner Musik. Meine Arbeit ist von jeher vom Reiz am Gegensätzlichen, vom Verneinen bestimmter Regeln und Genregrenzen in und zwischen Kunst und Musik geprägt.

Sind Sie eigentlich gerne in der Natur?

Ja, die Natur hatte besonders in meinen jungen Jahren großen Einfluss auf mein Schaffen. Sie ist absolut. Künstlerisch interessant wird die Natur für mich aber erst in der digitalen Sphäre. Verfremdung, Verdichtung, Umdeutung – das sind alles Zauberworte.

Warum arbeiten Sie mit Pseudonymen? Wegen der vielen unterschiedlichen Projekte?

Anders, das Spiel mit Pseudonymen ermöglicht einen sehr freien Blick auf das Werk, da man nicht weiß, wer dahintersteckt. Und die vielen sehr unterschiedlichen Projekte können und sollten nicht alle denselben Namen haben. Vorhersehbarkeit ist doch langweilig.

„Weg. Ziel. Loop. Waldloop“ – was ist darunter zu verstehen?

Gute Frage. Zunächst mal klingt das einfach gut! Natürlich spielt das auf die bekannte Formel „Der Weg ist das Ziel“ an und verweist von da aus – im Sinne eines anderen Blicks auf die Welt – weiter auf die „Waldloops“. Das ist eine Bilderserie, die auf meinen GAS-Covern und Waldfotografien basiert.

Der Loop, überhaupt das Repetitive spielt eine große Rolle in Ihrer Arbeit, auch in der Kunst, die derzeit in Ihrer Heimatstadt Köln und in Gstaad in zwei Ausstellungen zu sehen ist.

Ja, der Loop in unterschiedlichsten Formen und Varianten ist eines der zentralen Themen sowohl in meiner musikalischen als auch in meiner bildnerischen Arbeit. Dieses Denken, das nicht zuletzt von der Struktur computerbasierter Musikprogramme geprägt ist, durchzieht mein Werk auf vielschichtige Weise. Sagen wir es so: Der Loop ist für mich eine Art, die Welt zu sehen.

Sie haben einen Hang zum Hypnotisch-Psychedelischen. Da sind Sie nah dran am rauschhaften Wagner, der Raum und Zeit vergessen lässt.

Wenn man das von Wagner sagen kann, haben wir was gemeinsam...

Die Reihe "Tune" wird im Haus der Kunst fortgesetzt; Infos hier.

Veröffentlicht am: 30.01.2022

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