„La voix humaine“ im Kunstverein

Schöne falsche Welt

von kulturvollzug

"Live in AdWords" von Erica Scourti. Alle Fotos von Ulrich Gebärt

Die moderne Technik verbindet uns nicht nur jederzeit und überall, wir können auch permanent an der optimalen digitalen Inszenierung unserer Person feilen. Kein Wunder, dass mancher mit seinem Smartphone eine innigere Beziehung führen soll als mit dem Partner. Eine Ausstellung im Kunstverein fragt, wo in der virtuellen Welt eigentlich das Authentische und das Gefühl bleiben.

Wie an einen Liebhaber schmiegt sie ihre Wange an den kalten Telefonhörer. Der Mann am anderen Ende der Leitung wird am nächsten Tag trotzdem eine andere heiraten. 1958 hat Francis Poulenc die Oper „La voix humaine“ nach Jean Cocteaus gleichnamigen Theaterstück von 1930 komponiert. Für den Zuschauer ist der Verflossene, der stumm und unsichtbar bleibt, schon immer abwesend. Die Telefonverbindung bricht mehrmals ab; die mangelhafte Technik versperrt dem Gefühl den Weg.

„La voix humaine“ lautet auch der Titel der Ausstellung im Kunstverein. Hier dient die Verfilmung von Poulencs Oper durch Dominique Delouche als Ausgangspunkt, um das heutige Verhältnis von Emotion und Technik zu beleuchten. Die in Los Angeles lebende Künstlerin Frances Stark hat ihre Videoarbeit „Nothing is enough“ der Verfilmung von 1970 direkt gegenüberstellt. Sie zeigt eine Skype-Unterhaltung zwischen ihr und einem italienischen Architekten, dem sie nie persönlich begegnet ist. Die Verbindung bricht auch hier immer wieder ab, jedoch hat man beide Gesprächspartner im Blick, die sich gegenseitig Einzeiler hin und her schicken, wenn sie flirten oder sich über Belanglosigkeiten austauschen. Der Kontrast zum großen Gefühlsdrama der Oper könnte kaum größer sein.

Der amerikanische Künstler Kalup Linzy kehrt mit seiner Arbeit „Julietta Calls Ramone“ zum Medium Telefon zurück. Wie bei Cocteau und Poulenc geht es um das Ende einer Beziehung. Linzy schneidet zwischen Julietta und Ramone hin und her, doch auch hier verfällt der apathisch gewordene Mann bald in Schweigen, wohingegen sie in hysterisches Schluchzen ausbricht. Ironisch gebrochen wird das Ganze durch Linzy, der sowohl Juliettas als auch Ramones Part mit grotesk verstellter Stimme spricht. Das Motiv des Telefons setzt sich in dem improvisierten Musikvideo von R. Kelly fort. Der Sänger hat für seine Fans ein ‚authentisches‘ Youtube-Video zu seinem Song „Real Talk“ produziert. Darin macht er unter wüsten Beschimpfungen am Telefon mit seiner Freundin Schluss. Man fragt sich allerdings, wie real dieser „Real Talk“ eigentlich ist.

"Am kühlen Tisch" von Amelie von Wulffen

Amelie von Wulffen beschäftigt sich damit, was in der Kunstwelt eigentlich ‚real‘ ist und parodiert mit der surrealen Comicerzählung „Am kühlen Tisch“ ihr Leben als Künstlerin. Im Medium des Comics ist das Unmögliche möglich: So kann sich von Wulffen lässig nach dem Mord an einer Konkurrentin mit Goya auf ein Glas Wein verabreden. Wenn man die 67 Einzelblätter aus der Distanz betrachtet, scheinen sie mit dem Weiß der Wände zu verschmelzen. Würde die Serie nicht fast den gesamten Hauptraum des Kunstvereins beherrschen, könnten einem die skizzenhaften Bleistiftzeichnungen in dieser Ausstellung voller schwarzer Bildschirme etwas verloren vorkommen.

Erica Scourtis Arbeit ist wiederum ebenso digital wie die Zustände, die sie beleuchtet. Die Künstlerin hat den Google-Algorithmus hinter dem Programm AdWords ein Jahr lang Begriffe aus ihren Tagebuch-Einträgen generieren lassen. Während dieser Zeit hat sich Scourti zwei Mal am Tag in Anlehnung an den Selfie-Boom dabei gefilmt, wie sie diese Begriffe vorliest. Emotionslos sagt sie „cute cats“, „kitchen cookware“ oder „depression“ in die Kamera. Ihr Gesichtsausdruck bleibt völlig teilnahmslos, wenn sie die Begriffe maschinenhaft vorliest, auf die der Algorithmus ihr Leben heruntergebrochen hat.

Um eine Spracherkennungssoftware nutzen zu können, muss man dem Computer beibringen, seinen Nutzer zu erkennen. Der New Yorker Künstler Tyler Coburn ahmt mit seiner Installation „Naturally Speaking“ ein Übungsprogramm für eine solche Software nach. Um vom Computer verstanden zu werden, muss man möglichst monoton und neutral sprechen.

Der Mensch muss sich also der Maschine annähern, damit sie menschlich werden kann. So auch AGNES, die ihre Nutzer kennenlernen will. Cécile B. Evans hat mit ihr einen personifizierten Spambot geschaffen, der auf der Website der Londoner Serpentine Gallery zuhause ist. Im Kunstverein setzt Evans ihr Projekt mit „AGNES (the end is near)“ fort. AGNES hat gehört, dass sich ihre Existenz auf der Website der Serpentine Gallery dem Ende neigt. Da sie sich nicht vorstellen kann, dass Daten jemals zerstört werden, bedeutet ihr Ende für sie nur eines: das Ende der Welt. Mit säuselnder Stimme flüstert AGNES dem Ausstellungsbesucher die nahende Apokalypse ein. Hier hat die Technik endgültig ihre frühere Rolle als reines Transportmedium für Nachrichten überschritten und ist zu dem geworden, was bei Poulenc schon angedeutet wird: Die menschliche Beziehung hat keine Zukunft mehr, dem Menschen bleibt nur noch die Maschine.

Münchner Opernsänger singen an Sonntagen aus Wut-Blogs. Installation von Cally Spooner

Cally Spooner schlägt den Bogen noch deutlicher zurück zu Cocteau und Poulenc, obwohl die Digitalanzeige, die sie im Kunstverein angebracht hat, zunächst nichts besonders Opernhaftes an sich hat. „Lance you‘re in so much trouble“ oder „Disgusting“, „Disappointing“, liest man dort. Spooner zitiert Kommentare, die wütende Fans auf Youtube hinterlassen haben, um zum Beispiel ihre Meinung zu Lance Armstrongs Doping-Beichte auszudrücken. Während der Ausstellung werden diese Kommentare an jedem Sonntagnachmittag von Münchner Opernsängern live aufgeführt. Sie drücken die Enttäuschung der Fans mit einer so großen Dramatik aus, das sich fast schon ein ähnlicher Effekt wie bei Linzys komischer Stimmenparodie einstellt. Der Blick der Sänger sucht immer wieder die Digitalanzeige, die den Text vorgibt. Obwohl ihr starkes Pathos es fast vergessen lässt, trägt auch Poulencs Sopranistin Denise Duval einen fremden Text vor und übernimmt damit die Funktion eines Mediums. So landet man am Ende von „La voix humaine“ im Kunstverein bei einer alten Frage. Es ist die Frage nach der Authentizität von Kunst in einer Welt, in der längst alles irgendwie Fake ist. Real Talk eben.

Ana Maria Michel

Die Ausstellung „La voix humaine“ ist noch bis zum 30. März 2014 im Kunstverein zu sehen. Mehr Informationen unter www.kunstverein-muenchen.de.

 

Veröffentlicht am: 05.02.2014

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