Mangas und Schläfenlocken am Jakobs-Platz

von kulturvollzug

Vorurteile, nichts als Vorurteile: Mit der Ausstellung "Typisch! Klischees von Juden und Anderen" zeigt das Jüdische Museum, wie Denkschablonen entstehen und wirken.

"49 Jewish Noses" von Dennis Kardon. Foto: Jüdisches Museum

Der Focus hat’s mit seiner Fotomontage vorgemacht: Ein Schnauzbart und ein Wollhäubchen auf dem Scheitel genügen, und schon wird aus dem Bundespräsidenten ein Imam. Christian Wulff als Islam-Versteher, wegen seiner „Der-Islam-ist-Teil-von-Deutschland“-Rede. Ebenso leicht ist Wulffs Widerpart in der nun entbrannten Diskussion zu identifizieren, dank Trachtenhut auf dem Kopf: Es handelt sich bei dem ergrauten Lausbub eindeutig um einen alpenländischen Regierungschef.

Die beiden Illustrationen hätten trefflich in die aktuelle Ausstellung im Jüdischen Museum in München gepasst. „Typisch“ heißt sie, und es geht um Vorurteile, um Seh- und Denkschablonen, die dem Menschen das Ordnen der Welt erlauben. Es ist halt das Klischee, das eine erste Kursbestimmung auch ohne detailliertes Kartenmaterial zulässt. Doch es ist das Vorurteil, das nie mehr überprüfte, das uns letztlich auf den Holzweg führt.

"Harakiri School Girls" von Makoto Aida, 2007, Leihgabe des Künstlers. Foto: Jüdisches Museum

Wie sich Muster entwickeln, wie sie instrumentalisiert werden, wie sie uns aufs Glatteis führen: Das dokumentiert die Ausstellung an einigermaßen gegensätzlichen Stücken. Da sind alte Plakate zu sehen, auf denen rassistische Vorstellungen werbewirksamen Wiedererkennungswert entfalten. Der lustige kleine Mohr, der Kautabak feilbietet, die Karikatur eines Negers, der die Seife preist, die seine Haut weiß gewaschen hat, der stolze, adlernasige Beduine, der an der Zigarette zieht, den Blick in die Weiten der Sahara gerichtet...

Auch heute sind wir nicht davor gefeit, der trügerischen Einfachheit des angeblich untrügerischen Merkmals zu verfallen. Eine Guckkastensäule lädt dazu ein, einen Ring mit Titelvorschlägen zu drehen und damit kleinen Figuren Titel zu geben. Und weil die Vorschläge eben nur ab und zu passen, wird einem bewusst, welcher Hochmut darin liegt, Namen zu geben und Platz anzuweisen.

Kunst und Triviales, Schlümpfe und Plastiken, Barbiepuppen und Filme: auf vielen Wegen kann man Stereotype transportieren, manchmal augenzwinkernd, manchmal im bösen Ernst. Der Besucher muss mit ironisch-subersiven Attentaten auf Sehgewohnheiten rechnen. Wie bei Makoto Aidas „Harakiri Schoolgirls“, die japanische Mangas brutal mit dem Klischee des rituellen Selbstmords kreuzen. Und da wäre die Installation „49 Jewish Noses“ des Amerikaners Dennis Kardon. Kunststoffnasen hängen an der Wand, lauter Prachtexemplare, nach dem Modell jüdischer Künstler in den USA geformt. Wie sagte noch Monti Pythons Brian? „Ich bin ein Jude. Sohn Israels. Ein Hebräer, eine Hakennase.“ Auch aus diesem Film sieht man einen Ausschnitt.

Historisches Schuhcreme-Plakat. Foto: Deutsches Historisches Museum Berlin (DHM)/ AKG

Man betrachtet Fotos von Kolonialherren, die Eingeborene drillen und Schädel vermessen. Felix von Lauschner entwickelte die Farbtafel im Hosentaschenformat, mit der sich Hauttöne spezifizieren lassen. Schnell kann aus Unterscheidung Selektion werden – am Anfang eines Genozids steht meist die Lehre, nach welchen Merkmalen Menschen in Kategorien einzuordnen seien.

Wie sehr die krumme Nase für den Typ des „Juden“ stand, erzählen schließlich eine Tiroler Holzmaske, die im volkstümlichen Theater Verwendung fand, und die Gehstöcke mit „Judenköpfen“ aus dem 19. Jahrhundert. Längst überholte Vorstellungen? Hut, Schläfenlocken, große Nase: Dass auf dem Plakat des Jüdischen Museums mit ein paar Strichen ein nach wie vor erkennbarer Archetyp abgebildet ist, sagt viel über die Verführungskraft und Gefährlichkeit von Klischees.

Jan Stöpel

Veröffentlicht am: 19.10.2010

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