"Der falsche Inder" am Volkstheater

Minga mog den Simplicissimus des 20. Jahrhunderts

von Gabriella Lorenz

Ein kleiner Höhepunkt zum Saisonausklang: Stefan Ruppe, Sinan Al-Kuri, Pascal Riedel (v.l.). Foto: Gabriela Neeb

Zum Glück gibt es das arme Theater. Und Häuser, die diesen fantasievollen Minimalismus pflegen. Das lässt einen nach aufwändigen Ärgernissen wie Bieitos „Kirschgarten“ und Thalheimers „Sommernachtstraum“ sowie Seidls „Bösen Buben“ wieder an die Kraft des Theaters glauben. Mit ihrer Romanadaption „Der falsche Inder“ sorgt Regisseurin Nicole Oder im Volkstheater für den versöhnlichen Ausklang einer Saison, in der die Kammerspiele und das Resi fast nur Mittelmaß und Enttäuschungen boten.

Die 33-jährige Nicole Oder ist seit vier Jahren im Berliner Heimathafen Neukölln verankert und bescherte diesem freien Theater mit der Migranten-Trilogie „Arabboy“, „Sisters“ und „ArabQueen“ überregionalen Erfolg. „ArabQueen“ gewann 2011 den Publikumspreis beim Volkstheater-Festival „Radikal jung“. Keine Frage also, dass Nicole Oder das Händchen hat für die Flüchtlingsodyssee, die Abbas Khider in seinem Roman „Der falsche Inder“ schildert.

Wie sein Protagonist Rasul (der wegen seines Aussehens meist für eine Inder gehalten wird) saß der 1973 in Bagdad geborene Autor mit 20 unter Saddam Hussein im Gefängnis und entschloss sich dann zur Flucht, die eine jahrelange Irrfahrt wurde. Der gebürtige Iraker Sinan Al-Kuri spielt mit überzeugender Verve diesen Rasul, der sich naiv wie ein Simplicissimus des 20. Jahrhunderts aufmacht ins gelobte Europa-Land. Pascal Riedel und Stefan Ruppe verkörpern in fliegendem Wechsel alle anderen Figuren.

Ein Laufsteg vor weißer Wand, an der Briefe und Saddam-Poster kleben - mehr braucht's nicht (Bühne: Franziska Bornkamm). Einfachste Mittel machen alles klar. Brennende Papierfetzen stehen für Feuer- Künstler, eine halbe Melone taugt als Tarn-Helm, ein Fußball wird zur Wahrsagekugel. Pascal Riedel ist mit Kopftuch sowohl als Mutter wie als angebetete Suad glaubhaft. Einfach hinreißend, wie sich Suad und Rasul im Kino verschämt verliebte Blicke zuwerfen.

Stefan Ruppe sorgt eher fürs Komische, als schmieriger Schleuser oder esoterisch schwäbelnder Turbanträger.

Nicole Oder schickt die Zuschauer in rasendem Tempo auf einen Parcours zwischen Tragik und Komik. Wenn Rasul in München landet, wo er gar nicht hinwill, erscheint einem die physische Folter im irakischen Knast nicht so unterschiedlich von Verhören durch Euro-Polizei. Am Ende wird der Überlebensheld von einem Gitarrenduo mit „Minga mog di“ niedergeschnulzt. Davor kann man nicht flüchten.

Volkstheater, Kleine Bühne, 3., 6., 8. Juli, 20 Uhr, Tel. 523 46 55

Veröffentlicht am: 03.07.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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