Williams "Orpheus" in den Kammerspielen

Der Fremde in der Schlangenhaut

von Michael Weiser

Angelika Krautzberger, Annette Paulmann, Lasse Myhr (v.l.) Foto: Julian Röder

Jubel und langer Beifall zum Auftakt in die Jubiläumssaison: Mit Tennessee Williams selten gespieltem frühem Drama "Orpheus steigt herab" sorgte Regisseur Sebastian Nübling für einen einigermaßen düsteren, aber durchaus gelungenen Abend - wenige Tage vor dem hundertsten Geburtstag der Kammerspiele.

Gibt es ein Leben vor dem Tode? Wenn ja, wie erbärmlich müssen sie es geführt haben, die Menschen in diesem "Orpheus" von Sebastian Nübling, um das verdient zu haben: Die Verbannung in diese jenseitige Dämmerzone, in der die Stimmen nachhallen wie in einer Höhle, in der es nach Ladys Worten "kalt wie in einer Eisfabrik" ist, in der ein Karussel verkehrt herumvon oben hereinragt. Keine Szenerie von dieser Welt jedenfalls...

Tennessee Williams ist der unbarmherzige Beobachter nicht nur der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Strukturen gewesen. In seinen Dramen kommunizieren die Figuren nur scheinbar miteinander; in Wirklichkeit teilen sie sich dem Publikum mit. Aus Worten weben sie eine Leinwand, auf der dann eine andere Botschaft erscheint: die vom Zerstörungspotenzial der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen, von der Gefährlichkeit von Beziehungen.

Annette Paulmann, Angelika Krautzberger (v.l.) Foto: Julian Röder

Für diese Inszenierung hat Nübling einige Fäden des Gewebes herausgeschnitten. So behutsam er gekürzt hat, ist es doch verblüffend, dass die Geschichte noch aufgeht. Man stutzt ab und an, wenn Menschen etwas kaufen wollen auf diesem kalten Rummelplatz. Williams hatte einen Laden und eine Konditorei als Schauplätze vorgesehen, in diesen Passagen sträubt sich der Text gegen das Bühnenbild (Eva-Maria Bauer). Man mag diese Unebenheiten aber angehen lassen: Irritationen in einer Umgebung, die den Figuren des Dramas so fremd ist wie nur irgendwas.

In dieses Dämmerreich steigt Orpheus herab. Er heißt Val, singt traurige, poetische Lieder, und erzählt von Vögeln, die keine Beine haben und im Wind schlafen, die nur einmal den Boden berühren - wenn sie sterben. Val trägt ein Sakko aus Schlangenhaut, sie ist eines von Williams überdeutlichen Bildern, ein Bild dafür, dass er sich häuten kann, dass er immer wieder von vorne anfangen kann, so lange er Freiheit und Jacke nicht aufgibt - etwa, indem er sie gegen den Blaumann eines Arbeiters wechselt. Risto Kübar spielt den Val mit seltsamen Akzent, mit seltsam schlangenartigen Bewegung, ein androgyner Schlaks mit Nigel Kennedy-Look. Eine gewagte Besetzung, ein Wagnis aber, das aufgeht. Kübar spielt faszinierend einen Traumwandler, der erkennbar von ganz woanders herkommt. Ein Fremder. Warum nur scheinen sich dennoch die Leute an ihn zu errinnern?

Risto Kübar, Jochen Noch (v.l.) Foto: Julian Röder

In Williams Drama ist Lady die Eurydike. Orpheus-Val wird die Liebe, die zwischen ihnen beiden mal war, zum Verhängnis werden. Nübling hat so viel aus diesem Teil der Geschichte gestrichen, dass nur noch eine Skizze übrig ist. Es bedarf einer Wibke Puls mit aller Bandbreite zwischen Schroffheit und Verletzlichkeit, zwischen Dame und versehrtem Kind, um diese Umrisse mit Farbe zu füllen. Überhaupt, die Frauen: Sylvana Krappatsch etwa spielt die angeknackste Carol Cutrere so intensiv, dass man die Schmerzen fast körperlich spürt, die ihr die Mitmenschen zufügen.

Es sind auch die Bilder, die diesen Abend nachwirken lassen. Lady setzt am Ende das Karussel in Gang. Für ein paar Momente ist nichts verkehrt, die bunten Lichter erleuchten diese Höhle von einem Bühnenlicht. Dieser Akt der Auflehnung gegen Jabe (fies wie selten: Jochen Noch) kostet sie ihr Leben, doch hatte sie mit ihrer Fahrt wenigstens einmal den Tod besiegt. Auch Val wird sterben - er hat den Boden berührt. Mit dem Tod wird die Sache nicht unbedingt enden - die beiden dürften die einzigen sein, die dieser Hölle entkommen.

Weitere Vorstellungen: 30. September, 6., 9., 14. und 30. Oktober.

Veröffentlicht am: 01.10.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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