Karl Stankiewitz über einen Aspekt deutscher Historie

Die Pfalz als bayerische Krim - 800 Jahre gemeinsame Geschichte, aber keine Aussicht auf Rückkehr

von Karl Stankiewitz

1000 Jahre Geschichte: Der Speyerer Dom, von der Rhein-Seite her gesehen. Foto (mit einem Filter von Vignette Demo): Michael Grill

Jahrhundertelang war die Pfalz für Bayern ungefähr das, was die Krim für Russland war: ein exterritorialer, fruchtbarer, landschaftlich schöner Landesteil nicht ohne strategische Bedeutung. Es geschah im Frühjahr 1214, dass der später erdolchte Bayernherzog Ludwig der Kelheimer vom König und späteren Kaiser Friedrich II. mit der vormals welfischen Pfalzgrafschaft bei Rhein belehnt wurde, wie eine vom 6. Oktober datierte Urkunde im Landesarchiv Speyer besagt.

Im selben Jahr heiratete sein 16jähriger Sohn Otto die pfälzische Universalerbin Agnes – im Rahmen eines opulenten Festes, das vielerorts veranschaulicht ist. Verknüpft waren damit zwei Länder des Heiligen Römischen Reiches. Das Eheversprechen wurde zum Wahlspruch: „Bayern und Pfalz – Gott erhalt's.“  Seither ist der Pfälzer Löwe ein Teil des bayerischen Wappens.

„800 Jahre Bayern und die Pfalz am Rhein“ - dies war neulich Anlass einer Festversammlung im Maximilianeum. Schirmherr war Herzog Franz von Bayern, als Veranstalter zeichneten vier Institutionen, als Referenten sprachen fünf namhafte Historiker. Sie gruben tief in der pfälzischen Geschichte mit ihren vielen Beziehungen zur bayerischen Kultur und Politik. Alle bayerischen Könige stammten aus dem Haus Pfalz-Zweibrücken. Pfälzer waren Johannes Hoffmann, der erste Ministerpräsident nach Eisners Ermordung, Münchens erster Bürgermeister Wilhelm von Borscht, die Stadtplaner Sckell, Fischer und Zenetti, die Maler Kobell, Rottmann, Feuerbach, Exter, Purrmann, Fohr und Fuhr, der Philosoph Bloch, die Feldherren Wrede, Deroy sowie die im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfenden Grafen von Forbach. Aus Speyer berufen wurden die Kardinäle Bettinger, Faulhaber, Wendel und Wetter. 25 Straßen und Plätze in München sind nach Pfälzer Orten benannt, wie der aus Edenkoben stammende Touristiker Oskar Weiskopf gezählt hat.

Speyer und die Rheinebene, am Horizont die Weinberge. Foto (mit einem Filter von Vignette Demo): Michael Grill

Aber auch von Spannungen, Zerwürfnissen, Revolutionen und sogar einem Krieg war diese Geschichte angefüllt. Sie endete - in der sehr akademischen Gedenkveranstaltung - mit dem Jahr 1945, als die Rheinpfalz durch einfache Verordnung der französischen Besatzungsmacht von Bayern abgetrennt und Teil des neuen Landes Rheinland-Pfalz wurde. Unerwähnt blieb bei der Veranstaltung im Maximilianeum das angestrengte, großenteils durch Weinausschank in der Pfälzer Weinprobierstube in der Residenz finanzierte Bemühen um eine „Wiedervereinigung“ des Mutterlandes mit seinem einstigen linksrheinischen Regierungsbezirk, für die Politiker aller Parteien gerade in diesem Hohen Haus noch elf Jahre lang warben. Dabei kam es bisweilen zu grotesken Entwicklungen.

Jedes Jahr schickte der bayerische Landtag eine Delegation in die Pfalz, dafür gab es sogar einen eigenen Ausschuss. Am 7. Oktober 1953 jedoch teilte Ministerpräsident Peter Altmeier (nicht zu verwechseln mit dem viel späteren Bundesminister Peter Altmaier, ebenfalls CDU) den Bayern mit, dass „das Land Rheinland-Pfalz nicht länger gewillt ist, solche Übergriffe tatenlos hinzunehmen“. Als Landtagspräsident Alois Hundhammer (CSU) den schroffen Brief vorlas, reagierten einige Abgeordnete mit dem Zuruf: „Kriegserklärung“. Daher verzichtete der Landtag erst mal auf weitere Besuche, berief sich aber nach wie vor auf das Grundgesetz, das eine Veränderung der Landeszugehörigkeit durch Volksbegehren ermöglichte. Das Ein-Millionen-Volk der Pfälzer, argumentierte man in München, habe das „konstruierte, geschichtslose Gebilde“ Rheinland-Pfalz nie legitimiert.

Tatsächlich konnte der „Bund der Pfälzer im rechtsrheinischen Bayern“ erreichen, dass in der Pfalz Listen zu einem Volksbegehren aufgelegt wurden. Halb offiziell machte München mobil. Der heute 85jährige, aus Zweibrücken stammende ehemalige Gymnasiallehrer Rudolf Jüngst erinnert sich heute, wie er als Student der Geschichte in den Landtag geladen wurde, wo ihn und seine Pfälzer Kommilitonen im Senatssaal ein Buffet von „nie gesehener Größe“ erwartete. Landtagspräsident Hundhammer forderte die in München studierenden Pfälzer auf, in ihren Heimatorten alles zu versuchen, damit die Pfalz wieder zu Bayern heimkehren könne.

Jüngst machte also Propaganda. In Zweibrücken stieß er jedoch unerwartet auf wenig Gegenliebe. „Hören Sie auf, wir leben in einer modernen Zeit, die alte dynastische Verbindung ist uns wurscht“, sagten die Leute. „Die sind in München doch nur auf die Gewerbesteuer von der BASF in Ludwigshafen scharf.“ Abgeordnete trauten sich gleich gar nicht mehr in die „bayerische Krim“, wo sie sich bisher so regelmäßig mit Pfälzer Wein und reichlich Wehmut eingedeckt hatten. Dabei wollte Jean Stock von der SPD seinen Kollegen noch Mut machen: „Ich glaube nicht, dass uns die Regierung von Rheinland-Pfalz die Landtagsausweise abnimmt und in ein Verlies in Speyer einsperrt.“

Blick vom Domturm nach Norden, Richtung Ludwigshafen: Dort gibt's Gewerbesteuer. Foto (mit einem Filter von Vignette Demo): Michael Grill

Es kam aber noch schlimmer: Nur 7,6 Prozent der stimmberechtigten Pfälzer (statt der für eine Volksabstimmung benötigten zehn Prozent) trugen sich im April 1956 in die Listen für die Rückgliederung an Bayern ein. Der Schock saß tief. Immerhin dauerte es dann nochmal drei Jahre, bis der bayerische Landtag seinen Pfalzausschuss auflöste. Bestehen blieben zunächst jedoch die Pfalzreferenten in der Staatskanzlei und in anderen Behörden sowie der Bund der Pfalzfreunde in Bayern e.V., der noch lange aus Überschüssen der „Weinprobierstube“ in der Residenz finanziert wurde, während ein mitgliederstarker „Verein der Rheinpfälzer“ in München die alten Verbindungen durch Weinfeste, Wanderungen und Gruppenreisen in die ferne Heimat „trotz 1956“ innig pflegt.

In der Mainzer Staatskanzlei strickte der langjährige Ministerpräsident Kurt Beck indes an einem „Vierer-Netzwerk der Regionen“ und fand, dass seine 1,4 Millionen Pfälzer in der Mentalität doch eher mit den Elsässern verwandt seien als mit den Bayern. Und 2005 bildete das Land eine „europäische Metropolregion“ - zusammen mit Hessen und Baden-Württemberg, ohne Bayern.

Veröffentlicht am: 07.05.2014

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