Sopranistin Felicia Weathers im Interview

Weltstar mit Herz - "Heutzutage gibt es keine Grenzen mehr"

von Clara Fiedler

Felicia Weathers stammt ursprünglich aus St. Louis. Foto: Künstleragentur Skarda/privat

Felicia Weathers feierte Welterfolge, gastierte an allen großen Opernhäusern der Welt, wurde nicht nur für ihre Leistungen als Künstlerin, sondern auch für ihr Engagement in der Nachwuchsförderung ausgezeichnet. Dabei ist sie menschlich, warmherzig und auf dem Teppich geblieben. Mit dem Kulturvollzug sprach die amerikanische Sopranistin über Familie, Selbstfindung und warum es gut ist, dass Oper immer mehr wie Popmusik wird.

Frau Weathers, Sie sind schon lange im Geschäft, was hat Sie angetrieben, was hat Ihnen über die Durststrecken geholfen?

 

Ich möchte nicht arrogant klingen, aber eines der Dinge, die mich angetrieben haben, war die Tatsache, dass meine Eltern mir immer gesagt haben: "Wenn man ein Ziel im Leben hat, muss man es auch verfolgen. "Du darfst nicht aufgeben, wenn du an dich selbst glaubst und an die Dinge, von denen du fühlst, dass du sie tun kannst. Das ist die eine Sache. Es ist die Familie, die dich antreibt. Ich habe einen Sohn, der musste in die Schule gehen (...) und du willst natürlich, dass deine Kinder ein besseres Leben haben, als du selbst. Die andere Sache ist, wenn du an dich selbst glaubst, und weißt, was du geschafft hast und was du schaffen kannst, kann es sehr schwierig werden. Es kann passieren, dass man krank wird, und nicht mehr in der Lage ist, eben diese Dinge zu tun. Ich glaube nicht, dass mich irgend etwas davon abhalten könnte, das zu tun, was ich möchte. Tatsache ist, dass du auch in dir ruhen musst. Das ist für mich nicht schwer. Ich muss nicht immer ganz vorne sein, damit ich glücklich bin. Ich muss beispielsweise nicht die Primadonna der Primadonnen sein, weil ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Und ich weiß auch, dass ich alles schaffen kann, wenn ich mich wirklich reinhänge. Zwischenmenschliche Dinge sollten uns wichtig sein. Wir brauchen einander. Ich versuche immer, bei mir selbst zu bleiben und jede Minute meines Lebens zu genießen, egal mit wem. Weil ich von anderen Menschen lerne und sie von mir.

Wann sind Sie nach München gekommen?

Das war 1963. Ich hatte ein festes Engagement an der Staatsoper. (...) Das war das Jahr, in dem Präsident Kennedy ermordet wurde. (...) Wir waren gerade vom Prinzregententheater in das Nationaltheater umgezogen und hatten Premiere. Ich habe in dieser Nacht, als das passiert ist, nicht gesungen. Ich erinnere mich, dass wir alle unter Schock standen. In München habe ich hauptsächlich Madame Butterfly, Salomé und Aida gesungen. (...)

Was ist Ihr Credo als Gesangslehrerin, was möchten Sie Ihren Schülern vermitteln?

Ich nenne sie „Sänger“, nie „Schüler, denn sie haben sich für diesen Beruf entschieden, also sind sie für mich bereits Sänger. (...) Ich helfe ihnen nur auf ihrem Weg. Wenn also ein Sänger das, was er bei mir lernen wollte, auch erreicht hat, ist das für mich das Höchste und Wichtigste. Es geht mir dabei nicht um mich selbst, sondern darum, dass die Person etwas mitbekommen hat, etwas damit anfangen konnte, erfolgreich ist und sich dabei gut fühlt. Ich mache das nicht für mich, sondern für andere. Jemand hat es für mich gemacht, also gebe ich das zurück an das Universum, an die Welt, an die Menschen. (...) Das ist, wofür wir da sind. Geben und Nehmen.

Was ist Ihr Verständnis von der Oper als Genre?

Oper ist für mich die Kombination all meiner Ressourcen. Denken Sie mal darüber nach! Sie fordert denIntellekt, das einem hilft, alles zu tun, was man tun muss, das heißt, die Töne zu memorieren, Interaktion mit dem Dirigenten, das Orchester gut zu kennen, den Inhalt seines Parts, die Interpretation desselben. Nicht nur stimmlich, sondern auch mit den Gedanken und schauspielerisch. Man muss ein gutes Gehör haben. Man ist auf der Spitze seiner intellektuellen Leistung. Das ist, was die Oper mir gibt. Wenn du das geben kannst, und die Leute verstehen und genießen es (...), hast du es geschafft.

Können Sie von einer Begegnung erzählen, die Ihnen sehr wichtig war?

Ich hatte einen Dirigenten in Kiel, der "Salomé" aufführen wollte. Wir hatte alle gemischte Gefühle im Bezug auf mich als Salomé, weil ich kein dramatischer, sondern ein lyrischer Sopran bin. (...) Ich sagte ihm auch: „Hör zu, ich weiß nicht, ob ich das bringen kann.“ Er antwortete, er würde mit mir die Orchesterpartitur durchgehen, um herauszufinden, an welchen Stellen ich mit einer weicheren Stimme singen kann. (...). Es war nichts Neues für mich, eine Partitur zu studieren, um sie zu analysieren. Aber dieses Mal habe ich das nicht gemacht, um zu verstehen, was im Orchester passiert (...). Man darf Stimmliches nicht erzwingen. Es war meine Lehraufgabe, lyrisch zu bleiben. Dieser Mann hat mich etwas gelehrt, was ich auf meine gesamte Arbeit anwenden konnte, nämlich, viele verschiedene Opern zu singen, ohne mich stimmlich zu sehr anzupassen. (...)

Wo liegen Ihre musikalischen Wurzeln?

Also, natürlich habe ich studiert. Ich hatte danach aber nicht mehr viele Lehrer. Eine davon war Dorothea Manski, die mit Bruno Walter nach Amerika gekommen war. Von ihr habe ich ganz schön was gelernt. Nachdem ich in der Musikwelt schon berühmt war, traf ich Margaret Harshaw und Zinka Milanov, die eine wunderbare Sängerin war (...). Sie hat mir Dinge einfach so (Fingerschnippen) beigebracht, sogar ohne, dass ich es gemerkt habe. Einmal haben wir uns in New York zum Mittagessen getroffen und sie sagte: “Felicia, du musst etwas für deine mittlere Stimmlage tun.“ Sie hat mir das beigebracht, ohne es zu versuchen. Es war wirklich bemerkenswert, ich konnte es nicht glauben, dass sie das mit so einer Leichtigkeit schaffte. Aber sie hielt sich für die beste Sängerin der Welt. Tatsache ist, ich glaube das auch. (Lacht) Für mich war sie das. Sie hat mir auch diese Leichtigkeit beigebracht. Wenn Du weißt, was Du kannst, warum dann Sorgen machen?

Gibt es irgendwelche Projekte, an denen Sie zurzeit arbeiten?

Viele Leute haben mich gefragt, ob ich ein Buch schreiben werde. Ich habe festgestellt, das Buch, das die haben wollen, möchte ich nicht schreiben. Das, was ich wirklich will, ist, ein Buch über solche Leute zu schreiben wie Milanov. Oder Rudolf Hartmann, der zu meiner Zeit auch Intendant war. Er hat Proben gehabt, wo er mit mir und einem Pianisten in einem Zimmer war und er saß rückwärts auf seinem Stuhl  und hat mit mir alles durchgesprochen. Das war so wunderbar! Er hat mir alle möglichen Rollen gegeben, weil er sehr an mich geglaubt hat. Und ich habe es auch gut gemacht. Zum Beispiel war ich Desdemona in „Othello“, wo der Othello sich schwarz schminken musste, und ich mich weiß (lacht). Und wir hatten die Schminke überall! Er war für mich eine sehr wichtige Person. Ich möchte von Leuten erzählen, die mich wirklich beeindruckt haben. Von Dingen, die ich gelesen oder gesehen habe. Manchmal steht hier einer bei mir und singt eine Phrase, und ich fange an zu weinen, wenn es gut ist. (...)

Was bedeutet Ihnen Kunst?

Kunst ist Ausdruck in verschiedenen Formen. Manchmal sind es verschiedene Wege, das Gleiche zu sagen. (...) Wenn wir ein Gemälde betrachten, Oper machen, ein Gedicht lesen oder ins Schauspielhaus gehen, bekommen wir etwas. Eine andere Sichtweise auf vielleicht die gleiche Sache. Nicht jeder Mensch denkt gleich über eine Sache. Das ist, was für mich interessant ist. Es erweitert unseren Horizont.

Welche Entwicklungen beobachten Sie in der Opernszene?

Es hat sich im positiven Sinn geändert, weil sich mehr junge Leute für die Oper interessieren. Aber manchmal frage ich mich, ob sie interessiert sind, weil alles so stinkmodern ist, dass man den Ursprung der Geschichte nicht mehr erkennt. Es wird alles so verfremdet, dass der Ursprung nicht mehr erzählt wird. Der ist aber notwendig, um Oper zu verstehen. (...) Was ich sehr schön finde: Oper ist nicht mehr nur für reiche Leute. Du kannst sie sogar im Kino sehen! DAS finde ich gut! Es wird Allround, es ist für jeden! (...) Das wird peu à peu wie Popmusik! Früher hieß es immer: „Oh, ich kann nicht singen, ich kann nicht singen! Oh mein Gott...singen??“ Aber heute kann jeder Heini singen!! Das finde ich fantastisch! Ich hab' im Internet einen Typen gesehen, der sah aus wie ein Vampir.  Der hat "O mio babbino caro" gesungen, im Countertenor in der Originaltonart! Dankeschön! Whoa! Ich konnte es nicht glauben!! Heutzutage gibt es keine Grenzen mehr. Diese Zeiten sind vorbei, ganz einfach. Deswegen bin ich froh, dass ich alte Dame das noch erleben darf (lacht).

 

Veröffentlicht am: 15.11.2013

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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