Wie München sich in Zukunft der Welt präsentieren will

Kultur ist die neue Wiesn

von Michael Grill

So schee. Und kulturnah. Foto (mit einem Filter von Vignette): Michael Grill

Die Münchner Kultur steht vor einem Paradigmenwechsel, wie er tiefgreifender kaum sein könnte. Zwar nicht in der Innensicht, denn die Politik des Tourismusamtes interessiert den Münchner höchstens, wenn der Bierpreis auf der Wiesn tangiert ist. Aber sehr wohl in der Außendarstellung, also dem Bild, das sich der Rest der Welt von München macht oder machen soll. Grob gesagt, will die Stadt in Zukunft weniger auf Bier und Fußball, und mehr auf Kunst, Kultur - und das offenbar so unvergleichliche Lebensgefühl setzen. Ob das gutgeht? Die Präsentation des Konzepts als eine Art verspätete Regierungserklärung der seit anderthalb Jahren amtierenden Tourismus-Chefin Geraldine Knudson im Olympiapark wurde jedenfalls zu einer Kampfansage an das jahrzehntelang gepflegte München-Image ihrer Vorgängerin Gabriele Weishäupl.

Auf Einladung des Wirtschaftsreferats, in das nun nach dem Führungswechsel auch das Tourismusamt wieder vollständig eingegliedert ist, waren mehrere Hundert Branchenvertreter und Kulturmanager in den Olympiapark gekommen. Dort hatte man die Eventarena aufgebrezelt, als würde eine Bambi-Verleihung anstehen. Der Wirtschaftsreferent und 2. Bürgermeisters Josef Schmid begrüßte, Loungemusik wummerte, ein Privat-TV-Sternchen blondierte eine Art Talkrunde, Gebärdendolmetscher integrierten aufs internationalistischste die anders Befähigten. Schon für die als Kreativ-Origami gestaltete Einladungskarte hätte man andernorts ganze Sparten subventionieren können – zumindest sah es so aus. Klare Botschaft: Hier ist man wer, und auf gar keinen Fall von gestern.

Ex-Touri-Königin Weishäupl hatte einst mit harter Hand dafür gesorgt, dass München eine Stadt mit Bier und FC Bayern war, dann mit Wiesn und Fußball, und dann kam lange, lange nix. Dass Kultur und Wissenschaft auch irgendwie wichtig seien, hatte sie durchaus in Sonntagsreden vor heimischem Publikum für möglich gehalten, um dann im Tagesgeschäft zum üblichen Verfahren überzugehen: Dienstdirndl an und weiter geht's. Denn es war ja auch wahr: Oktoberfest und Fußball trugen München sehr passabel – warum sollte man etwas versuchen, dass vielleicht nicht funktioniert?

Und dass ist ja auch weiterhin die Crux der immer noch so neuen wie unbekannten Tourismus-Chefin Knudsen: Dass es im Grund kaum eine ökonomische (und was sonst sollte im Tourismusgewerbe interessieren?) Komponente gibt, die einen Systemwechsel nahelegt. Zwar wird nicht ganz zu Unrecht das Argument herbeigezerrt, die klassische München-Werbung habe die Ströme der Reisenden auf bestimmte Jahreszeiten konzentriert, was – eben – ökonomisch ungut sei. So möchte man gerne "optimieren". Doch ganz vor allem ist der Wunsch, München möge als eine Stadt von Kunst, Kultur und Wissenschaft wahrgenommen werden, ein politischer Wunsch. Es gab, und das wurde in der Eventarena ja auch zugegeben, nie mehr Übernachtungsgäste in München als derzeit.

Bürgermeister Schmid (CSU), dem es sicher nicht ganz ungelegen kommt, dass er jene München-Reisenden, die am Sendlinger Tor auf Bäume klettern, dem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) überlassen kann, klagte, dass „München nicht genug wahrgenommen wird in der Welt für seine Spitzenleistungen, sondern für altbekannte und liebgewonnene Klischees“. Das solle sich ändern, forderte Schmid: „Gehen Sie den neuen Weg mit!“ Das ist durchaus gewagt im Angesicht einer Branche, die mit liebgewonnenen Klischees prächtige Geschäfte macht, und die so konservativ ist, wie es sich selbst die Münchner CSU nicht mehr zu sein traut. Schmid: „Imagewandel geht nicht von heute auf morgen.“ (Das weiß ein CSU-Chef im Rathaus nur zu gut.)

Eventarena, sozusagen. Foto: Michael Grill

Amtschefin Knudson hatte jedenfalls Wichtiges zu vermelden: das Ergebnis einer großangelegten Marketing-Untersuchung. „Das ist ein schöner Tag.“  Die Lage sei so: Es gebe bei den Touristen einen immer stärkeren Wunsch nach „Sinnhaftigkeit“, die Gäste wollten „eine Stadt wirklich erleben und keine Angebot von der Stange“. München habe zwar „kein Bekanntheitsproblem“. Doch auch wenn 98 Prozent die Stadt irgendwie kennen, „löst das noch keine Buchung aus", also keine München-Reise.

Mit einem so genannten Needscope-Modell, bei dem emotionale Assoziationen in ein räumliches Verhältnis gesetzt werden, ging es dann in die Details. Man habe festgestellt, dass unter Reise-Experten, die mit München verbundenen Begriffe aus dem Bereich der Kultur bereits das gleiche Gewicht hätten wie die üblichen Blockbuster Wiesn und FCB – sofern man sie alle zusammenzählt. Bei den normalen touristischen Gästen habe München zwar kein klares Profil, aber es gebe einen herausragend guten Wert bei der sogenannten Wiederbesuchs-Absicht. Man fühlt sich offenbar wohl als Gast in München, ohne genau zu wissen, warum. Und bei internationalen Gästen gelte schließlich am allerdeutlichsten die Gleichung, München gleich Bier plus Fußball.

Fazit: München habe zwar bislang im Gegensatz zu anderen Städten kein eindeutiges Profil, aber es werde durchweg als freundlich wahrgenommen, „eine Stadt zum Teilhaben und zum Menschen kennenlernen, zum Angenommenwerden. Knudsen: "Das wird gelebt in den Biergärten, im öffentlichen Raum, auch auf der Wiesn. Und das ist anders als in Paris, wo Sie als Gast niemals Teil der Stadt werden." Deshalb definiere man nun als erstes Münchens neuen „emotionalen Markenkern: Eine freundliche Stadt, die den gesamten Kulturbereich von Genuss bis Hochkultur bietet."

Das Problem: Wer noch nie da war, weiß es nicht, denn das vorhandene Münchner Image lässt davon nicht sehr viel ahnen. Deshalb wollen die offiziellen München-Werber nun darauf hinarbeiten, „nach Attraktivität, nicht nach Bekanntheit zu kommunizieren“. In der Praxis sehe das schon so aus, dass man "Local Heroes" suche, die symbolisch für München stünden, und die das neue Gesicht der Stadt prägen sollen. Dabei werde man vor allem gemeinsam mit „TIM“ arbeiten, also der Tourismus Initiative München, die seit einiger Zeit alle für die Stadtwerbung relevanten Akteure zu vereinen sucht – mit erstaunlichem Erfolg. „TIM“ sei "eine Riesenchance" – mit einem  ansehnlichem Budget im Millionenbereich, vor allem aber als Treffpunkt und zum Austausch der Anbieter und Programmmacher. Knudsons Ziel für die nächsten 15 Jahre: „München soll die attraktivste europäische Stadt für Genusskultur und Kulturgenuss werden und dabei die einzigartige Möglichkeit der Teilhabe am Stadtleben bieten.“

Das klingt so, dass man fast schon sagen möchte: Schaun mer mal.

Veröffentlicht am: 03.12.2014

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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