Zum Auftakt von Radikal Jung am Volkstheater

Schmelzende Wände, überfordernde Mauern

von Gabriella Lorenz

Daniela Löffner. Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Ein starker Auftakt: Daniela Löffners Inszenierung „Kinder der Sonne“ vom Schauspielhaus Zürich war so ausgereift, dass eine Zuschauerin sich danach im Publikumsgespräch erregte, was an dieser „konventionellen“ Aufführung denn radikal jung sein solle. Die Dame hat das Konzept missverstanden: Der Festivalname „Radikal jung“ bezieht sich auf das Alter der Regisseure, nicht auf ihren Inszenierungsstil. Eine eigene Handschrift sollen sie haben, und die muss keineswegs von Video, HipHop und Dekonstruktion geprägt sein. Nach dem Bericht von Michael Weiser hier ein zweiter Blick auf die Eröffnung des Festivals.

Die Handschrift der 33-jährigen Daniela Löffner ist geprägt vom psychologischen Herangehen ihres Lehrmeisters Jürgen Gosch, bei dem sie fünf Jahre assistiert hat. Wie bei Gosch sieht in ihrer Maxim-Gorki-Inszenierung auch die Bühne aus: ein hermetischer Raum ohne Türen. Einen Ausweg finden die Darsteller nur über die Rampe ins Publikum, wo sie zwischen ihren Szenen in der ersten Reihe sitzen. Die Wände sind goldgelbe Bienenwaben, denn wie in einem Bienenstock kreisen hier Elite-Bürger um sich und ihre persönlichen Probleme, ohne zu merken, dass draußen Cholera und Aufruhr toben. Riesenbeifall für ein exzellentes Ensemble mit Rainer Bock als Mittelpunkt.

Mit lakonischer Woody-Allen-Komik spielt der Ex-Resi-Star Bock den egozentrischen Wissenschaftler Protassow, den nur seine Chemie-Experimente interessieren. Durchaus sympathisch, obwohl er seine Umwelt nicht wahrnimmt, weder die Liebe seiner Frau noch die einer reichen Verehrerin. Aber seine Utopie einer besseren, harmonischen Gesellschaft fasziniert alle. Was außerhalb der Idylle los ist, weiß nur seine Schwester Lisa (Julia Kreusch), die nach einem blutigen Demo-Erlebnis schwer traumatisiert ist. Eine aggressive, gespaltene Kassandra, deren Liebesverweigerung den Tierarzt Boris (Sean McDonagh) in den Selbstmord treibt. Alle Figuren sind scharf gezeichnet, aber nie karikiert. Und am Ende schmilzt die Wabenwand - ein starkes Bild.

Gorkis 1905 geschriebenes Drama ist heute noch hochpolitisch. Zu Kindern der Sonne möchten auch Mia (Ann Kathrin Doerig), Bettie (Isabell Giebeler) und Lore (Christina Huckle) ihre Mitmenschen machen. Mit fingierten Terroranschlägen vermitteln sie das Glück, davongekommen zu sein. Die 20-jährige Autorin Laura Naumann entwirft in „Demut vor Deinen Taten Baby“ ein groteskes gesellschaftspolitisches Szenario: Die Idee der Mädels funktioniert so gut, dass die  Politik sie einkauft. Bis die Glückswelle gefährlich überschwappt und die Sache kippt. Babett Grube inszenierte das am Theater Bielefeld rasend schnell und hitzig als unterhaltsame Etüde.

Die Performerin oder Sabine Sauber oder wer auch immer. Foto: Rami Maymon

Spannend provoziert ein Gastspiel aus Israel: Denn der Titel „Mein Jerusalem - eine Performance von Sabine Sauber“ markiert nur den Ausgangspunkt einer Recherche über die Mauer in den Köpfen. Über Jerusalem erfährt man fast gar nichts, dafür alles über die Biografie der erfundenen Berliner Fotokünstlerin Sabine, die nach dem Mauerfall als Ossi im Westen von Komplexen zerrissen wird und -  ganz am Ende - auch kurz nach Jerusalem heiratet. Eyal Weiser vom Tmuna Theater Tel Aviv inszenierte vor einer Sperrholz-Klappwand das mit vielen Fotos als Dokumentation auftretende Solo. Schauspielerin Michal Weinberg schafft als distanzierte Erzählerin (auf englisch mit  holländischem Akzent) dennoch eine beeindruckende Identifikation mit der fiktiven Figur. Der anfängliche Witz weicht bitterem Ernst. Aber die Aufgabe, das Berliner Mauergefühl auf Jerusalem zu übertragen, kann deutsche Zuschauer durchaus überfordern (noch Dienstag, 18.30 und 21 Uhr).

Volkstheater, bis 26. April 2013, Tel. 523 46 55, www.muenchner-volkstheater.de

Veröffentlicht am: 23.04.2013

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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