Über Kardinal Döpfner, der jetzt 100 Jahre alt geworden wäre

Volksnah, politisch - ein Mann, der München belebte und beunruhigte

von Karl Stankiewitz

Wie Julius August Kardinal Döpfner einst Kirche und Atheismus versöhnen wollte. Der gebürtige Unterfranke wäre am Montag (26.8.2013) 100 Jahre alte geworden.

Julius Kardinal Döpfner. Foto: Archiv des Erzbistums München und Freising

Dieser volksnahe Oberhirte war mehr als ein „Kirchenfürst“. Die Kirche sei keineswegs eine Art von Monarchie mit alleiniger Entscheidungsgewalt des Papstes, sagte er im September 1962, kurz vor seiner Abreise nach Rom, auf einer Pressekonferenz in München. Er positionierte sich – schon als Erzbischof in Berlin, mehr noch in Münchens höchstem Kirchenamt – als durch und durch politischer Mensch. Unmissverständlich äußerte er seine tiefe Betroffenheit über den Vietnamkrieg und, nach einer Südafrika-Reise, über die Unmenschlichkeit der Apartheid.

Ungewohnt politische Klänge belebten oder beunruhigten auch im Mai 1966 das kirchliche Establishment. Ein Rückblick:

„Müssen christliche und marxistische Humanisten Feinde sein?“ Die Kardinalfrage der Tagung stellte der Konzilstheologe Karl Rahner, einer der geistigen Führer des deutschen Katholizismus. Und gab die wegweisende Antwort: „Mir scheint nicht, wenn beide Seiten begreifen, dass beide der Zukunft mehr verpflichtet sind als der Vergangenheit.“ Müssen sie Feinde sein, so fragte der Münchner Professor für katholische Weltanschauungslehre weiter, weil die konkrete Zukunft, die der Marxist plane, der widerspreche, die der Christ erbauen wolle? Ein Trugschluss, meinte Rahner, denn „das Christentum fordert gar keine bestimmte konkrete Zukunft, und der Marxist wird hoffentlich auch nicht meinen, dass er sie schon als fertigen Fünfjahresplan in der Tasche habe“.

Was in den ersten Mai-Tagen 1966 auf der Herreninsel im Chiemsee geschah, war mehr als ein Dialog zwischen Christen und Nichtchristen, sogar mit Kommunisten: Es war der erste großangelegte Versuch einer Versöhnung grundverschiedener Weltanschauungen. In jenem ruinösen Schloss war 17 Jahre zuvor das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorbereitet worden. Jetzt fand in einem der Säle eine Begegnung statt, die gleichfalls einen geschichtlichen Markstein setzte.

Es war anzunehmen, dass Julius Kardinal Döpfner, der Erzbischof von München und Freising, das außerordentliche Treffen, wenn nicht abgesegnet, so doch mit wohlwollendem Interesse zur Kenntnis genommen hatte. Jedenfalls hatte er als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, der den Pater Rahner als Berater angestellt hatte, am 1. Mai bei einem überfüllten Abendgottesdienst im Dom die Forderung erhoben, der Friede müsse aus einer gerechten Ordnung innerhalb der Staaten und der Staaten untereinander erwachsen, er sei nämlich „mehr als nur Nicht-Krieg“. Und in diesem Geist müsse auch der Dialog gesehen werden, den die Kirche mit dem Atheismus und dem Kommunismus begonnen habe.

Vier Tage lang standen sich 300 große Geister beider Ideenreiche ohne Scheuklappen gegenüber. Sie entdeckten und sagten es auch, dass sie eigentlich „Freunde“ und „Brüder“ sein könnten. Zum erstenmal arbeiteten die bislang feindlichen Brüder gemeinsam und in aller Offenheit an einer Plattform für die Zukunft, in der – so Rahner – „immer noch für alle ein greifbarer Freiheitsraum mit einigermaßen erträglichen Grenzen übrig bliebe und jeder Seite es im Mut und der Selbstbegrenzung ein Anliegen wäre, solchen Freiheitsraum für den anderen zu sichern“.

Die kurz zuvor noch gar nicht selbstverständliche Erkenntnis, dass weder im Christentum noch im Marxismus das Menschenbild ein endgültiges ist, war einer der Bausteine, auf die man sich bald einigte. „Wir müssen uns gegenseitig von unseren Dogmatismen befreien", forderte Philosophie-Professor Roger Garaudy, Chefideologe der französischen Kommunisten. Nach dem Konzil seien progressive Kräfte im Christentum hervorgetreten, die in gleicher Richtung wie der Marxismus vorgingen. Dieser wiederum müsse auch die christlichen Erfahrungen integrieren. Andernfalls komme es zu einer Kulturverarmung. (1968 wegen seiner Kritik am Einmarsch der Warschauerpakt-Truppen in die CSSR aus der KPF ausgeschlossen, trat Garaudy zum Islam über, leugnete den Holocaust und wurde deshalb in Frankreich verurteilt).

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ In diesem Satz von Karl Marx scheine sich das „Gewissen der Zukunft“ zu melden, erklärte Professor Johann Metz, einer der drei Vertreter des vom Papst neugeschaffenen Referats für das Gespräch mit den Ungläubigen. Allzu sehr scheine in Vergessenheit geraten zu sein, dass auch die Heilserwartung der Christen auf universalen Frieden und endgültige Gerechtigkeit ziele, so dass – Metz zitierte die Offenbarung – „nicht mehr sein wird Trauer noch Klage noch Mühsal“.

Vom endgültigen Frieden und von Übereinstimmung der Ideen war damals noch viel die Rede, aber auch von Hindernissen und von Hilflosigkeit bei der Umsetzung ins Politische, in den „real existierenden Sozialismus“. So bald wie möglich sollte nun dieser „Dialog der Hoffnung“ (so Professor Jules Girardi von der Päpstlichen Universität) in einem sozialistischen Land fortgesetzt werden. Dies wurde bereits vorbereitet von der Internationalen Paulus-Gesellschaft, die der Münchner Theologe Erich Kellner 1955 als Verein zur Begegnung von Christentum, Religionen, Wissenschaft und Gesellschaft gegründet hat. „Warum“, fragte Rahner, „sollen wir nicht zusammen die Zukunft planen, die uns allen unbekannt ist?“

Der Dialog wurde unverzüglich fortgesetzt, wieder in München. Am 3. Mai 1966 predigte Kardinal Döpfner abermals im Liebfrauendom. Er sprach dabei über die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen, mahnte zur Wachsamkeit gegenüber allen Revanchegelüsten und allen Formen des Nationalismus, wofür es bereits ernste, wenn auch nicht dramatische Anzeichen gebe. Am gleichen Tag besuchten polnische Bischöfe die Katholische Akademie in Bayern, die sich in Döpfners Amtszeit zu einem Zentrum des Dialogs mit der Welt und zu einem „Laboratorium der Kirche“ entwickelt hatte.

Im November 2001 ließ Friedrich Kardinal Wetter, der Nachfolger des 1976 in seinem Münchner Palais verstorbenen Kardinals Döpfner, dessen Archiv öffnen. Aus den Aufzeichnungen ersah dessen Biograph, der Kirchenhistoriker Klaus Wittstadt, dass „die Geschichte des Konzils ohne Döpfner nicht geschrieben werden kann“. Aber Döpfner hatte auch Feinde in der Kirchen-Hierarchie. Professor Wittstock fand Hinweise darauf, dass die Kurie seine prägende Rolle heruntergespielt, ja sogar einen Gedenkstein manipuliert hat. Grundsätze wie Offenheit, Toleranz, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Brüderlichkeit gingen manchen Würdenträgern zu weit. Der damalige Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Ottaviani, habe es auch verhindert, dass der den Dogmatikern suspekte Pater Karl Rahner in die Vorbereitungskommission berufen wurde, obwohl dies der Papst selbst auf Vorschlag von Döpfner angeordnet hatte.

Dieser Text entspricht im Wesentlichen einem Kapitel aus dem Buch „Regenten, Reformer, Rebellen“ von Karl Stankiewitz, das der Hess Verlag im Herbst herausbringt.

In der Krypta des Münchner Liebfrauendoms ist noch bis zum 8. September 2013 eine Ausstellung zu Kardinal Döpfner zu sehen.

 

Veröffentlicht am: 27.08.2013

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