Alt-OB Christian Ude und Verleger Dirk Ippen im SPD-Kulturforum über Münchner Zeitungen

Auf dem Weg in die Nische

von Michael Grill

Solidarsysteme auf der Maximilianstraße. Foto: Michael Grill

Beim Publikum auf dem Kulturforum der Sozialdemokratie in München darf man eine Zeitungs-Abo-Quote von 100 Prozent vermuten. Die Lage auf dem Zeitungsmarkt wäre sicherlich um einiges entspannter, wäre ganz München ein Kulturforum der Sozialdemokratie. Der doppelte Konjunktiv signalisiert: Da gibt es nicht nur ein Problem. Die Zeitungen siechen, die Journalisten bangen, die Verleger, sofern noch vorhanden, zürnen. Bei Dirk Ippen, Verleger von Münchner Merkur und tz und sehr vielen weiteren deutschen Zeitungen, ist das nicht völlig, aber ein Stück weit anders. Im Kulturforum befragte ihn dessen Vorsitzender höchstselbst, nämlich Alt-OB (und Uralt-Redakteur) Christian Ude, wie das denn nun weitergehe mit dem Münchner Journalismus. Auch Ude verriet Erstaunliches, etwa über seine neue Lieblings-Lokalzeitung.

Das gebürtige Nordlicht Ippen (74) ist – horribile dictu! - seit diesem Jahr der inzwischen einzige Münchner Zeitungsverleger (nachdem die Abendzeitung nach Straubing verkauft wurde, und die Süddeutsche Zeitung schon vor Jahren an ein Konsortium aus Stuttgart und Ludwigshafen ging). Er hat zudem in der öffentlichen Wahrnehmung eine atemraubende Wandlung vom kulturvernichtenden Provinzler zum mäzenatisch-klugen Säulenheiligen des bedruckten Papiers hinter sich. Und Uns Ude? Er findet sich weiterhin ein in sein - natürlich nicht! - geruhsames Rentnerdasein.

Während aber Ippen pünktlich zum Veranstaltungsbeginn mit entschlossenem Schritt den Saal im Kopfbau der Schrannenhalle durchmaß, am vordersten Tisch Platz nahm und in offenbar trauter SPD-Runde um den Forums-Beisitzenden Heimo Liebich das Weißbierglas erhob, kam Ude so sehr – fast eine Dreiviertelstunde – zu spät, dass ihn die Seinen nicht nur mit Beifall, sondern auch mit Buhs empfingen. Ude löste die Anfangsverspannung mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein – er sei ja „quasi pünktlich losgefahren“, und fügte heiter hinzu: „Aber so einen Stau hat es in meiner Amtszeit nicht gegeben.“

„Meine für mich peinlichste Geschichte in Bezug auf Dirk Ippen“ - das war auch für einen Ude nicht der schlechteste Einstieg ins eigentliche Thema. Zudem stehe die Geschichte stellvertretend für „typische Fehleinschätzungen der Person Ippen“. Und gehe so: Anfang der 80er Jahre habe der damalige Anwalt Ude auf Initiative der Gewerkschaft hin eine Straßen-Demo gegen den bösen „Hai“ angemeldet, als Jungverleger Ippen neu in die Stadt gekommen war, um Münchner Merkur und tz zu übernehmen. Ude: „Die Willkommenskultur der Stadt München gegenüber einem Unternehmer äußerte sich in einer Demo gegen den Hai.“ Doch selbst die SZ habe ja damals über Ippen geschrieben: „Der junge Mann kann ja nur ein Strohmann sein.“ Ja, so war das und so falsch war das. Heute jedenfalls „gibt es die beiden Zeitungen noch“, was in der Print-Welt des Jahres 2014 eine Nachricht ist. „Der Merkur ist liberaler denn je“ und „die tz behauptet sich von allen Boulevardzeitungen am besten“, sagte Ude, und nur aus der Kenntnis der Gesamtsituation heraus verzichten wir hier auf die Formulierung, er habe regelrecht geschwärmt.

Ippen (links) und Ude nach dem offiziellen Teil im "Pschorr"im Kopfbau der Schrannenhalle. Foto: Haimo Liebich

Kurz darauf allerdings legte der Alt-OB ein nun nicht mehr übersehbares Bekenntnis (oder reden wir besser von Geständnis?) ab, das für einen SPD-Politiker erstaunlich, für einen Zeitungsmann aber absolut nachvollziehbar ist: Dass nämlich der Münchner Merkur seit längerer Zeit den besten Lokalteil in der Stadt München herausbringt: „am verlässlichsten, am präzisesten“, so Ude, was, bei Kenntnis der Gesamtsituation, starker Tobak ist. „Ich bedauere sehr, dass er in der Stadt – im Gegensatz zum Land – kaum eine Rolle spielt.“

Ippen nahm auch das, wie vieles sonst an diesem Abend, lächelnd entgegen. Launig erzählte er dann, wie es für ihn in seinen ersten Münchner Jahren gewesen sei: ungewohnt und unangenehm, weil er nämlich plötzlich von zwei Seiten unter Druck gesetzt worden sei. „Kritische Menschen“, also zum Beispiel Gewerkschafts-Anwälte auf Straßen-Demos, „hinterfragten meinen Einstieg, weil ich ihnen vielleicht zu konservativ erschien. Und am Telefon hatte ich Franz Josef Strauß, der der Meinung war, dass die Zeitung eigentlich ihm gehört.“ Beides habe er an sich abprallen lassen.

Generell sei beim Merkur „die starke CSU-Anbindung in der Zeit meiner Vorgänger ein Fehler“ gewesen, so Ippen. Die Basis für jedwede Zeitung sei ihre Unabhängigkeit, und der Merkur leide bis heute (und nun zu Unrecht) unter seinem CSU-Image. (Andere Zeitungen in München profitieren zu Unrecht von ihrem positiven Image aus früheren Jahrzehnten, aber das nur am Rande.)

Ude war als Frager vom Fach durchaus auf den richtigen Spuren: Ob denn Ippen nicht damals doch sehr schmerzhafte Eingriffe in seinem Verlag vorgenommen habe? Der Verleger reagierte so verblüffend offen, dass kaum noch eine Angriffsfläche blieb: „Das stimmt. Ich musste, um den Verlag zu retten, 300 Menschen entlassen. So unberechtigt war die Demo gegen mich gar nicht.“ Er habe dann aber den Verlag radikal modernisiert, erst mit neu aufgebauten Lokalteilen, dann technisch mit der damals revolutionären Lichtsatztechnik, schließlich mit der Einführung eines großen Kleinanzeigenmarktes. Er habe damals die so genannte Erfolgsgarantie für die Kunden erfunden und damit für einen „geradezu explosionsartig wachsenden“ Umsatzfaktor gesorgt.

Am Tagesgeschäft ist er auch heute nah dran: Erfrischend offen beschwert er sich gleich mehrmals, dass nur seine tz den wuchtigen Auftakt zum Weihnachtsgeschäft nach dem ersten Adventswochenende im Blatt gehabt habe, sein Merkur aber eben nicht: „Ich halte das für einen Fehler.“ Denn „Zeitungen sind in ihrem tiefsten Inneren Solidarsysteme.“ Soll heißen: Sie halten uns in unserer Lebenswelt, sie begleiten uns, sie regen uns an. Sie verstören uns aber nicht. Ippen: „Auch die taz ist eine sehr gute Zeitung.“ Deshalb gehe es für die Zukunft der Zeitung auch überhaupt nicht um die Frage, ob eine Zeitung „links“ oder „rechts“ sei: „Entscheidend ist: Wie bekämpfe ich den Nichtleser?“ Und wenn sich ein Verleger nicht richtig um seine Zeitung kümmere, dann sei das wie bei Eltern mit ihrem Kind: es verwahrlost.“ Laut ausgesprochen wurde an dieser Stelle das Wort Abendzeitung von niemandem im Saal.

In der Diskussion. Foto: Michael Grill

Das Internet setze die Zeitung unter Druck wie noch kein anderes Medium zuvor – es sei die „fast tödlichste Gefahr“, es „legt Axt an die Wurzel der Zeitung“. Deshalb haben laut Ippen nur zwei Arten von Zeitung überhaupt eine Überlebenschance: Die „mit hochgeistigen Inhalten, vor allem am Wochenende“, und die „mit dem Kleinlokalen“. Keine Chance hätten jedenfalls jene „die weder Fisch noch Fleisch sind“.

In diesem Überlebenskampf sei der Münchner Merkur von allen deutschen Zeitungen bislang diejenige, die am wenigsten Auflage verliere. Was Ippen an dieser Stelle von einem üblichen Verlagsmanager unterscheidet, ist der charmante Nachsatz: „Damit sind wir aber nur der Einäugige unter Blinden.“

Auf Udes Frage nach Medienmacht und Medienkontrolle hatte Ippen den Konter längst parat: „Medienmacht gibt es ja gar nicht mehr, bei den Zeitungen jedenfalls nicht.“ Die seit einiger Zeit diskutierte Staatsfinanzierung oder öffentlich-rechtliche Beihilfe für notleidende Printtitel (etwa auch bei den ersten Ansätzen von Kooperationen mit sogenannten Recherche-Redaktionen) findet er „furchtbar“. Er wiederholte mehrmals: „Zeitung braucht Staatsferne! Macht ist verdächtig! Wes Brot ich ess...“ Wenn es schon andere Organisationformen für Printmedien geben müsse, bevorzuge er Stiftungsmodelle: „Darüber kann man nachdenken.“ Trotzdem müssten Journalisten wie Print-Leser erkennen: „Wir sind auf dem Weg von einem Massenmedium zu einem Nischenmedium.“

Die Art und Weise, wie nach den Ausführungen ein volles SPD-Forum einem (nach eigener Aussage) ordo-liberalen Verleger huldigte, war so rührend wie irritierend. Ippen schloss dramaturgisch perfekt: „Wer handelt, lädt auch Schuld auf sich, das können Sie schon bei Goethe nachlesen.“ Er habe jedenfalls „immer ein Vertrauensverhältnis mit möglichst vielen Mitarbeitern aufbauen wollen, bis hin zum Pförtner. Redakteure arbeiten nicht für Idioten.“ (Auch dieser Satz hallt in der Medienstadt München vielfach nach.)

Von den Münchner Printmedien war kein Reporter zu dem Termin entsandt worden.

Veröffentlicht am: 08.12.2014

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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karl.stankiewitz@arcor.de
08.12.2014 16:26 Uhr

Von all den interessanten Mitteilungen dieses Berichts ist der letzte Satz für mich der interessanteste. Die Kollegen/innen haben halt, wie immer, keine Zeit für ihren eigenen beruflichen Background. Karl Stankiewitz