Suse Wächter inszeniert Poe im Marstall

Erweiterung des Bewusstseins durch Grusel

von Gabriella Lorenz

Mutter Usher (Puppe) und Suse Wächter (Foto: Matthias Horn)

Der Bühnenraum ähnelt einer Geisterbahn. Die schwarzen Wände sind bemalt mit Fratzen, Knochen liegen herum, eine lebensgroße Puppe kauert auf einem Sarg. In dieser Gruft vollzieht sich "Der Untergang des Hauses Usher" - in 70 Minuten. Die renommierte Puppenspielerin Suse Wächter inszeniert die berühmte Grusel-Erzählung von Edgar Allen Poe aus dem Jahr 1839. Mit den Schauspielern Thomas Gräßle und Friederike Ott als Geschwister Usher und selbstgebauten Figuren. Heute ist Premiere im Marstall.

In München war Suse Wächters Arbeit erst einmal zu sehen: Zu Jürgen Kuttners Reventlow-Inszenierung "Der Geldkomplex" schuf sie die Schauspieler-Doubles. Die eigenwillige Mischung aus Schauspiel und Puppenspiel, die sie in vielen Aufführungen - oft mit ihrem langjährigen Partner Tom Kühnel und auch mit Kuttner - verwirklichte, machte sie bundesweit gefragt. Die gebürtige Thüringerin, die in Berlin lebt, arbeitet meist als Gast am Schauspiel Köln (da inszenierte sie 2010 "Agrippina" und 2012 die Weltuntergangsrevue "Der Abend aller Tage") und in Hannover. In ihrem Hauptwerk "Helden des 20. Jahrhunderts" portraitiert sie 70 historische Persönlichkeiten. Erst in den letzten Jahren führt sie häufiger selbst Regie.

Die Szenerie ist düster und gruselig (Foto: Thomas Dashuber)

Als ihr das Resi eine Poe-Inszenierung vorschlug, dachte sie: "Warum nicht mal das Unheimliche suchen? Puppen sind ja etwas zwischen Subjekt und Objekt, zwischen tot und lebendig. Das ist auch ein Motiv Poes." Zumal ihre Kreationen ohnehin nie nett, sondern meist grotesk bis gruselig sind.

Das Handwerk hat Suse Wächter an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule studiert. Sie baut alle Puppen selbst und hat mittlerweile einen Fundus von über 250. Die werden für neue Rollen auch mal "frankensteinmäßig umoperiert". Viele sind so aufwändig, dass sie zwei oder gar drei Spieler benötigen. Wächter  nennt das lieber Animation, weil sie die Objekte beseelen muss, damit aus ihnen Bühnen-Subjekte werden.

Neben der "Usher"-Erzählung sind in den Marstall-Abend auch andere Quellen eingeflossen, die Pes Mitivik bestärken: Roger Cormans B-Movie "Lebendig begraben" nach der Erzählung "Das vorzeitige Begräbnis", Poes Gedicht "Der Eroberer Wurm" und sein Essay "Philosophie der Komposition", dazu Motive aus seinem Leben wie der traumatische frühe Tod der Mutter, die spätere Rezeption seines Werks - etwa in Debussys unvollendeter Oper - sowie als Referenz an die Popkultur eben auch die Poe-Verfilmungen von Roger Corman.

Friederike Ott und Thomas Gräßle als die Geschwister Usher (Foto: Thomas Dashuber)

Den Erzähler Poe, der seinen Jugendfreund Usher auf dessen verfallendem Landschloss besucht, animiert Wächter als lebensgroße Figur. Er kann als sein eigener Kindgeist auftauchen (auch seine tote Mutter geistert herum) oder wndelt sich zu anderen Kunstschöpfern wie dem Komponisten Debussy und dem Filmregisseur Corman. Den von Todesvisionen heimgesuchten Roderick Usher sieht Wächter als überreizten, übersensiblen Künstler, der mit seiner Schwester auch live auf der Bühne musiziert. "Das Haus Usher hat keine Zukunft mehr. Die Geschwister sind erdrückt von der Vergangenheit und sterben daran. Sie sind selbst schon Geister in ihrem Spukschloss", sagt die Regisseurin.

Die düstere Bühne von Martin Miotk, den sie aus Berlin mitgebracht hat, zeige die dem Tod geweihte, niedergedrückte Welt, die dem Unterbewusstsein entspricht. Weiter oben machen Videos Fenster und das Wetter sichtbar. Wächter geht es - wie auch in ihren sonstigen Arbeiten - in diesem Klassiker der Horror-Literatur vorwiegend um Stimmungen und Atmosphäre: "Viele Romantiker haben aus Düsterem Poesie gemacht. Da entsteht Freiraum für Fantasien und Ängste." Die sollen das Publikum irritieren, verunsichern, Wahrnehmungs-Grenzen verschieben, das Bewusstsein erweitern. "Vom Traum zum Albtraum", sagt Suse Wächter. Lächelnd.

Marstall, 1., 2., 5. und 28 März 2013, 20 Uhr, Tel. 2185 1940

Veröffentlicht am: 01.03.2013

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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