"La forza del destino" mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann an der Staatsoper

Vier Stunden herrlichste Musik, zwei Superstars - und die Frage, was der Regisseur gemeint haben könnte

von Volker Boser

Jonas Kaufmann als Alvaro und Anja Harteros als Leonora. Foto: Wilfried Hösl

Lustlos stochert Leonora in ihrem Essen herum. Schon zur Ouvertüre präsentiert Martin Kusej seine ersten Regie-Einfälle. Im Grunde könnte Verdis „La forza del destino“ eine Allerweltsgeschichte erzählen von einer jungen Frau, die einen Hallodri liebt, womöglich mit Migrationshintergrund, dafür aber nicht immer mit gutem Benehmen ausgestattet. Doch Opernschicksale haben ihre eigene Logik: Vater und Lover geraten aneinander. Es löst sich ein Schuss. Der Vater stirbt. Der Liebhaber flieht. Der Bruder schwört Rache.

Es ist einige Zeit her, da hat sich Martin Kusej reichlich genervt über das Musiktheater unserer Tage geäußert: „Die Institution Oper treibt mich an die Grenzen meiner Toleranz“. Wie auch immer er das gemeint haben mag. Den Rezepten, mit denen er glaubte, Verdis „ La forza del destino“ im Nationaltheater auf die Sprünge helfen zu müssen, durfte man durchaus mit Argwohn begegnen. Das Premierenpublikum hielt nicht viel davon. Kusej wurde ausgebuht.

Dabei versuchte die Inszenierung nur, eine zeitgemäße Erklärung für diese traurige Love-Story zu finden. Leonoras Familie, bürgerlich, langweilig, trotz Mafia-Outfit voller christlicher Ideale und der Außenseiter Alvaro, im Original-Libretto als „Mulatte“ beschimpft - da passt nichts zusammen. Und das galt es mit Nachdruck aufzuzeigen: Für die Chorszenen, in denen die Zigeunerin Preziosilla ihre großen Auftritte hatte, ließ sich der für die Bühne zuständige Martin Zehetgruber von den Bildern des zerstörten New Yorker World Trade Center und den schändlichen Aktionen der US-Soldaten in Abu Ghraib inspirieren.

Das Stück als einen Konflikt zwischen den Religionen hochzustilisieren, ist dann aber doch reichlich weit her geholt. Immerhin:  Zum Schluss-Terzett kämpften sich Leonora, ihr Bruder Don Carlo und Alvaro durch einen Berg umgestürzter weißer Kreuze an die Bühnenrampe. Nach nahezu vier Stunden wird endlich klar, was Martin Kusej gemeint haben könnte: Dass der Verfall der Werte in unserer Zeit eben auch etwas mit dem Versagen der Religionen zu tun hat.

Dem Fan dürfte das alles egal sein. „La forza del destino“ enthält schließlich eine Menge herrlichster Musik, in der die Emotionen der handelnden Personen manchmal etwas holzschnittartig, zumeist aber mit grandioser Sensibilität charakterisiert werden.

Ein bisschen World-Trade-Center am Max-Joseph-Platz. Foto: Wilfried Hösl

Der Regie-Einfall, den zu Beginn getöteten Vater Leonoras in Gestalt des Padre Guardiano weiter leben zu lassen, hatte vor allem den Vorzug, dass der ausgezeichnete Bass Vitalij Kowaljow ein paar Takte mehr singen durfte. Als Preziosilla mühte sich Nadia Krasteva  mit derb drastischer Dramatik.

Renato Girolamis prächtiger Melitone gehörte zu Glanzlichtern der Aufführung, was man vom Dirigenten Asher Fisch leider nicht sagen kann. Er kontrollierte die Abläufe, ohne sie zu gestalten und stellte damit die Qualitäten der Musik immer wieder unfreiwillig in Frage. Da war mehr drin, auch weil das das Staatsorchester bis auf einige kleine Unsicherheiten eine Menge Engagement zeigte.

Für die  Hauptpartien konnte die Staatsoper aus dem Vollen schöpfen. Jonas Kaufmann ging als Alvaro an die Grenzen seiner Möglichkeiten, dies aber – wie zumeist -  mit staunenswerter Intensität. Ludovic Tézier nutzte als rachelüsterner Don Carlo die Chance zu kraftvoll protzenden Bariton-Attacken.  Für die Zwischentöne war Anja Harteros zuständig. Ob Furcht, Liebe, Leidenschaft oder Verzweiflung:  Sie schmückte jede Emotion der Leonora mit einer kaum zu übertreffenden Vielfalt an Ausdrucksnuancen. Kein Wunder, dass sie vom frenetisch jubelnden Premierenpublikum zur Siegerin des Abends gekürt wurde.

Veröffentlicht am: 25.12.2013

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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