Zur Skandal-Ausstellung am Ackermannbogen
Wolfram P. Kastner und die Kunst um seiner selbst Willen
Er hat Einspruch eingelegt. Der Aktionskünstler Wolfram P. Kastner steht heute vor Gericht um – mal wieder – eine seiner Provokationen zu verteidigen. Mit Bildern von verstümmelten Leichen wollte er vor einem Jahr die Anwohner des Neubaugebiets am Ackermannbogen zu Pazifisten erziehen. Weil den Leuten übel wurde, schickte ihm das Kreisverwaltungsreferat einen Bußgeldbescheid über 273,50 Euro. Nicht hinnehmbar, findet der Künstler.
Kastner lebt von der öffentlichen Aufregung. In der Vergangenheit spazierte er als Papst neben Hitler durch die Fußgängerzone, oder er ließ sich wegen Hakenkreuz-Gebrauchs ins Gefängnis werfen. Als ein Mönchengladbacher Museumsdirektor seine alten Koffer auf den Müll warf, erklärte er sie kurzerhand zu Kunst und stellte Schadenersatzforderungen von 25.000 Euro in den Raum. Seine Exponate mögen langweilig sein – er weiß, wie sich ein Happening lohnt.
Vom aktuellen Eklat speist er seinen Ruhm nun schon über ein Jahr lang. In der Ausstellung „Teilen statt kriegen“, die am 17. April 2011 im Schauraum an der Therese-Studer-Straße eröffnete, waren, neben Gebrauchsgegenständen mit Camouflagemuster, Bilder von Kriegsopfern ausgestellt. Grausame Bilder, die unter das Jugendschutzgesetz fallen. Von einem Kopf waren außer Haare und Hals nur noch Innereien zu sehen, von einem anderen, mit noch geöffneten Augen, fehlte die Unterhälfte. Ein Kind ohne Arme und ein Toter mit einem Loch in der Brust zählten zu den harmloseren Ansichten.
Vor dem Schaufenster, in dem die Fotos gezeigt wurden, gehen täglich über 100 Kinder vorbei. Sie stellen hier ihre Fahrräder ab oder kommen auf dem Weg zur Schule oder zur Spielwiese vorbei. Im selben Haus darüber wohnen Flüchtlingsfamilien aus afrikanischen Krisengebieten. Da Kastner sich, im Namen des schonungslosen Pazifismus, von den Initiatoren der Ausstellung nicht überzeugen ließ, die Bilder wenigstens ins Rauminnere zu drehen, damit nur Ausstellungsbesucher sie sehen konnten, verlangten Eltern die sofortige Entfernung. Ein siebenjähriger Junge sah nicht rechtzeitig weg und verbrachte die Nacht weinend. Die verzweifelte Mutter musste sich von Kastner als „aufgeregte Blockwartsfrau“ titulieren lassen, der Vorsitzende des Arbeitskreises Kultur am Ackermannbogen, Manfred Drum, der Kastner eingeladen hatte, trat wenig später von seinem Amt zurück. Der Skandal war perfekt.
Wolfram P. Kastners Aktionskunst erreichte damit eine offen menschenverachtende Dimension. Früher verletzte er die Gefühle von Katholiken und Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, jetzt nimmt er Kinder als Opfer seiner Kunst in kauf. Sicher, von einem 65-Jährigen ist nicht um jeden Preis zu erwarten, dass er sich noch in die Seele eines Kindes hineinversetzen kann. Wenn ihm aber vier, fünf entsetzte Mütter eine simple Bitte stellen, sollte ein Mensch mit Herz und Verstand doch die Ohren öffnen, ein Künstler für den Frieden gleich fünf Mal. Doch Kastner kann nicht hinnehmen, was in seinem Bußgeldbescheid klar benannt wird: Es „wurden Passanten, darunter Kinder, dem verstörenden Anblick der Fotos unvorbereitet und ohne Entscheidungsmöglichkeit, sich den Darstellungen zu entziehen, ausgesetzt.“ Er hat seine Radikalität diesmal auf Kosten der Schwächsten ausgelebt.

Verschwunden: Fünf Protestplakate von Müttern. Die Anwohner verdächtigen Kastner, sie gestohlen zu haben. Foto: KulturTeam-iv
Entlasten soll Kastner heute vor allem ein Gutachten des Kurators Armin Zweite. Das Schreiben liegt dem Kulturvollzug vor – es ist natürlich eine Lobeshymne. „Er [Kastner] repräsentiert zweifellos eine wichtige Position im Umfeld der aktuellen Kunst“, heißt es darin. „Denken wir daran, dass Otto Dix (...), dass John Heartfield nicht weniger engagiert gegen den Krieg Stellung bezogen haben, oder an Pablo Picasso, dessen ‚Guernica’ (...) nicht weniger eindringlich gewirkt hat.“ Kastner, der Große, mache nicht L’Art pour l’Art, also Kunst um ihrer selbst Willen, schreibt Zweite, sondern er „exponiert sich auf ungewöhlich direkte Weise durch seine Aktionen“. L’Art pour lui propre also, Kunst um seiner selbst Willen. Auch mit Erich Maria Remarque und Bert Brecht wird Kastner verglichen. Dabei hat er die grausamen Bilder, um die es geht, aus dem Internet heruntergeladen. Sie stammen, aufbereitet, aus einer Anti-Kriegs-Ausstellung aus den 20er Jahren.
Es wird auch verharmlost in dem Gutachten. „Der Vorwurf, die (...) schrecklichen Darstellungen der Kriegsopfer hätten Kinder beeinträchtigt (...) entbehrt m. E. jeder Grundlage, nicht zuletzt, weil auf einem Abstand von über vier Metern das eigentliche Schrecknis dieser Darstellung gar nicht recht zu erkennen ist“, heißt es. Abgesehen davon, dass auf vier Meter Blutmatsche in Kopfform bestens zu erkennen ist, heißt der Tenor also: Nun heult nicht rum, es war doch fast nichts.
Kastner ist in seinem Schaffen offenbar an einem Punkt angelangt, an dem er die eigenen Grenzen nicht mehr erkennt. Seine Art der pazifistischen Erziehung in „Teilen statt kriegen“ ist nichts als selbst grausame Erziehung durch abschreckendes Beispiel, wie sie öffentlichen Hinrichtungen zugrunde liegt. Von dieser Art der Zwangspädagogik hat sich Europa nach zwei Weltkriegen verabschiedet. Das zu vergessen, ist entweder reaktionär oder ein Zeichen für Kastners eigene Rücksichtslosigkeit und Intoleranz.
Vermutlich wird die heutige Verhandlung wieder eine gelungene Kastner-Show. Drei Zeugen sprechen für ihn. Von den Eltern hingegen, die Anzeige erstatteten, ist unerklärlicherweise niemand geladen. Der Berufsprovokateur wird sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit sonnen, um seine pazifistische Schallplatte abzueiern. Vielleicht erspart ihm der Richter sogar die 273 Euro.
Die unangenehme Frage, vor der er steht, wenn der Prozess vorbei ist, sollte er sich trotzdem beantworten: Welchen Porzellanladen zertrample ich als nächstes? Und wie wahre ich dabei meine Glaubwürdigkeit? Das Leben als Berufsmonster wird nicht leichter, wenn die Urteilskraft verloren geht.
Erklärung der Redaktion (4. Juni 2012)
Dieser Beitrag hat zu teilweise heftigen Reaktionen sowohl des betroffenen Künstlers Wolfram P. Kastner wie auch unter den Leserinnen und Lesern geführt. Die Redaktion sieht sich nun zu folgender Stellungnahme und Richtigstellung veranlasst:
Dieser Beitrag wurde entgegen anders lautender Hinweise vor dem Ende des ersten Verhandlungstages im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Wolfram P. Kastner am Amtsgericht München publiziert. Die Autorin war an den Vorgängen um die Ausstellung "teilen statt kriegen" im April 2011 als Nachbarin des Ausstellungsraumes intensiver persönlich beteiligt, als für die Redaktion zunächst erkennbar. Hier haben die internen Kontrollmechanismen versagt. Der Beitrag hätte in dieser Form und ohne erläutende Hinweise nicht erscheinen dürfen. Dies müssen wir mit größtem Bedauern einräumen.
In dem Beitrag wird die Behauptung aufgestellt, Wolfram P. Kastner habe sich "wegen Hakenkreuz-Gebrauchs ins Gefängnis werfen lassen". Der Künstler legt Wert auf die Feststellung, dass es eine Inhaftierung wegen Hakenkreuz-Gebrauchs nicht gegeben habe. Die Behauptung wird hierdurch richtig gestellt und ausdrücklich nicht aufrecht erhalten, nachdem sie sich auch bei Nachrecherchen nicht verifizieren ließ.
Die weiteren Angriffe gegen den Beitrag nehmen wir gern zur Kenntnis, halten sie jedoch im tatsächlichen Bereich für nicht gerechtfertigt. Die Meinung unserer Autorin muss nicht geteilt werden. Abweichende wie zustimmende Meinungen sind ausdrücklich gewünscht.