Happy Birthday, Franz Liszt: Genie, Verführer, feiner Kerl

von kulturvollzug

Oliver Hilmes (Foto: Maximilian Lautenschlager)

Er war Klaviervirtuose, Komponist, Intendant, Schriftsteller, Erneuerer der romantischen Musik: Meister Franz Liszt hatte viele Facetten. Vor genau 200 Jahren, am 22. Oktober 1811, wurde der Publikumsliebling und Frauenliebling im ungarischen Raiding geboren. Aus diesem Anlass ein Interview mit dem Liszt-Biografen Oliver Hilmes.

Sie sind nicht der erste, der Liszt einen Superstar nennt. Die Frage sei dennoch gestattet: Ist es statthaft, einen Ausdruck des 20. Jahrhunderts so einfach ins 19. zu holen

Ich bin ein Freund davon, dass man Dinge beim Namen nennt. Die Bezeichnung, die Abfolge einzelner Buchstaben - das mag aus dem 20. Jahrhundert stammen. Aber ich habe mir als Biograph angeschaut, wie Liszt von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde, also von Heine, Andersen, aber auch vielen Unbekannten, in den Journalen, in den bunten Blättern. Und da habe ich festgestellt, dass es da zu hysterischen Ausschreitungen kam. Liszt war viel mehr als ein Musiker. Er war eine Person, die über ihre charismatische Pesönlichkeit die Menschen verzückt, verzaubert, in Rage gebracht hat. Das ist all das, was einen Superstar ausmacht. Das Wort ist neu. Was man darunter versteht, trifft absolut auf Liszt zu.

Komponist, Virtuose, Intendant, Schriftsteller - welche Facette hat Sie am meisten fasziniert?

Alle, auf unterschiedliche Weise. Ich persönlich kann keine Facette besonders betonen. Seine Musik sagt mir sehr viel und liegt mir sehr am Herzen. Er ist ein unglaublich farbiger, schillernder, bedeutender Mensch gewesen.

Wie erklären Sie die Tatsache, dass Wagner nicht nur in Bayreuth wesentlich gegenwärtiger ist als Liszt ?

Wagner hat ein großes, großes Oevre hinterlassen, das viel geschlossener ist als das von Liszt - nur Opern. Das sind Mammutwerke. Liszt hingegen ist viel kleinteiliger. Lizt hat für die Oper, außer einem frühen Jugendwerk, das aber zu vernachlässigen ist, überhaupt nichts geschrieben. Dafür unglaublich viel fürs Klavier, aber auch Kammermusik, Musik für die Orgel, das macht den Überblick viel schwieriger. Und dann war Liszt, und das ist vielleicht die Kehrseite des Superstars, ein sehr umstrittener Mensch, der auch angefeindet wurde. Und das hat vielleicht teilweise zu dem Bild geführt, dass Liszt ein unseriöser Komponist ist, dass man die Musik im Grunde nicht ernst nehmen muss. Liszt als Salonmusiker, der die leichte Muse bedient hat: Das ist ein Vorurteil, das lange konserviert wurde. Hinzu kommt gerade in Bayreuth, dass die Familie Wagner, und das begann mit Cosima Wagner, überhaupt kein Interesse daran hatte, dass der berühmte Verwandte Franz Liszt so hoch gehandelt wurde. In Bayreuth konnte es nur einen Gott geben - und das war Richard Wagner. Das Kleinreden von Listz hat schon in der Familie Wagner begonnen.

Auch Wagner hatte seine Skandale, denken wir an seine Menage a trois mit Cosima, die mit Bülow verheiratet war...

Ja,das war eine Geschichte, die Liszt furchtbar getroffen hat. Dass seine einzige überlebende Tochter, dass Cosima seinen Lieblingsschüler Hans von Bülow sitzen lässt, um zu diesem Filou Wagner überzulaufen - das hat Liszt sehr geschmerzt. Da Verhältnis zwischen Wagner und Liszt war denn auch sehr schwierig. Liszt hat um das Genie Wagners gewusst und sein nahezu übermenschliches Können verehrt. Aber die Persönlichkeit Wagners war ihm zeitlebens suspekt. Man kannte ja die Geschichten Wagners, seine Affären. Und für Liszt war es ein schmerzhafter Gedanke, dass sich seine Lieblingstochter unter Wagners Mätressen wiederfinden könnte. Wagner hat selbst zugegeben, dass er eine Menge, nun ja, entlehnt hat von Liszt.

Wäre Wagner so überhaupt denkbar gewesen - ohne Liszt?

Liszt war überhaupt ein großer Anreger. Viele Komponisten haben sein großes kompositorisches Können als Katalysator wahrgenommen. Wagner auch. Wir kennen diesen Ausspruch, dass Wagner die Symphonischen Dichtungen seines Schwiegervaters Liszt als "Diebesnest" bezeichnet hat, so viel habe er daraus geklaut. Man kann nicht behaupten, dass Wagner ohne Liszt nicht hätte komponieren können. Aber richtig ist, dass das Zustandekommen der Bayreuther Festspiele und ihr Überleben nach Wagners Tod 1883 zu einem großen Teil Liszt zu verdanken ist. Er hat sich mit dem guten Klang seines Namens und dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit voll hinter dieses Bayreuther Experiment gestellt. Womit wir bei einer seiner herausragenden Eigenschaften sind: seiner Großzügigkeit. Er dirigierte ja auch eine Oper von Wagner, als der polizeilich gesucht wurde.

Das war mehr als nur eine künstlerische Großtat, das war auch ein politisches Zeichen. Da hat dieser Franz Liszt Mut bewiesen, dass er die Oper eines steckbrieflich gesuchten Polithasardeurs aufgeführt hat. Da kann man nur sagen: Chapeau! Überhaupt war Liszt das, was man heute einen feinen Kerl nennt. Ein großzügiger, distinguierter feiner Herr, der seine Schüler immer kostenlos unterrichtet und sich für viele Freunde und junge Künstler aufgerieben hat. Eine schöne Anekdote, wie Liszt die Schüler, die Bülow vergrault hat, durch die Hintertür wieder hereingeholt hat.

Das ist auch so eine Kehrseite. So viel Freundlichkeit und Großmut kann natürlich auch ausgenützt werden. Da haben sich allerlei Leute in Liszts Sonne gestellt, die dort nicht hingehörten. Leute, die den Alten geschickt umschwänzelt und ihn ausgenutzt haben.

Ein feiner Kerl, aber auch ein großer Frauenverbraucher und ein seltsamer Abbé...

Es scheint so, dass verschiedene Sachen nicht recht zusammenpassen. Etwa, dass dieser große Frauenverehrer und Charmeur der Dreißiger und Vierziger Jahre in den Sechziger Jahren zu einem Kleriker wurde. Nun, er wurde Kleriker, aber nie Priester. Er war nie an ein Zölibat gebunden, hat sich aber eben in den Dienst der Kirche gestellt, weil er zeitlebens sehr fromm und dem katholischen Mystizismus zugewandt war, aber auch ein Zeichen setzen wollte, dass er seine Lebensgefährtin Caroline von Seyn-Wittgenstein nicht heiraten konnte.Mit dieser neuen Rolle als Abbé hat er nochmals eine weitere Welle der Lisztomanie entfacht.

Vielleicht doch nur ein Marketing-Gag?

Das wäre zu spitz formuliert. Richtig ist, dass er sich in der Rolle des Abbé sehr gefallen hat. Wir wissen aus zeitgenössischen Quellen, dass er es sehr genossen hat, in der Soutane in den Salons zu erscheinen. Und wir wissen, dass ihn diese Soutane überhaupt nicht davon abgehalten hat, erotische Anziehungskraft zu entfalten und in Verkehr mit Frauen zu treten. Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Es war auch eine Selbstinszenierung. Wie so vieles in seinem Leben hatte das eine theatralische Dimension.

Am vergangenen Samstag feierte man Liszts Geburtstag. Was würden Sie ihm wünschen?

Dass sein Werk noch viel umfangreicher wahrgenommen und entdeckt wird. Man muss sich vorstellen, dass allein das Klavierwerk 99 CDs füllen würde. Und davon ist in den Konzertsälen gerade mal der Umfang von fünf CDs verbreitet. Bei Liszt gibt es noch viel zu entdecken - und das würde ich ihm wünschen.

Oliver Hilmes, Liszt. Biographie eines Superstars, Siedler, 432 Seiten, 24,99 Euro

Veröffentlicht am: 23.10.2011

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