Das Leben, ein Todesrausch: Chloé Delaumes "Eden morgens mittags abends" im Pathos München

von kulturvollzug

Eine schroffe Meditation über den Suizid: Chloé Delaumes Monolog „Eden morgens mittags abends“ feierte mit Stefanie von Poser im Pathos München eine gelungene Premiere.

Ein Selbstmordversuch kann einen teuer zu stehen kommen. Im Erfolgsfalle kostet er das Leben, bei Misserfolg aber tausend Euro für Rettungswagen und Krankenhaus, etwaige Sachbeschädigungen noch gar nicht eingerechnet. Adèle weiß, wovon sie spricht. Soeben ist sie mal wieder von einem dieser Versuche aufgewacht, von einer, wie sie es nennt, „Unterhaltung mit meinem Todestrieb“. Nun versucht sie, sich auf  die unvermeidlichen Gespräche vorzubereiten.

Mit dem Psychiater etwa; ihn muss sie davon überzeugen, dass sie eigentlich ganz klar im Kopf ist. Damit er sie beruhigt aus seiner Obhut entlassen kann. Oder mit ihren Eltern: Wie kann sie ihre Mutter dazu bringen, sich ins Unvermeidliche zu fügen? In die Tatsache, dass ihre Tochter nicht mehr sein wird? Dass sie aber ihr Leben auch nicht weggeworfen hat – weil sie doch nie zu leben begonnen hat.

„Eden morgen mittags abends“, das erste Stück der französischen Autorin Chloé Delaume (alias Nathalie Dalain), ist im Pathos München ein schmerzhafter Monolog am Rande einer düsteren Zone, jedem verboten der nicht wie Adèle ein "Thanatopath" ist.

Es geht auch um die Grenzen der Kommunikation: Gibt es eine Krankheit, die Thanatopathie heißt? Ist sie plausibel oder überhaupt auch nur vorstellbar? Was erzählt uns die Frau da? Man kann, wie es nach fatalen Fällen oftmals heißt, nicht reinschauen in die Menschen.

Delaumes Todesfuge ist ein schwieriger Textteppich, dem Stefanie von Poser im Pathos-Theater ein Muster verleiht. Vor allem in den innigen Passagen, in der (fiktiven) Unterhaltung etwa mit ihrer Mutter, gewinnt ihr Spiel suggestive Kraft. Immer wieder bricht sie in fiebrige Aktivität aus. Pillen gewähren ihr morgens, mittags, abends ihr kleines Stückchen Eden.

Am Ende des von Hauke Lanz inszenierten Stücks zweifelt man an allem: Der Raum, an dessen Wände sie sich ab und an wirft (der Aufprall als Realitätstest) – gibt es ihn in irgendeinem Krankenhaus, oder ist er nur in ihrem Kopf zu finden? In Behauptungen erlangt sie vollkommene Freiheit. Ist Adèle überhaupt aufgewacht, oder dämmert sie im Koma dem Tod entgegen, jenem Tunnel zum Mittelpunkt der Erde?

Der schmucklose, karge Raum im Pathos ist mit Flitter ausgelegt – der Boden der Tatsachen bricht sich in vielfältigen Spiegelungen, wie in einem Kaleidoskop. Adèle schaufelt die bunten Fetzen in eine Badewanne, die mehr und mehr einen Grab ähnelt. Bevor das Licht verlischt, steht sie im weißen Gewand an seinem Rand.

Das letzte Hemd hat keine Taschen, sagt man. Wozu auch? Adèle könnte ja nur das Nichts hineinpacken.

Jan Stöpel

Weitere Aufführungen im Pathos München am Freitag, 22.Oktober und am Samstag, 23. Oktober, Beginn jeweils um 20.30 Uhr

Veröffentlicht am: 22.10.2010

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