"Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht" im Literaturhaus

"Frauen müssen so oder so nach Macht streben"

von Isabel Winklbauer

Simone de Beauvoir 1939 im Alter von 31 Jahren. Foto: Gallimard/Collection Sylvie le Bon de Beauvoir/I. Winklbauer

Nach Hannah Arendt gastiert wieder eine große Frau im Literaturhaus: Simone de Beauvoir, Philosophin, Schriftstellerin und Gefährtin von Jean-Paul Sartre. Die Ausstellung, die aus der Bundeskunsthalle Bonn übernommen und erweitert wurde, zeigt, wie man als Frau mit Verstand und Worten, aber ohne Hysterie, viel bewegt.

Eigentlich ist es ein Witz, dass die Bonner Ausstellungstexte mit Gendersternchen versehen sind. "(...) die Ideen des Existentialismus, dessen herausragende Vertreter*innen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir waren" ist etwa auf einer der Biografietafeln zu lesen. De Beauvoir würde vor Ärger im Dreieck springen, wenn sie das sähe: ein Markierungszeichen extra für Frauen, um sie von den Männern abzugrenzen. In ihrem Opus Magnum "Das andere Geschlecht" (frz: "Le deuxième sexe", also auch so viel wie: das zweite oder zweitrangige Geschlecht) von 1949 hatte sie doch kritisiert, dass der Mann als der allgemeingültige Maßstab gilt, die Frau aber immer nur in Abhängigkeit vom Mann definiert wird. Ein Wesen, das nicht der Normal-, sondern der Sonderfall ist und immer nur "auch" existiert und "auch" etwas will oder darf. Sie befasste sich mit grundlegenden Dingen, etwa der finanziellen Unabhängigkeit der Frau durch einen eigenen Beruf, oder mit ihrem Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen. Die Hysterie der neuen Mikrofeministinnen, die auf Regenwurmhöhe um Kleinkram kämpfen, wirkt daneben so lächerlich wie sie in Wirklichkeit ist. Die Verwendung von Gendersternchen wirkt in diesem Zusammenhang noch unbedarfter als sonst. Jetzt wird die Frau also endlich auch sprachlich aussortiert und an den Mann angehängt.

Lag damals auf dem Plattenteller: Juliette Greco. Foto: I. Winklbauer

Ein biografisch aufgebauter, einfacher Lang-Rundgang in der Erdgeschoss-Galerie des Literaturhauses zeichnet das Wirken der in Paris geborenen und im Viertel Saint Germain groß gewordenen und dort auch gebliebenen Denkerin nach. Der Betrachter pilgert in Form von Fotos und Texten durch Saint Germain, trifft die Clique mit Boris Vian, Albert Camus und Jean-Paul Sartre in den Reihen, sieht Greco-Schallplatten und De Beauvoirs erste Veröffentlichungen - unter anderem Ausgaben der mit Sartre herausgegebenen Zeitschrift "Les Temps Modernes" und natürlich mehrere alte, neue und Erstausgaben von "Le deuxième sexe". Charmant: im Mittelteil des Raums sind mit Bistro-Möbeln die Beauvoir-Wirkungsstätten Les deux Magots und das Café de Flore angedeutet, auf jedem Tisch liegt das Werk, man kann direkt anfangen, es zu lesen. Entzückenderweise greift die Existentialistin gleich auf den ersten Seiten ein heute wieder brandaktuelles Thema auf: Was ist eigentlich eine Frau? Ein Mensch mit Gebärmutter? Oder ein Mensch mit fürsorglichen Gefühlen? Oder gibt es gar keine Frauen? Fast exakt dieselbe Untersuchung führte im Februar dieses Jahres die Schriftstellerin und Philosophin Nele Pollatschek in der Süddeutschen Zeitung durch, und auch sie kam zu dem Gedanken, dass es womöglich Frauen gar nicht gibt. "Frau" wäre nach beiden Texten, wenn man so will, ein Konstrukt, das ein unterdrückerisches System begünstigt.

Säulen in kämpferischem Rosa zeigen zeitgenössische Kommentare. Foto: I. Winklbauer

Umringt sind die "Flore"-Arbeitstische von rosa Säulen, deren Farbe schon gut ins Rostbraune spielt, eine Art Kampfrosa, in denen auf Bildschirmen zeitgenössische Autorinnen und Wissenschaftlerinnen über De Beauvoir sprechen. Iris Radisch ist zu sehen und zu hören, Julia Korbik oder Imke Schmincke. Dieser Teil ist vom Literaturhaus kuratiert, genauer gesagt von Tanja Graf und Anna Seethaler.

Das "Manifest der Schlampen", wie der inoffizielle französische Titel lautete, im Original (li.) und im "Stern". Foto: I. Winklbauer

Besonders beeindrucken in der Ausstellung zwei Originalausgaben der Zeitschriften "Nouvel Observateur" und "Stern" von 1971, in denen Frauen öffentlich zu ihrer Abtreibung standen, in der französischen Ausgabe über 300. De Beauvoir war maßgeblich beim Verfassen von deren "Manifeste des 343" beteiligt. Andererseits zeigt ein Dokumentarfilm, den Alice Schwarzer 1971 über und mit Simone de Beauvoir in Paris gedreht hat, mit welcher Ruhe und welchem Scharfsinn die französische Philosophin ihre Thesen vertrat. Sie antwortet auf alles wie ein Wasserfall, das Anliegen der Frauen sprudelt nur so aus ihr heraus, ohne Netz und doppelten Boden. "Frauen sind 51 Prozent der Menschheit, ihre Sache kann nicht auf später verschoben werden, so wie Männer das immer ankündigen für die Zeit, in der erst einmal die große Revolution geschafft ist", sagt sie an einer Stelle. "Die Männer, die jetzt regieren, werden das Frauenproblem nie lösen. Die Frauen müssen so oder so selbst nach Macht streben, nur im Dienste ihrer eigenen Sache."

Simone de Beauvoir als 24-jährige Studentin. Ein Jahr zuvor hatten sie und Sartre sich öffentlich zu einer offenen Beziehung bekannt. Foto: Gallimard/Collection Sylvie le Bon de Beauvoir/ I. Winklbauer

Kurz gesagt heißt das: Frauen sollten aufhören, sich mit ihrer vorhandenen oder nicht vorhandenen, zu starken, zu schwachen, falschen, richtigen oder sonst irgendwie unnormalen Mütterlichkeit erpressen zu lassen. Stattdessen sollten sie ein paar Herren am Kragen packen, um Geld und Einfluss zu fordern. Wann das geschehen wird, steht leider heute noch in den Sternen. "Nein, wir haben diese Partie nicht gewonnen", wird De Beauvoir am Ende des Rundgangs zitiert, "in Wirklichkeit haben wir seit 1950 nichts erreicht". Bis zur Macht ist es auch heute, wo Frauen sich mit Sternchen und Zöpfchen beschäftigen, noch ein sehr weiter Weg.

 

"Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht", noch bis 30. April 2023, Mo-So 11-18 Uhr. Das Rahmenprogramm, unter anderem mit Virginie Despentes und Bernardine Evaristo, gibt es unter www.literaturhaus-muenchen.de

Veröffentlicht am: 24.12.2022

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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