"Sommertag" von Nikolaus Brass im Schwere Reiter bei der Biennale

Hin- und hergerissen von der ersten Oper im Herbst des Lebens

von Alexander Strauch

Schwedisch karg möbliert. Foto: Adrienne Meister

Am Mittwoch (16.5.14) fand im Schwere Reiter anlässlich der diesjährigen Opern-Biennale die Dernière der ersten Oper „Sommertag“ des 64-jährigen Münchner Komponisten Nikolaus Brass statt. Nachdem die Premiere mit dem Vorwurf einiger Längen in der Öffentlichkeit registriert worden war, war es um so interessanter zu erleben, wie sich das Stück nach seinem kurzen Aufführungszyklus jetzt präsentieren würde. Nach der wohl ausverkauften Voraufführung und Premiere war der Saal jetzt nur halbvoll. So konnte man sich bequem im Raum verteilen, was einigen im weiteren Verlauf der Aufführung noch zum Nachteil geraten sollte.

Interessant ist es zu wissen, wie die Produktion überhaupt zustande kam. „Sommertag“ ist, wie gesagt, der Opernerstling eines Künstlers im Seniorenalter, obwohl die Biennale nur sehr junge Komponisten für erste Musiktheaterkompositionen beauftragt. Vertreter einer älteren Generation wie Dieter Schnebel und Detlev Glanert, die nächste Woche auf dem Programm stehen, haben bereits Zeit ihres Lebens grössere Werke für das Musiktheater erfolgreich aufführen lassen. So wurde bei der Pressekonferenz der Biennale 2012 auch recht fordernd gefragt, wann denn endlich Brass seiner erste Oper bekommen würde.

So wurde „Sommertag“ mit Unterstützung der Theaterförderung der Landeshauptstadt als Schwerpunkt im kommunalen Beiprogramm „Biennale special“ auf Umwegen eingehebelt. Um es kompliziert zu halten, nannte sich dann noch die Musikhochschulproduktion „Kopernikus“ „Biennale extra“. Ob nun „special“ oder „extra“, in beiden Stücken war Waldtraut Lehner federführend dabei: Für die Musikhochschule inszenierte sie, für Nikolaus Brass wirkte sie mit diesem unter anderem am Konzept mit und zeichnete zudem für die szenische Dramaturgie mitverantwortlich.

Die Szenerie setzte einen Holzsteg und eine Holzrampe mitten ins „Schwere Reiter“, dazwischen vier gestapelte Holzstühle. Mit dem Parkett des Raumes konnte man nun wählen, ob man in einem schwedischen Möbellager oder einem norwegischen Fjordhaus verweilen wollte. Wer auf Norwegen setzte, hatte gewonnen. Denn „Sommertag“ basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel Jan Fosses. Das schwerfällige Libretto wollte quasi an der Kargheit des Symbolisten Maurice Maeterlinck anknüpfen. Ähnlich wie dessen Texte wurde nämlich den ganzen Abend nicht klar, ob Mann die Frau verlassen hat, starb oder nach einer Vergewaltigung floh. Und ob die Frau sich nun über ihr Alleinsein freute oder doch vereinsamte und vielleicht aus einem unklaren Grund Suizid begehen wollte. Solch eine ausgestellte Unentschlossenheit des Plots kann spannend sein, wie es zum Beispiel Walter Zimmermann mit Maeterlincks „Die Blinden“ mit je extremer Chorstatik und Chorbewegung vormachte.

Die Fosse-Vertonung hatte ein weniger striktes Konzept, das die gedoppelten Protagonisten, die vier herausragend singenden Mitglieder der Stuttgarter Vokalsolisten als jüngere und ältere Ausgabe von Mann und Frau in der Regie von Christian Marten-Molnár in immer wieder introvertiert tragischen Stimmungen zeigte. In der Musik führte das selten zu herausblitzenden Duetten, in denen sich überraschend der Klang mit den sechs Musikern dramatisch massieren wollte. Insgesamt verknüpfte kein melodisches Band die einzelnen Szenen mit den trockenen Worten, die sich eigentlich von Mal zu Mal immer mehr ähnelten, unterbrach ein viel zu langes Bratschensolo unnötig den Stillstand. Letztlich ist alles eine geschmackliche und ideologische Frage, ob im Internetzeitalter wieder Lieder gesungen werden dürfen. Diese Frage wurde quasi gestellt, aber nicht beantwortet, was allerdings in weiten Teilen der zeitgenössischen Musik bereits seit mehr als 50 Jahren zu beobachten ist.

So bleibt nur noch Nebensächliches zu erzählen: Nachdem das Bühnenpersonal teilweise pausierend im Publikum Platz nahm, irgendwann ein alter Butohtänzer in Alltagskleidung zuerst nicht als Mitspieler zu identifizieren war, ein anderer älterer Herr im Mantel, den man wiederum für einen Mitwirkenden hielt, sehr langsam aus dem Raume schlich, zerfiel das „drame lyrique“ weiter als in die vorgesehenen Einzelteile. Eine weitere Vierertruppe hielt es gar nicht mehr aus und stolperte hinter dem an der Wand konzertierenden Klarinettisten über den Holzsteg aus dem Saal. Die Verbliebenen spendeten der grossen Leistung des Ensembles ihren Applaus, manche sogar sehr begeistert. Der Berichterstatter war selbst hin- und hergerissen. Bleibt die Hoffnung, dass jüngere Komponisten das Innenleben ihrer Stücke konziser und konkreter in der Welt verorten, vertonen werden.

Veröffentlicht am: 16.05.2014

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