Zur bevorstehenden wissenschaftlichen Edition von Hitlers "Mein Kampf" durch das IfZ

Immer noch gefährlich? Die verschlungene Geschichte von Büchern mit des Diktators Kriegsreden

von Karl Stankiewitz

Hitler als Redner. Abb. aus “Deutschland erwacht. Werden, Kampf und Sieg der NSDAP”, 1933 by Cigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld

Im Januar 2016, nach Erlöschen der Urheberrechte, bringt das Institut für Zeitgeschichte im IfZ-Eigenverlag die wissenschaftliche Edition von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ heraus, der die Staatsregierung 2013 trotz eines Landtagsbeschlusses die finanzielle Unterstützung entzogen hatte. Der 2000 Seiten starke Band, der 3500 von Historikern erarbeitete Anmerkungen enthält, kostet daher 59 Euro. Das IfZ bezeichnet das Buch als „Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung“; es solle seiner „nach wie vor wirkenden Symbolkraft den Boden entziehen“. Zur Diskussion dürfte die Neuauflage dennoch herausfordern; Arte begann am 15. Dezember 2015 bereits mit einer Dokumentation über „Mein Kampf – das gefährliche Buch“.

Dies ist allerdings nicht die erste neuere Publikation mit Originaltexten des Diktators. Schon 1961 hatte das in München beheimatete Institut „Hitlers zweites Buch“ herausgegeben. Das 200 Seiten starke, 1928 geschriebene Manuskript hatte der Nazi-Führer nie veröffentlichen lassen, weil es seine außenpolitischen Absichten verraten hätte. 1945 fand es ein amerikanischer Offizier in einem Luftschutzbunker. Die Forschung wurde aber erst 1958  darauf aufmerksam. Seit 1991 hat das IfZ auch Hitlers Reden, Schriften und Anordnungen von 1925 bis 1933 veröffentlicht.

Nun gibt es aber noch eine weitere Schriftenreihe mit Hitler-Reden. Sie umfassen einen historisch besonders wichtigen Zeitraum: vom 1. September 1939, als mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, bis zum 15. März 1942, als der Rückzug in Russland und das Flächenbombardement deutscher Städte begannen. In vier Auflagen erreichten die drei im Eher-Verlag gedruckten Bücher eine Auflage von mehr als 300.000 Exemplaren, von denen anscheinend aber nur wenige erhalten blieben. Neu herausgegeben und kommentiert wurden sie bisher nicht.

Durch Zufall sind jetzt zwei Originale dieser Hitler-Dokumente aufgetaucht. Sie stammen von Willi Cronauer, der hinein kritzelte: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Traurig, wenn man als (das folgende Wort ist unleserlich) dazu gehört.“ Dieser Eintrag ist auf den 13. Oktober 1943 datiert – es war der Tag der deutschen Kriegserklärung an das abtrünnige Italien.

Unmittelbar nach Kriegsende drehte Cronauer mit einer 35-mm-Kamera die Dokumentar-Filme „München 45“ und „Fronleichnam“. Er war dann als Oberregierungsrat im Kultusministerium für Theater, Film und Vortragswesen zuständig, setzte sich für die zeitgenössische Literatur ein, wurde wegen Linkstendenzen angegriffen und quittierte nach einem schweren Dienstunfall den Dienst. Tatsächlich verkehrte Cronauer in antifaschistischen Kreisen Münchens. Er wurde von der SPD ausgeschlossen, von Oberbürgermeister Hans Jochen Vogel jedoch zum 60. Geburtstag wegen großer Verdienste um die Münchner Stadtkultur geehrt.

Als Präsident der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), der noch heute vom Verfassungsschutz „beobachtet“ wird, verkehrte Willi Cronauer im „St. Valentinskreis“, der sich meist im Pavillon des Alten Botanischen Gartens traf. Beteiligt waren pazifistische, linksliberale Künstler, Gewerkschafter und Publizisten, darunter beispielsweise der Reporter Siegfried Sommer. Initiator und Sprecher war Hannes König, der in diesem Pavillon auch die erste Nachkriegs-Kunstausstellung organisierte und später als früherer Mitarbeiter Karl Valentins das „Musäum“ im Isartorturm ins Leben rief.

Bei einer der letzten Zusammenkünfte schenkte Cronauer die gedruckten Hitler-Reden dem Journalisten Erich Vilgertshofer, der bis zum Verbot der KPD stellvertretender Chefredakteur des Parteiorgans „Bayerisches Volksecho“ war. Vilgertshofer, der am 17. Dezember 2015 90 Jahre alt wurde, übergab die beiden Bücher kürzlich dem Schreiber dieser Zeilen, auf dessen Interesse an zeitgeschichtlichen Quellen er durch Zeitungsartikel aufmerksam geworden war. Vorher hatten sich bei ihm, auf eine Internet-Notiz hin, Interessenten aus Österreich mit offenbar rechtsradikalem Hintergrund vergeblich um die Nazi-Schriftstücke bemüht.

Herausgegeben wurden die zunächst drei Bücher ursprünglich unter dem Titel „Der Großdeutsche Freiheitskampf“ vom nationalsozialistischen Reichsleiter Philipp Bouhler. Dieser begann seine Parteikarriere als kaufmännischer Geschäftsführer beim „Völkischen Beobachter“, er war dann Chef in der „Kanzlei des Führers“ und schließlich Beauftragter für die gegen „unwertes Leben“ gerichtete NS-Euthanasie-Aktion T 4. Als Gefangener der Amerikaner nahm sich Bouhler auf dem Transport ins Internierungslager Dachau das Leben.

Was beinhalten nun diese gedruckten Reden, Aufrufe und Erlasse (einige übrigens mit dem Ursprungsort München)? Um nicht in Verdacht zu geraten, abgestandene braune Propaganda zu verbreiten, sei hier auf Zitate verzichtet.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen (die oben erwähnten frühen Hitler-Editionen, Tagebücher von Goebbels und Rosenberg) und abgesehen von illegalen Drucken, sind Originalschriften von Naziführern nach 1945 nicht wieder publiziert worden, weder kommentiert noch gar unkommentiert. Solche Zurückhaltung war keineswegs allein durch die 70jährige urheberrechtliche „Schutzfrist“ bedingt. Die eigentliche Frage ist: Sind Hitlers wahnhafte Ideen immer noch „gefährlich“ - oder könnten sie es angesichts aktueller Strömungen wieder werden?

Nur so viel sei zu den 738 Seiten voller Hitler-Reden angemerkt: Sie enthüllen abermals das Bild eines Egomanen, der das Kriegsgeschehen aus der Perspektive des gottgleichen Weltenlenkers sieht, der den Globus, gern auch mal den „Herrgott“ anrufend, tatsächlich wie einen Spielball handhabt wie Chaplins „Großer Diktator“. Es ist dieses selbstherrliche, schreckliche „Ich“, das alles durchdenkt und entscheidet. Die wirklichkeitsfremde Überheblichkeit Hitlers zieht sich vom ersten Kriegstag bis zu jenem 22. Juni 1941, als deutsche und verbündete Armeen die „sowjetische Interessengrenze“ überschreiten, um „die bolschewistischen Truppen ... zu vernichten“. Am 30. Januar 1942 verheißt der „Führer“ seinen Volksgenossen im Berliner Sportpalast „wieder ein Jahr großer Siege“ und spricht erstmals von einem „Zweiten Weltkrieg“. Kurz zuvor hat er die ersten Rückschläge in Russland erlebt und deshalb den höchsten Heeresführer gefeuert, um selbst das Oberkommando zu übernehmen.

Die aufgefundenen Bücher, die auch ein interessantes Kalendarium enthalten, gingen inzwischen wunschgemäß an das NS-Dokumentationszentrum. Dort, wo einmal das Braune Haus stand, werden übrigens auch Ausschnitte der Cronauer'schen Dokumentation vom Sommer 1945 fortlaufend abgespult. Standfotos aus dem Film zeigt indes die vom Kulturreferat und dem Stadtarchiv unterstützte, bis 7. Januar 2016 verlängerte Sonderausstellung „Das zerstörte München“ im und unter dem Isartor. Die Trümmerbilder werden kommentiert unter anderem von Gerd Anthoff, Ottfried Fischer, Lisa Fitz, Christian Springer, Richard Süßmeier, Hans-Jochen Vogel und Konstantin Wecker.

Informationen auch beim Institut für Zeitgeschichte.

 

Veröffentlicht am: 21.12.2015

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