Karl Stankiewitz zum Tod von Dieter Hildebrandt

Der ewige Spötter - und wie seine Karriere einst begann

von Karl Stankiewitz

Dieter Hildebrandt. Foto: Lustspielhaus

Es gab eine Zeit, da durfte man als politischer Korrespondent in München keine Kabarett-Premiere versäumen. Denn plötzlich, einige Jahre nach der Frühblüte der von Erich Kästner inspirierten „Schaubude“ in einem Hinterhof der Reitmorstrasse, waren wieder beste Programme in aller Munde, und zwar weit über die Stadt hinaus. Sogar in Bielefeld wollte ein Friedrich Nowottny, Volontär der Freien Presse (und späterer WDR-Intendant), bei einem meiner Routine-Redaktionsbesuche genauer von mir wissen, was sich denn da in Schwabing neuerdings abspiele. Nach dem Wortlaut des Berichts unseres Autors Karl Stankiewitz vom Juni 1957 spielte sich in etwa Folgendes ab:

München spricht von einem jungen Mann namens Dieter Hildebrandt. Im schlesischen Bunzlau 1927 geboren und nach der Kriegsgefangenschaft in der Oberpfalz gelandet, hatte er in München zunächst Literatur- und Theaterwissenschaft studiert. Um dies zu finanzieren, arbeitete er als Platzanweiser in der „Kleinen Freiheit“, für die zunächst ebenfalls Erich Kästner, der damals noch den anspruchsvollen Kulturteil der amerikanischen “Neuen Zeitung“ leitete, die schönsten Texte geschrieben hat.

Eines Tages aber musste die Direktorin Trude Kolman erkennen: „Wir haben keine Texter mehr.“ Die Behäbigkeit der inzwischen satt gewordenen Bürger, die Abgestumpftheit der an sich zur Kritik bereiten Zeitgenossen und das Bewusstsein von der Unausrottbarkeit der im Grunde gleich bleibenden Zeitübel stellten das Kabarett vor schwer zu bewältigende Aufgaben.  So zog die „Kleine Freiheit“ eines Tages aus ihren Kellerräumen unter einem Café vis-á-vis der Oper aus und am anderen Ende der Maximilianstraße parterre ein, um fortan als Boulevardtheater ihr Glück zu suchen. Was ihr indes nie recht gelang.

Ein Star. Hildebrandt mit OB Christian Ude vor der Presse 2011. Foto: Michael Grill

Das war die Stunde für ein neues, junges Kabarett. Ensembles, die bislang als zweitklassig galten, waren plötzlich die erdrückende Konkurrenz los. Zuerst tauchten im Vakuum die „Kleinen Fische“ auf. Auch sie waren lange Zeit im Nebenraum eines Cafés mit viel Mut und wenig Durchschlagskraft herumgekrebst. Mit der Zeit aber gewann die gescheite, junge Textdichterin Therese Angeloff an Routine und das Ensemble, getragen von der rauchigen Stimme der blonden Ingrid van Bergen, an kabarettistischem Corpsgeist. Immer geschliffener wurde das Florett ihres Witzes. Schließlich konnten die „Fische“, nun gar nicht mehr so klein, ein eigenes Haus beziehen und gar auf Tournee gehen.

Auch Hildebrandt nützte die Gunst der Stunde. Mit einigen Kommilitonen gründete er 1955 „Die Namenlosen“ und ein Jahr später, zusammen mit dem Sportreporter Sammy Drechsel die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“. Die schießt seither in einer ziemlich schäbigen, aber traditionsreichen Kneipe in der Haimhauser Straße jeden Abend ein wahres Wort-Feuerwerk ab. Hildebrandt spielt und schreibt die meisten Texte, die großartige Ursula Herking, aus der künstlerischen Anonymität des Films befreit, brilliert als Diseuse, Drechsel führt Regie mit Berliner Schnauze und der Wirt begleitet dezent am Piano.

Mit dem zehnten Programm „Halt die Presse!“, das sich satirisch mit der Spiegel-Affäre auseinandersetzt, kann das Ensemble fast ein Jahr lang zwischen Saarbrücken und Kiel die größten Säle füllen. Mein Kommentar damals: „Das Problem ist nur, das Pulver trocken zu halten. Wie leicht können Pointen, die auf ein aktuelles Vorkommnis gemünzt sind, verschimmeln.“ Immerhin, die Münchner erweisen sich als Meister der Improvisation. In Hildebrandts Eröffnungsmonologen bekommt noch fast jede aktuelle Schlagzeile eine schlagende Pointe.

Hildbrandt bei seiner Dankesrede für den Kulturellen Ehrenpreis im Alten Rathaussaal. Foto: Michael Grill

Zehn Jahre nach dem fulminanten Start ist der Chefspötter so berühmt, dass er für das Fernsehen eine satirische Erzählung von Heinrich Böll verfilmen darf: „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“. Seine Lach- und Schießgesellen sind zur Institution geworden. Der Erfolg sprießt aus allen Knopflöchern ihrer neuen, glänzenden Anzüge (der Schneider steht im Programmheft). Wohlwollende Prominenz füllt die ehemals kleinkarierte Schwabinger Eckkneipe. Auf den Tischen funkeln Sektkühler. Münchens sonst so strenge Theaterkritiker überschlagen sich in Lob. Den Premieren folgt jeweils die Millionenschau im Fernsehen.

Ein Jahr später, 1965, liest Sammy Drechsel meine Kritik mit Missbehagen, wie er mir später verrät. Die Überschrift lautet: „Mehr Lachen als Schießen. Die Helden des Kabaretts sind müde.“ Haben sie sich, wenn auch unbewusst, mit den Mächtigen arrangiert? Nach einem wenig witzigen Gespräch mit prominenten Politikern vor der Fernsehkamera muss sich sogar  der sonst so souveräne Hildebrandt geschlagen geben: „Die lächeln einen um.“ Weite Strecken des neuen Programms „Schuld abladen verboten“ sind pure Komödie und Blödelei. Gewiss, manche Pointen des produktiven Oberschützen blitzen und sitzen noch, viele aber stammen, wie er selbst sagt, aus dem „Pointen-Müll“.

Was weiter geschah:

Als sich die Gesellschaft zu verändern begann und große Teile der Jugend aufbegehrten, „gehörten wir für die jungen Leute plötzlich zum Establishment“, erinnerte sich Hildebrandt bei einem Interview, das ich mit ihm im alten, vergammelten Schwabinger Büro für mein Buch „München 68. Traumstadt in Bewegung“ führte. „Dabei waren wir gegen die Notstandsgesetze, das Hauptangriffsziel der Außerparlamentarischen Opposition, schon 1967 zu Felde gezogen...“ (Er meinte das von Klaus Peter Schreiner geschriebene und an ein Günter-Grass-Stück angelehnte Programm „Die Pharisäer proben den Notstand“). Die revoltierende Jugend aber lehnte das politische Kabarett grundsätzlich ab, es war für sie „scheißliberal“. Hildebrandt aber spielte den spöttischen Spielverderber noch viele, viele Jahre lang.  2013 startete er sogar ein Online-Satireformat: „Störsender – eine Spielwiese für alle, die sich nicht abfinden wollen“. Ein ewiger Rebell mit Narrenkappe. 2011 erhielt Hildebrandt den Kulturellen Ehrenpreis der Landeshauptstadt München. Er starb am 20. November 2013.

Veröffentlicht am: 21.11.2013

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