Boulevard der Dämmerung: Die letzten Altmünchner Läden der Maximilianstraße geben auf, eine Kulturmeile ist am Ende

von kulturvollzug

Humbert Saemmer (links) vor seinem Gechäft. Alle Fotos: Achim Manthey

Als Humbert Saemmer im Juni 1955 mit seinen Teppichen in der Maximilianstraße Nr. 33 einzog, ging nach langer Düsternis die Sonne über Münchens Prachtmeile Nr.1 auf. Bald bündelte sie ihre Strahlen auf jene Schnittstelle zwischen der eigentlichen Straße und dem sogenannten Forum, wo sich zwischen historischen Grünanlagen und soeben erst wiederaufgebauten Geschäftshäusern in den Folgejahren ein urbanes, ein geradezu weltstädtisches Leben entwickelte.

Insbesondere auf der südlichen Straßeneckseite, wo es früher schon recht sonderbare Etablissements und im Krieg noch eine „Sonderbar“ gab, blühten auf engstem Raum gastronomische und kulturelle Betriebe. Das Feinschmeckerlokal „Die Kanne“ managte Charles Schumann ab 1983 als American Bar zu Ruhm und Rummel. In der Etage darüber, wo früher Dienstboten wohnten, gründete der Kunsthändler Richard Grimm quasi als Geheimtipp ein erstes Jüdisches Museum. Im „Nacht-Cabaret Intermezzo“ nebenan tanzten die Pariser Lido-Girls, trillerte ein Londoner Skandalgirl, musizierten Baby-Elefanten. Garniert war dieses Kunterbunt durch Spezialgeschäfte für Blumen, feinste Schleckereien und Jagdzubehör.

"Nach 61 Jahren schließen wir für immer."

Auch vis-a-vis, wo der 25jährige gelernte Kaufmann Saemmer hinter erhalten gebliebener Tudorstil-Fassade seine Perser auslegte, gedieh ein City-Biotop eigener Art. Trude Kollmann leitete in der Passage die „Kleine Freiheit“, die mit Texten von Friedrich Holländer, Erich Kästner und Martin Morlock zur führenden Kleinkunstbühne der Stadt, vielleicht sogar der Republik wurde; Dieter Hildebrandt ließ sich hier als Platzanweiser zu eigenen Kabarettplänen anregen.

An der Ecke lockte „das Roma“, vom Schauspieler Hans Reiser zu einem der beliebtesten Straßen-Cafés stilisiert, bildhübsche Mädchen, Besucher und Akteure umliegender Theater und Galerien, Touristen, Bohemiens und notorische Boulevard-Bummler. Der Bluesbarde Willy Michl wurde hier zu seinem Maximilanstraßensong „Una bella Signorina“ angeregt, der Spaziergänger Blasius zu bissigen Sprüchen. Jahrzehntelang inszenierte sich da eine Kultur-Schickeria, vorzugsweise in der blauen Stunde vor Sonnenuntergang.

Die neue Zeit (I).

Ein buntes Bild, das sich den Vorstellungen des Georg Friedrich Christian Bürklein von 1851 nach gut hundert Jahren annäherte. Der geniale Straßenplaner wollte, einem „Bedürfniß“ der Stadtgesellschaft folgend, die ganze östliche Hälfte des königlichen Boulevards als „großen öffentlichen Garten mit Vergnügungsplätzen“ gestalten. „Konditoreien, Kaffee- und Speisehäuser, Säle für Musikfeste, Volkstheater, Zirkus, öffentliche Bäder etc. etc.“ sollten mit Privathäusern verbunden werden. Doch Max II. wünschte dann doch lieber offizielle Gebäude und Institute statt Stätten des Amüsements; die Regierung von Oberbayern und das Völkerkundemuseum, beide jüngst renoviert, waren die Endprodukte des Umdenkens.

Radikal umdenken und umplanen hieß es dann wieder im Jahr 1962. Damals waren die Stadt- und Verkehrsplaner auf die Idee gekommen, genau an dieser Schnittstelle eine 47 Meter breite Schneise zu schlagen – für eine achtspurige Stadtautobahn, die rund um die City und teilweise mitten durch verbliebene Bausubstanz verlaufen sollte. Die Stadt kaufte deshalb einem Obstgroßhändler den von diesem gerade wiederaufgebauten Eckblock mit den Hausnummern 33 und 32 für 800.000 Mark ab - um ihn abreißen zu lassen. Auf der Abbruchliste standen weitere 200 Häusern bis hin zum Viktualienmarkt.

Die neue Zeit (II).

Die privaten Eckhäuser auf der Südseite der Maximilianstraße wurden tatsächlich niedergemacht, um „freie Fahrt für freie Bürger“ zu schaffen. Auf der Nordseite aber regte sich Widerstand. Saemmer, der jetzt bis zu 5000 Perser sowie Tibeter aus eigener Werkstatt in Nepal auf zwei Etagen auslegte, pochte auf einen noch sieben Jahre gültigen Mietvertrag und ging, zusammen mit anderen Mietern, auf die Barrikaden. Gegen den brutalen Straßendurchbruch, der eine erschreckende Ahnung von der angestrebten „autogerechten Stadt“ eröffnete, protestierten auch alle Münchner Zeitungen und namhafte Architekten. Erwin Schleich sah hier eine „Barbarei von historischer Größenordnung“ und ein Musterbeispiel für die von ihm beklagte „zweite Zerstörung Münchens“.

Es war aber letztlich die benachbarte Regierung von Oberbayern, die ein Stoppschild aufstellte.  „Wir können nie so viele Straßen bauen wie es Autos gibt.“  So wies die Aufsichtsbehörde die städtischen Bau- und Straßenraser grundsätzlich in die Schranken Der Nordpfeiler des Forums blieb also stehen, der Südpfeiler wurde 1981 für 40 Millionen Mark originalgetreu als „Campari-Haus“ wiederaufgebaut. Schließlich wurde der Altstadtdurchbruch an dieser neuralgischen Stelle durch kosmetische Tricks sogar noch um 15 Meter verengt. Es entstand hier das sogenannte Max-Forum, ein etwas gekrümmter Glaspalast mit vielen Bürowaben und einem ziemlich versteckten Restaurant.

Die Narbe aber blieb. Trotzdem konnte die Maximilianstraße insgesamt ihr Gesicht wahren. Noch stellten sich in der Endphase des 20. Jahrhunderts all die historischen Prachtgebäude zwischen Max-Joseph-Platz und Maxmonument großenteils runderneuert und mit frischen Ockerfassaden zur Schau. Noch wurde die Szene belebt durch mehrere anspruchsvolle Theater, ein Spitzenhotel und ein Museum, das jeweils aktuelle Regionen wie Tibet oder Afghanistan eher inszenierte als präsentierte.

Außerdem konzentrierte sich hier immer mehr das Geschäft mit der Kunst. Zeitweise bis zu 20 Läden und Beletage-Galerien boten vorwiegend der Gegenwartskunst ein international beachtetes Schaufenster. So hat der junge Heiner Friedrich die „junge heftige Malerei“ (Baselitz und einige Beuys-Schüler, aber auch amerikanische Popart) hierzulande erst richtig bekannt gemacht. Eine Vorreiterrolle spielten auch Otto van de Loo oder die Galerie Art in Progress, die eher als die Museen einen Andy Warhol entdeckte. Dreizehn Galeristen veranstalteten einmal wöchentlich eine „lange Nacht der Kunst“.

Elegant war die Straße ja immer schon. Das sollte jedoch bald nicht mehr genügen. Im Jahr 1998 tauchte an der Mauer des Vierjahreszeiten – bescheiden klein - ein Firmenname auf, der für Luxusartikel obersten Levels steht: Bulgari. Damit, so Saemmer rückblickend, habe sich „Die Büchse der Pandora geöffnet“. Dem Teppich- und Theaterfan erschien der neue Nachbar, dessen Sortiment sich vom Silberring bis zum Superhotel spannt, auch als „Speerspitze der Italiener“.

Von nun an gab es kein Halten mehr. Nach und nach richteten sich ziemlich alle italienischen und französischen Modekönige feinste Residenzen in der guten alten Münchner Maximilianstraße ein. (Rudolf Moshammer spielte in dieser Internationale noch den heimischen Paradiesvogel.) Die andrängenden Herrscher, von Armani bis Versage, waren und sind nach wie vor bereit, für ein Münchner Schaufenster jeden Preis zu zahlen. Ob sich ihre Investitionen jemals amortisieren, ist eine müßige Kalkulation.

Hier geht es um globale Präsentation.

Im Weltreich des Luxus kommt es, wie in der Branche geflüstert wird, gar nicht so sehr darauf an, Klamotten oder Klumper zu Fantasiepreisen – etwa an schwarz verschleierte Scheich-Frauen - zu verkaufen. (Manche Auslagen sind denn auch gähnend leer, andere haben nur Schlitze.) Es gehe vielmehr um die globale Präsentation und damit Wertsteigerung der Marken. Bei solchem Ranking gehört München offenbar zum auserwählten Kreis der – wie Bulgari seine „aggressive Strategie“ beschreibt – „World’s Major Cities“. So wie neuerdings auch Schanghai und Moskau, wo das frühere Volkskaufhaus GUM fest in italienischer Hand ist.

Nun wäre ein wenig Abglanz vom Glamour der Weltmetropolen nicht unbedingt schädlich für das Stadtbild – wäre allzu viel Luxus nicht ein bisschen langweilig. Und vor allem: Wenn sich der folgende Vertreibungsprozess vermeiden ließe. Aber sowohl öffentliche wie private Besitzer von Maximilianstraßen-Immobilien haben bisher nie gezögert, die Gunst der Stunde zu nutzen. Ergebnis: die Mieten in den Altbauten liegen heute bei 100 Euro pro Quadratmeter, in den mondänen Neubauten (Maximilianhöfe) sollen bereits bis zu 500 Euro bezahlt werden.

Das übersteigt denn doch alles Gewohnte und großenteils alles wirtschaftlich Mögliche. Und so zogen sie nach und nach aus den schönen alten Häusern aus, die soliden alten Mieter: die Handwerker und Kleinhändler, denen der Titel „Hoflieferant“ auch nichts mehr nützte, das ohnehin geschrumpfte Photogeschäft, die Werkstätten für gute Möbel, die einzige Buchhandlung der Straße. Nicht einmal die einzige Apotheke konnte sich halten, das gelang nur noch der Deutschbankfiliale daneben.

Natürlich verschwanden auch die letzten Kunsthändler mit ihren Ladengeschäften, während sich in oberen Etagen noch einige behaupten. „Nur mehr die Italiener und Franzosen können sich die Filetstücke der Straße leisten,“ resignierte Michael Otto und schloss die seit 1864 bestehende Galerie Köster. Die „extremen Mietpreise“ vertrieben schließlich Horst Mahlers „Gemäldehaus“ ins Briennerstraßen-Karree, wo der Galerist Peter Rutzmoser, nicht ohne Erfolg, mit dem Slogan wirbt „Klamotten raus, Kunst rein“.

Man trägt italienisch.

Die „Kleine Freiheit“ hatte schon 1996 zugemacht. Der Zuschauerraum diente seither dem Café Roma als Lager. Für Ideen, darin ein Museum für den Simplicissimus oder für erotische Kunst einzurichten, gab es zwar angebotene Objekte und Konzepte, aber kein Geld – und schon gar kein städtisches Interesse. Als schließlich das beliebte Roma zumachte und in einen jener gleichartigen italienischen Modetempel verwandelt wurde, schien der Höhepunkt der Verödung einer einst so lebendigen Straße erreicht.

„Die wollen uns hier nicht mehr“, meint der letzte Handwerker, der die Straße, die nicht mehr seine ist, kürzlich verlassen hat. Bleibt die Frage, ob sich das „Die“ auf die mietpreissteigernde Versorgungskammer beziehen lässt oder auf die Stadt, die vielleicht doch eine gewisse Fürsorgepflicht für ein Stück Straßenbild wahrnehmen sollte. „In den großen Boulevards anderer Einkaufsstädte, ob in Hamburg, Amsterdam oder Düsseldorf, floriert neben der Haute Couture immer noch eine traditionelle Geschäftswelt, nur zwischen Max-Joseph-Platz und Max-Zwei-Denkmal soll das nicht mehr möglich sein,“ wundert sich ein Altmieter.

Ein solcher Branchen-Mix werde hierorts leider durch „geldgierige, marktinteressierte Kräfte“ verhindert, weiß Gunda Wölk, Sprecherin der SPD-Fraktion im Bezirksausschuss Altstadt-Lehel. Wenig bewirkten dessen wiederholte Appelle an die Vermieter, ihre Geschäftspolitik nicht allein danach zu orientieren, wer die höchste Miete zahlen könne, sondern bitte sehr auch zu bedenken, wie sich eine Straße verändern oder sogar „kippen“ könne, sagt Gunda Wölk, die von einer „kranken Entwicklung“ spricht. Nur selten hat der Bezirksausschuss die Vermietung an unerwünschte Betriebe verhindern können, beispielsweise bei einem Casino-Projekt im Tal.

Zur Begründung, warum gegen Miethaie in der Maximilianstraße nichts auszurichten ist, kann die Bürgervertretung auch nur die Argumente städtischer Kompetenzen bis hinauf zum Rathauschef wiederholen: Leider gäbe es keine gesetzliche Grundlage, die einer Kommune erlauben würde, die Art von gewerblicher Nutzung in einer Straße oder einem Viertel vorzuschreiben. Allenfalls bei einer Nutzungsänderung, etwa der Umwandlung von Wohn- in Gewerberaum, könnte die Stadt lenkend eingreifen. (Beim „Roma“ hat keine Umnutzung stattgefunden.)

Relikte, offenkundig nicht mehr zeitgemäß.

Der Allerletzte, der vor 40 Jahren erfolgreich gegen einen hierorts noch breiteren Stadtautobahndurchbruch gekämpft hatte, kann die Stellung im stadteigenen Eckbau auch nicht mehr halten. Ihn hat das Kommunalreferat per Einschreiben mit Rückschein ohne nähere Begründung aufgefordert: „Die Ihnen angemieteten Räumlichkeiten in der Maximilianstraße 33 sind spätestens am 31.8.2011 vollständig geräumt und im vertraglich vereinbarten Zustand zurückzugeben.“

Dass mittlerweile auch Gebäude, die sich im Besitz der Landeshauptstadt befinden, der radikalen Marktwirtschaft unterliegen, erklärt Gunda Wölk damit, dass die Stadt seitens der Aufsichtsbehörde gezwungen sei, „ortsübliche“ Preise zu erzielen, die sich aus den umliegenden Vergleichsmieten errechnen. Immerhin hat Oberbürgermeister Christian Ude, der einmal Mieter-Anwalt war, die kleinen Läden im Rathaus und im Ruffini-Block durch mäßige Preispolitik zu erhalten versprochen. Was durch Anpassung an die Umsätze auch gelang.

Für ihr Haus am Forum hat die Stadt ihre Mietforderungen immer wieder nicht zu knapp „angepasst“ - jetzt schlagartig um das Doppelte. Einen derart astronomischen Betrag kann auch ein gutgehendes Teppichgeschäft nicht mehr erwirtschaften. Der betroffene, vergleichsweise kleine Münchner Kaufmann will nun, von Größeren indirekt vertrieben, den Rest seiner Ware versteigern. Einen Teil vom Erlös will Humbert Saemmer dem Münchner Kindlheim, in dem er groß geworden war, zu dessen 120. Geburtstag schenken.

Karl Stankiewitz

Vom Autor sind erschienen die Bücher  „Prachtstraßen in München“, 2008 und 2009, Verlag Bayerland

 

Veröffentlicht am: 19.11.2011

Andere Artikel aus der Kategorie